Was Bergman freute, möglicherweise

Bühne Amélie Niermeyer zeigt im Marstall des Münchner Residenztheaters eine Bühnenfassung von Bergmans "Persona". Von Gestrigkeit ist nichts zu sehen
Sittengemälde auf der Bühne
Sittengemälde auf der Bühne

Foto: Sarah Rubensdörffer

Elisabet Vogler schweigt. Mitten in einer Elektra-Aufführung verstummte die Schauspielerin, und weil niemand eine organische Ursache dafür finden kann, wird Elisabets Schweigen zum dröhnenden Mysterium. Krankenschwester Alma und die Abgeschiedenheit eines Sommerhauses sollen die Widerspenstige zum Reden bringen, der Kampf ums Sprechen entwickelt sich zum Duell, in dem die Identitäten der zwei Frauen zur Disposition stehen.

Als Ingmar Bergman diese Ausgangslage 1966 für seinen Film Persona wählte, schuf er ein Zeit- und Sittengemälde. Nicht das Reden, das Schweigen – in der Form des Verschweigens – war zu jener Zeit in Europa ein Kernproblem, und Bergmans Film konnte als Kommentar dazu verstanden werden. Eine Vereinnahmung, die dem Regisseur und seinem Werk allerdings nicht genutzt hat und dem heute selten ausgestrahlten Film die Patina einer vermeintlichen Gestrigkeit verleiht.

Wenn Amélie Niermeyer jetzt im Marstall des Münchner Residenztheaters eine Bühnenfassung von Bergmans Persona zeigt, ist von Gestrigkeit nichts zu sehen. Niermeyer stellt den Dualismus der Frauen stärker in den Mittelpunkt, und dabei kann die Regisseurin dieser deutsch-israelischen Koproduktion – im November ist die Premiere am Habima-Theater in Tel Aviv – auf ein überzeugendes Ensemble setzen. Evgenia Dodina, eine der bekanntesten Darstellerinnen Israels, gibt Elisabet als lauernde Schweigerin, stets bereit, sich mit eisigen Blicken und sparsamen Gesten den Kommunikationsattentaten Almas zu erwehren.

Juliane Köhler als Krankenschwester Alma steht dem nicht nach, die Präzision ihres Spiels seziert die Wandlung von der gutwilligen Pflegerin zum dämonischen Gegenpart bruchlos. Götz Schulte, der als Regisseur, Erzähler und Elisabets Ehemann auftritt, obliegt es, einen der wenigen dramaturgischen Kontrapunkte zu setzen: Sein Selbstgespräch mit einer Kasperle-Figur wird zunehmend aggressiv, gerät zur gnadenlosen Abrechnung zwischen Spieler und Puppe.

Geste des Widerstands

Sonst kommt die Produktion ohne große Gesten aus, setzt auf eine Reduktion, die auch das Bühnenbild prägt: Graue Holzplatten bedecken den Boden, zwei Stühle und drei Radios sind keine Dekoration, sondern Werkzeuge, derer sich die Darsteller bedienen. Nichts lenkt ab, dem Auge wird kein Fluchtpunkt geboten. Die Inszenierung ist auf sich selbst zurückgeworfen, wie es auch die beiden Hauptfiguren sind: Die räumliche Leere spiegelt die innere der Frauen. Längst sind sie der fahrlässigen Verletzung, nicht zuletzt der Verletzung ihrer selbst, schuldig geworden. So wird dem Szenario der Vorlage in einer verlaberten Gegenwart, in der die Sprache das Wort entwertet und verleumdet, Aktualität abgerungen. Das Schweigen entfaltet sich zur Geste eines Widerstandes, der dem Triumph der Talkshow, der Diktatur des Oberflächlichen trotzt.

Was Bergman nur unterstellt wurde – gegenwärtige Probleme zu kommentieren –, praktiziert Niermeyer bewusst: Immer wieder wird der Bogen subtil vom Privaten ins Politische und von der Fiktion in die Realität geschlagen, und das beschert dem Abend seinen eindringlichsten Moment. „Du kannst mir nicht verzeihen“, sagt Köhler, die Deutsche, zu Dodina, der Israelin, während das berühmte Bild des jüdischen Jungen, der im Warschauer Getto von SS-Männern bedroht wird, auf die Spielfläche projiziert wird.

Ein Höhepunkt dieser Spielzeit, nicht nur in München.

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