Business-Menschen treffen sich in sogenannten Lounges, um zu Musik von Kruder Caipi(rinha) zu schlürfen. Ohne Umweg über zu Hause und zum Beispiel einen ➝ Party-Nap findet das Vergnügen direkt nach Feierabend statt, und dann um 23 Uhr schnell ins Bett, um tags darauf wieder pünktlich am Schreibtisch zu sitzen.
Nach Deutschland schwappte dieser Trend Mitte der neunziger Jahre. Das Format hat sich mittlerweile etwas totgelaufen, es ist aber bei Clubbetreibern sehr beliebt: Es bietet schließlich die Möglichkeit, die Geschäftsräumlichkeiten zu einer Zeit zu nutzen, zu der ansonsten kaum Publikum erwartet wird. Erfunden wurde das Ganze bereits im New York der frühen achtziger Jahre, eine der ersten After-Work-Partys fand im legendären Studio 54 statt. Da hatte der Laden seine Glanzzeiten bereits hinter sich und machte wenig später dicht. Sophia Hoffmann
In den Werbepausen ihrer Vorabendserien stricken ARD und ZDF am Generationenvertrag. Durch die Reklamefilmchen aus der Pharma- und Hygiene-Industrie werden die wenigen jungen Zuschauer mit den Problemen und Leiden der Generation 60+ konfrontiert. Stuhlinkontinenz, Vergesslichkeit, Haftschalenrutschen: Für jede Geronto-Malaise gibt’s Abhilfe frei Haus. Treppenlift und Ginseng-Wurzel, Notrufknopf und Krückenschule erleichtern den Altersalltag – so heißt es zwischen Clarissas Eskapaden in der Seifenoper (➝ Soaps gucken) und Morden an der Hafenkante.
Damit man sich das alles auch merkt, fasst die Werbung für das Gratisheft Apotheken-Umschau in jedem dritten Spot merksatzartig die Krankheiten von A wie Arthrose bis Z wie Zahngesundheit noch einmal zusammen. "Lesen, was gesund macht": Das betagte Publikum fühlt sich auf die Art nicht allein, und alle anderen werden schon einmal eingestimmt auf den Vorabend ihres Lebens. Und auf die Zeit danach. Tobias Prüwer
Wenn es draußen dämmert und sich die Sonne leise am Horizont rührt, ist vieles möglich. Die meisten liegen im Bett zu dieser Stunde, die den Übergang zwischen Traum und Tag markiert. Man ist noch in der Anderwelt, in der man vielleicht ein ganz anderer ist als derjenige, der einem später beim Zähneputzen im Spiegel begegnet. Oder man verlässt einen Club mit einer neuen Begleitung. Die Blaue Stunde des Morgens ist die Zeit, in der man sich vergisst, wild und gefährlich. Die Blaue Stunde des Vorabends? Die Zeit, in der man etwas vergisst: ein Dokument abzuspeichern, bevor man den Computer herunterfährt, in die richtige Bahn umzusteigen auf dem Nachhauseweg, eine Zutat für’s Abendessen, Konzertkarten, seine Träume. Sie ist ein Dämmer ohne Zauber. Mark Stöhr
Mit Kindern verändert sich das Leben bekanntlich grundlegend. Der Vorabend macht hier keine Ausnahme. Zu einem Zeitpunkt, an dem man sich als Student gerade den dritten Milchkaffee des Tages aufgeschäumt hatte, setzt man sich nun zur Nahrungsaufnahme an den Küchentisch – damit das Kind nicht alleine essen muss!
Das Pochen auf eine gemeinsame Familienmahlzeit am Tag verrät erzieherischen Idealismus. Es ist aber sinnlos. Das Kind will nicht gemeinsam mit den Eltern zu Abend essen. Es will sein Feuerwehrauto durch die Lücken auf dem gedeckten Tisch navigieren, nur um anschließend mit Tütata-Rufen im Wohnzimmer zu verschwinden. Wenn man Glück hat, kommt es noch mal zurück, um einen Bissen Brot abzubeißen. Am Ideal des gemeinsamen Essens sollte man dennoch festhalten. Ideale sind wichtig. Gerade in der Erziehung. Jan Pfaff
Als Thomas Gottschalk noch aus Kulmbach kam und nicht aus Malibu, moderierte er Na sowas!. Die Sendung lief samstags um 19.30 Uhr, und im Rückblick kann man sagen, dass sie wie Wetten, dass..? ohne Langeweile war. Gottschalk hatte Besuch von Klaus Kinski oder einem Hund, der angeblich "Mama" sagen konnte (er konnte nur knurren, aber egal). Und dann war sie auch schon vorbei.
Wenn Gottschalk am 23. Januar mit Gottschalk Live in den Vorabend zurückkehrt, ist das also ein schönes TV-Experiment: Er holt, so scheint es vor dem Start, seine Vergangenheit ins Heute: Das Beste von gestern jetzt anders noch mal – die Aneignung des Erfolgsprinzips Youtube durch das Fernsehen schreitet voran. Ob Gottschalk so den ➝Volkshochschulen den Garaus macht, oder sie ihm? Sicher ist: Sollten die Quoten schlecht sein, liegt das nur an der großen Vorabendkonkurrenz, die wir "Leben" nennen. Klaus Raab
Mein Naher Osten ist der Abendbrottisch (➝ Familienessen), bevölkert ist er von übermüdeten, unterzuckerten Kindern und gereizten, unterzuckerten Eltern, die sich nichts weniger wünschen als einen weiteren Blauhelmeinsatz. "Mama, der guckt schon wieder so, ey der stresst total." – "Ey gar nicht, echt jetzt, lüg’ doch nicht." Letzteres ergänzt durch ein trocken angesetztes, aber nicht weniger schmerzhaftes Schnipsen des Zeigefingers gegen den Oberarm der kleinen Schwester – eine vielversprechende Basis für die nächste Eskalationsstufe.
Die Mühsal des Strebens nach Eintracht und Frieden auf Erden lässt sich erst im Zusammenleben mit Kindern in Gänze ermessen. Verena Schmitt-Roschmann
Als Geheimtipp unter den Erholungsbedürftigen gilt der Party-Nap, der dionysische Bruder des bekannteren Power-Nap. Dieser steigert nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern senkt einer 2007 von SZ und Washington Post zitierten Studie zufolge das Herzinfarktrisiko.
Kenner streiten über die Regeln des Party-Nap: 15 Minuten sind zu wenig, 45 zu viel? Falls noch Tageslicht scheint, darf das Zimmer nicht verdunkelt werden, Nebengeräusche, etwa aus dem Fernseher (➝ Gottschalk), sind erwünscht. Wichtig: Wecker stellen, sonst kann Erwachen zu fortgeschrittener Nachtstunde die Folge sein! Nach dem Schläfchen den Körper mit einer kurzen Dusche oder einem Espresso erfrischen. Der Party-Nap hat, wie der Name schon sagt, neben der Kurzzeiterholung jedoch vor allem die Funktion, auf Partys vorzubereiten. Strategisch eingesetzt, wirkt er vorbereitend auf durchzechte Nächte und schützt vor Gähnanfällen bei spätabendlichen Aktivitäten wie Theater, Kino oder Abendessen bei den Schwiegereltern. Juliane Löffler
Umstürzlerische Pläne haben die Menschen schon immer am Vorabend geschmiedet. Denn seit dem Ende von hegelscher Historienphilosophie und historischem Materialismus weiß man: Geschichte wird gemacht. Auch Revolutionen, die Karl Marx einst als Lokomotiven der Geschichte beschrieb, müssen angeschoben und befeuert werden. Und das geschieht eben am Vorabend der Revolution.
Ein döseliger Monarch, ein brutaler Tyrann oder ein auf sozialer Ungleichheit basierendes System reichen da nicht. Also, in die Hände gespuckt: Es werden Schilder gemalt – "10 Uhr, Lidl-Parkplatz: Weltrevolution!" – und heimlich die Maschinen angeworfen. Weil Revolutionshemmnisse oft auf Kommunikationsproblemen beruhen, sind Twitter Co. mittlerweile ein Must-have. Zumindest der Vorabend der Umwälzungen findet heute praktisch täglich statt. TP
Die Hauptbeschäftigung am Vorabend: Schlange stehen. In der übervollen Bahn Wange an Wange mit anderen Heimfahrern, weil wie immer alle Sitzplätze besetzt sind; im Supermarkt Hintern an Hintern mit anderen Hungrigen, die sich noch eben eine Fertigpizza holen oder Aufbackbrötchen für den nächsten Morgen. Oder man steht im Stau, allein in seinem Auto wie die meisten anderen Autofahrer. Für dieses Phänomen der rituellen Rudelbildung gibt es viele Bezeichnungen: Hauptverkehrszeit, das ist der offizielle Begriff, Spitzenverkehrszeit, Spitzenzeit, Stoßzeit oder Rush Hour. Durch die flexiblen Ladenöffnungszeiten ist die Ballung lockerer geworden, aber auch breiter: Sie erstreckt sich nun über den Vorabend hinaus. MS
Die Orte des Vorabends sind Düsseldorf, Essen, Berlin und Köln. Die Freunde heißen Arno Brandner und Clarissa Gräfin von Anstetten, Annette Bergmann und Simone Steinkamp, Leon Moreno und Emily Höfer, Irene Weigel und Malte Winter. Der Fernsehvorabend war geprägt von vielen Versuchen in den letzten Jahren, die Daily Soaps blieben, vor allem die Evergreens des Genres wie Verbotene Liebe, Alles was zählt, Gute Zeiten – Schlechte Zeiten und Unter uns. Für die Fans sind sie trotz, vielleicht auch wegen der Flachheit ihrer Figuren und Plots wichtige Bookmarks des Alltags – auch wenn sich die Zuschauer mehr und mehr von den festen Ausstrahlungsterminen lösen und sich die Folgen in den diversen Online-Mediatheken ansehen. Zerstreuung ist eben keine Frage des Zeitpunkts, sondern des Zustands. MS
Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir, lehrte Seneca. Und auch Lenins revolutionäre Forderung "Lernen, lernen, lernen!" atmete schon den Duft der heutigen Zeit. Denn Millionen von Deutschen lernen nach Feierabend in der Volkshochschule und beim Fernstudium. Manche verwirklichen sich selbst in der Weiterbildung, die meisten hoffen auf berufliche Zusatzqualifikationen, damit sie nicht alsbald auch vormittags zwangsweise freihaben. Schlüsselfertigkeiten, Büromanagement, Buchführung und Methoden der Sozialkompetenz sichern den Wohlstand, da liest man gern mal ein Buch mehr oder besucht ein Seminar. Und weil Weiterbildung steuerlich absetzbar ist, versilbert sie sogar den sonst unnützen Vorabend. TP
Ab welcher Uhrzeit darf man Alkohol trinken? Wir halten uns an die Handwerkerformel "Viertel vor vier, Zeit für ein Bier", die den fließenden Übergang von Arbeitszeit in Freizeit markiert. Das Schweizerdeutsche nennt das gepflegte Feierabendtrinken "Apéro". Egal ob Entlassung oder Einstellung, Geburt oder Hochzeit – jeder Grund ist ein guter, um bei einem Apéro zu landen. Der Charme liegt darin, dass man Alkohol direkt nach der Arbeit auf nüchternen Magen trinkt und damit einen Weg einschlägt, der in den Himmel oder in die Hölle führen kann. In den Himmel, weil kein Rausch süßer ist als jener, der mit einem schnellgetrunkenen Glas Bier beginnt und nach drei Gläsern endet. In die Hölle, weil wir nicht ohne Grund das simple italienische Wort für Flasche, fiasco, in einem anderen Zusammenhang benutzen. Mikael Krogerus
Wie die große Welt im Ganzen lebt auch der Vorabend von klaren Antipoden. Denn die einen sagen so: Entweder man raucht. Oder man raucht eben nicht. Auch nicht manchmal. Die anderen sagen: Immer diese Perfektionisten. Und rauchen nicht immer, sondern dann, wenn das Tageswerk getan ist. Jetzt bräuchte man nur noch einen Namen dafür. Feierabendzigarette? Susanne Lang
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