Warum verliert man?

Hamburg SPD und CDU reflektieren ihr Ergebnis bei den Wahlen in der Hansestadt. Und ziehen dabei nicht zwingend die richtigen Schlussfolgerungen
Ausgabe 08/2015
Auch Olaf Scholz (SPD) hat an Stimmen verloren - und wird nun als Kanzlerkandidat gehandelt
Auch Olaf Scholz (SPD) hat an Stimmen verloren - und wird nun als Kanzlerkandidat gehandelt

Foto: Clemens Bilan/AFP/Getty Images

Die SPD rätselt darüber, warum sie in Umfragen auf Bundesebene über 25, mal auch über 26 Prozent der Wählerstimmen nicht hinaus kommt, obwohl sie nach eigener Einschätzung in der Großen Koalition gute Arbeit macht. Die CDU rätselt kaum darüber, weshalb sie in Hamburg ein so schlechtes Ergebnis erzielt, dass es der Sau graust. Aber sie muss nun mit Begründungen leben, die ebenso nützlich wie verheerend sein können.

Warum verliert man? Vor etwas mehr als 40 Jahren, als es der CDU im Bund schlecht ging und im Ruhrgebiet sehr schlecht, hatte ich in Dortmund einen Termin bei dem damals mächtigsten SPD-Mann in Nordrhein-Westfalen, Hermann Heinemann, Westfalenhallendirektor und Vorsitzender des starken SPD-Bezirks Westliches Westfalen. Wir trafen uns gegen fünf Uhr in seinem Büro in der Westfalenhalle, und gegen elf saßen wir immer noch dort. Die Menschen im Ruhrgebiet, sagte er, sind so treu, so zuverlässig, dass man sich als Politiker manchmal beschämt fühlt. Heinemann erzählte auch, dass er nach dem Krieg eine Zeit lang geschwankt habe, welcher Partei er sich anschließen solle. Sein Onkel sei in der CDU gewesen. Die Partei mit ihrem gut organisierten alten Zentrumskern sei damals bei den Arbeitern durchaus respektiert gewesen. Nicht zufällig habe sie bei den Landtagswahlen 1958 eine absolute Mehrheit erzielt.

Von Nordrhein-Westfalen als Stammland der SPD zu reden, darin waren wir uns einig, sei Quatsch. Die ersten 20 Jahre gab es dort Ministerpräsidenten von der CDU. Aber, sagte Heinemann, wenn man die Menschen im Revier einmal in einer ernsten Sache enttäuscht, dann sind sie weg. Und das ist der CDU passiert, als Bundeskanzler Ludwig Erhard, der Vater des Wirtschaftswunders, 1965 landauf, landab verkündete, mit der Kohle gehe es zu Ende, die Zukunft gehöre dem Erdgas. Das war zwar die Wahrheit. Aber, erzählte Heinemann, es war keine gute Wahrheit für den Kohlenpott; und Erhard konnte nun mal nicht anders, als alles, was er zu sagen hatte, in optimistischem Ton zu sagen. Die CDU in Düsseldorf, meinte er, werde nie mehr nach oben kommen.

Das immerhin hat sich – ein wenig – als falsch erwiesen. 2005 gelang es der CDU wieder, den Ministerpräsidenten zu stellen. Aber da hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik das Vertrauen der Arbeiter zwischen Bochum und Duisburg nachhaltig verspielt. Für die CDU lachte die Sonne allerdings nicht lange über der Ruhr, denn weil sie den Sieg nicht erwartet hatte, wurde ein Mann Regierungschef, der dem Amt nicht gewachsen war. Doch für die Bundesebene blieb die Enttäuschung über die SPD bedeutungsvoll. Auch die SPD hatte mit der Agenda-Politik vieles richtig gemacht. Sie sagt das bis heute. Aber sie sagt das ein bisschen zu laut.

In Hamburg hat die CDU noch vor zehn Jahren mit absoluter Mehrheit regiert. Dann fuhr der Erste Bürgermeister, der beliebte Ole von Beust, in der Schulpolitik einen Kurs gegen die Anhänger der eigenen Partei. Die erreichten eine Volksbefragung und gewannen. Der Erste Bürgermeister trat zurück, der Nachfolger war dem Amt nicht gewachsen, passte überhaupt in keiner Weise nach Hamburg. Ergebnis: Nach zehn Jahren CDU-Regierung im Rathaus gewann Olaf Scholz für die SPD die absolute Mehrheit. Dass er die jetzt nicht hat verteidigen können, sollte für die Sozialdemokraten auch Grund sein, über einiges nachzugrübeln. Aber viele in der SPD denken stattdessen darüber nach, ihn zum Kanzlerkandidaten zu machen. Allerdings erst 2021.

Die CDU hat in den Ländern und in den Großstädten, also dort, wo nicht jeder Wähler den Bürgermeister oder Ministerpräsidenten persönlich kennt, ein Problem mit der Dominanz Merkels. Es gibt schlimmere Probleme.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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