Was das Coronavirus für Spekulanten bedeutet

Finanzen Diese Wirtschaft kann sich Produktionsunterbrechungen zum Schutz der Menschen gar nicht leisten. Das Kapital unterliegt Wachstumszwang
Ausgabe 11/2020
Bloß nicht den Virus zu Markte tragen
Bloß nicht den Virus zu Markte tragen

Foto: Alberto Pizzoli/AFP

Der Spiegel twitterte zum Thema Corona jüngst eine Karikatur. Auf ihr sieht man einen Trümmerhaufen, „Weltwirtschaft“ genannt. Daneben steht ein Kran mit einer riesigen Abrissbirne. Der Kranführer sagt: „Okay, das war’s. Haben wir es gekillt, dieses Coronavirus?“ Die Botschaft soll wohl sein: Die Maßnahmen gegen die Virusausbreitung ruinieren die Weltwirtschaft.

Es ist dies eine ebenso gängige wie eigenartige Interpretation der Lage. Schließlich könnte man es auch so sehen: Die Welt ist so reich wie nie zuvor. So ist zum Beispiel seit 2002 die globale Industrieproduktion um mehr als 50 Prozent gestiegen, es stehen daher mehr Möglichkeiten zur Verfügung, das Virus zu bekämpfen und seine Folgen abzufedern. Statt die „Weltwirtschaft“ aber als Ressource im Kampf gegen das Virus zu sehen, wird sie als sein Opfer dargestellt. Das hat seinen Grund darin, dass wir uns alle schon daran gewöhnt haben, dass „die Wirtschaft“ vor allem eines muss: wachsen.

Der durch Corona befürchtete ökonomische Schaden besteht weniger in einem Mangel, in leeren Regalen oder Schlangen vor Geschäften. Sondern in einer Schwächung des Wachstums. Dieses Wachstum soll möglichst stark sein, und daher zählt die Geschwindigkeit, in der es erzielt wird. Der Umschlag des Kapitals muss pausenlos erfolgen, ohne Unterbrechung. Denn Zeit ist Geld. Unterbrechungen verzögern die Vermehrung der investierten Summen und gefährden damit den Reichtum, der nur existiert, damit er vermehrt wird und so lange er vermehrt wird. Geschieht dies nicht, stagniert die Wirtschaftsleistung, dann haben wir schlicht nicht so viel wie in der Vorperiode produziert. Dann ist Krise, Entwertung.

Deutlich wird dies an den Finanzmärkten. Denn hier ist das erwartete Wachstum immer schon vorweggenommen. Die Billionenwerte an Aktien, Anleihen und sonstigen Papieren basieren auf der Antizipation steigender Umsätze und Gewinne, die zwar erst noch erzielt werden müssen, in Form der Wertpapiere aber schon real vorliegen. Die Finanzmärkte sind eine Spekulation auf kommendes Wachstum und gleichzeitig ein Anspruch darauf. Stagniert die Wirtschaft oder macht sie mal wegen Krankheit Pause, ist an der Börse daher Absturz angesagt. „Coronavirus-Krise vernichtet zehn Billionen Euro an den Börsen“, meldet die Welt.

Erklärt wird uns die Lage zwar so: Produktionsstopps führen zu Einnahmeausfällen und so zu sinkenden Gewinnen, was die Aktienmärkte trifft. In der Realität ist es umgekehrt. Da die Wertpapiere auf erwartetem Wachstum basieren, fallen sie, sobald auch nur die Aussicht auf Einnahmeverluste besteht. Der Börsenkrach führt dann zu einer Finanzkrise, die auf die Realwirtschaft zurückschlägt, obwohl die noch gar nicht in der Krise ist. So machen die Märkte die Welt haftbar für die Erfüllung ihrer Spekulation.

Das ist eine Botschaft, die die Corona-Krise an jene sendet, die den Wachstumszwang kritisieren. Es ist zwar sichtbar, dass die Produktionsstopps die Emissionen etwa von CO₂ senken. Aber gleichzeitig wird deutlich, dass sich diese Wirtschaft den Schutz der Menschen vor Ansteckung, durch Produktionsunterbrechungen etwa, offensichtlich gar nicht leisten kann. Nicht, weil der Mensch ein unersättliches Wesen ist. Sondern weil das Kapital im Wachstum seinen ganzen Daseinszweck hat.

Stephan Kaufmann schreibt Artikel und Bücher über Wirtschaft

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