Was Bowie wusste

Kindle Unlimited "Musik wird wie Strom und fließend Wasser sein", sagte der Musiker 2002. Jetzt sind also die Bücher an der Reihe. Nur sind wir heute viel vernetzter
Ausgabe 30/2014
Was Bowie wusste

Foto: Kevork Djansezian/ AFP/ Getty Images

In einem Interview mit der New York Times sagte David Bowie 2002 etwas sehr Scharfsinniges: „Musik wird wie Strom und fließend Wasser sein. In Zukunft werden nur noch Konzerte einigermaßen exklusiv sein. Das alles ist wahnsinnig aufregend. Aber letztlich ist es egal, was wir davon halten; es wird einfach passieren.“

Bowies Worte kamen mir vergangene Woche in den Sinn, als Amazon durchblicken ließ, welche Pläne es für das Verlagswesen in petto hat: „Kindle Unlimited“, einen neuen Dienst, der Abonnenten für 9,99 Dollar im Monat unbegrenzten Zugang zu 600.000 Büchern und Tausenden von Audiobooks bieten soll. Nicht nur auf Amazons Lesegerät Kindle, auch auf anderen Geräten. „Netflix für Bücher“, schrieb einer. David Bowie würde sagen, dass jetzt auch die Bücher wie Strom und fließend Wasser werden.

Bowie war so scharfsinnig, weil er sehr früh die Folgen der allgegenwärtigen Vernetzung verstanden hat. Als Apple seinerzeit entdeckte, wie sich Songs online verkaufen ließen, sammelten wir sie in kleinen elektronischen Behältern, die iPod hießen. Wir trugen sie mit uns herum, gerade so, wie Touristen früher in südlichen Ländern ständig eine Wasserflasche dabeihatten. Als sauberes Leitungswasser ohne Weiteres verfügbar wurde, waren die Flaschen nicht mehr so wichtig. Dasselbe geschah mit Online-Musik – heute können wir Dienste wie Spotify jederzeit anzapfen.

„Kindle Unlimited“ folgt derselben Logik. Nur dass Amazon bereits plant, womit Apple seit langem hadert: Streaming anstelle des Verkaufs einzelner Einheiten. Dieser Schritt wird die Verlagsbranche ähnlich aufwirbeln wie die Anfänge von Spotify die Musikindustrie. Schon protestieren Verleger und Autoren, die um ihre Tantiemen fürchten. Zu Recht, denn all dies erinnert doch sehr an Joseph Schumpeters Konzept von der „Schöpferischen Zerstörung“. Jede Erneuerung des Kapitalismus hat zwei Dimensionen: eine schöpferische, die neue Möglichkeiten, Industrien und Geschäftsmodelle hervorbringt; und eine zerstörerische, die, was bisher gängig war (darunter auch wertvolle Dinge) vernichtet.

Die Analogie zwischen Amazons Kindle und Apples iPod ist auch in anderer Hinsicht lehrreich. Amazons Gerät war von Anfang an vernetzt, wohingegen der iPod ursprünglich physisch an einen Laptop oder einen Computer angeschlossen werden musste, um mit dem Online-Store verbunden zu werden. Die Vernetzung des Kindle hat Nebenwirkungen. Nutzer können während der Lektüre nicht nur Anstreichungen und Anmerkungen vornehmen, sie können auch sehen, was andere Leser hervorgehoben haben. Sie lesen nun mit dem Wissen, was andere interessant oder wichtig finden.

Ihr vernetztes Kindle teilt Amazon außerdem mit, wie weit Sie ein Buch gelesen haben. Wenn Sie auf Ihrem Smartphone weiterlesen wollen, ist das praktisch. Das Gerät weiß, wo Sie abgebrochen haben. Aber auch Amazon weiß nun, was Sie lesen und wie weit Sie gekommen sind. Die Zeiten anonymer Lektüre sind vorbei. Schon wird nach den am wenigsten weit gelesenen Bestsellern de nos jours gefahndet. Angeblich soll es Thomas Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert sein.

John Naughton ist Blogger und Sachbuchautor. Zuletzt erschien From Gutenberg to Zuckerberg: What you Really Need to Know About the Internet (2011)

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