Was bisher geschah

Was läu­ft Eine kleine Geschichte des Rekapitulierens serieller Erzählformen
Ausgabe 40/2017

Leichte Irritation nach der ersten Folge: „Vielleicht dauert es einfach, aber ich finde, es gibt einen ziemlichen Qualitätsverlust gegenüber der ersten Staffel. Erinnert mehr an eine handelsübliche Krimiserie, manche Szenen wirken fast wie eine Farce, und die Ausschilderung feministischer Anliegen kommt mir plump vor. Ich hoffe, das wird noch.“ Das Befremden der Autorin über das, was sie sieht, steigert sich im Wochentakt zu „fehlgeleitet und chaotisch“ und „Das Fiasko wird fortgesetzt“. Dann doch ein Aufatmen: Endlich scheint es was zu werden.

Es geht um die zweite Staffel von Jane Campions Top of the Lake, China Girl. Rebecca Nicholson hat die sechsteilige Mini-Serie im Guardian in Form von recaps begleitet (die Passage oben ist ein kurzer Auszug). Die Textsorte wird nicht nur dort schon länger gepflegt, ihre Bezeichnung kommt von der Kurzform fürs „Rekapitulieren“.

Das war auch die Aufgabe der so genannten recap sequences, die vor Beginn einer neuen Fernsehserienfolge mittels Zusammenschnitt kurz in Erinnerung riefen, „was bisher geschah“. Laura Bliss hat diese Sequenzen 2015 im Atlantic gewürdigt und deren Blütezeit in die 1970er- bis 1990er-Jahren datiert. Die audiovisuellen Gedächtnisstützen hätten sich im US-Fernsehen mit prestigeträchtigen Hauptabendserien wie Der Denver-Clan (eigentlich: Dynasty) etabliert – Erzählungen, die in der richtigen Reihenfolge konsumiert werden wollten. (Nebenbei wird man daran erinnert, dass andere Erzählmodelle ein kommerzieller Vorteil sein konnten, weil sie die wiederholte Ausstrahlung einzelner Folgen in beliebiger Abfolge erleichtern – ein Prinzip, das noch heute die Dauerrotation von Krimiserien und Sitcoms ermöglicht.)

Bliss beschwört die hohe Kunstfertigkeit der Editoren der einleitenden Kurzzusammenfassungen und beklagt das gegenwärtige Verschwinden der Form: Durch den Vertrieb als Boxset, vor allem aber durch Plattform-Fernsehen, das komplette Serien permanent vorrätig hält, und die Gewohnheit des binge watching würden sie obsolet.

Man könnte auch behaupten: Das Rekapitulieren – genauso wie die Spekulation und das Fabulieren, Stichwort: fan fiction – wurde von Communitys im Netz übernommen und mit Leidenschaft in Blogs und Fanforen betrieben. Die recap sequences lebten in Schriftform weiter. Dann wurde die Textsorte für (angelsächsische) Traditionsmedien interessant, die die Auseinandersetzung mit dem Serienphänomen für relevant hielten – und außerdem rund um die Uhr Online-Ausgaben zu befüllen hatten. Ebendort läuft die TV-Kritik – kleinteiliger und weniger gewichtig als die klassische Rezension – nun als recap in Serie.

Die Form scheint einer Rezeptionserfahrung angemessen, zu der im Verlaufsbogen einer Serienstaffel wechselhafte, mitunter höchst irreführende Eindrücke und widersprüchliche Einschätzungen gehören. Damit spielen Serienmacherinnen und -macher nicht erst, seit sie unzuverlässige Heldinnen wie Carrie Mathison in schwer überblickbare Realitäten entlassen haben.

In den ausufernden Erzählungen eines romanesken Fernsehens fungiert die recap als Orientierungshilfe (Rebecca Nicholson etwa schließt in ihre Betrachtungen dankenswerterweise einen Rückblick auf die Geschehnisse in Staffel eins von Top of the Lake ein). Vor allem aber macht es Spaß, bei dieser „allmählichen Verfertigung der Gedanken“ beim Seriensehen mitzulesen – siehe etwa die als Briefwechsel angelegten recaps zur siebten Staffel Game of Thrones in der Los Angeles Review of Books, wo Sarah Mesle angesichts der Intrigen um die Schwestern Stark an der Genderpolitik (ver)zweifelte. Bis sie einsehen musste, dass sie „die letzten Wochen damit verbracht hatte, dagegen zu wettern, dass diese Serie es Frauen verweigert, einander Verbündete, Unterstützerinnen, Freundinnen zu sein. Und dann waren sie nicht nur all das! Sondern sie waren es die ganze Zeit über gewesen! O. k., vielleicht auch nur die meiste Zeit, man weiß es nicht genau. Aber ganz sicher eine gewisse Zeit lang, während ich mit meiner Lesart falschlag.“

Die kritische Pointe gehört der Rezensentin am Ende übrigens doch noch, sie wird hier aber nicht verraten. Denn Spoiler-Neurotiker müssen sich vor recaps nicht fürchten, die Warnhinweise werden angepasst: „Spoiler-Hinweis: Diese recap ist für Leute, die Top of the Lake in der wöchentlichen BBC-Ausstrahlung verfolgen. Bitte keine späteren Folgen spoilern.“

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