Was Frauen wünschen

Medientagebuch Zweierlei Unabhängigkeit: Kommerzielle und ausländisch subventionierte Medien in Kabul

Während der Taliban-Herrschaft waren die öffentlichen Medien in Afghanistan praktisch nicht existent. Die wenigen Zeitungen bestanden aus Texten ohne Bildern, das Fernsehen sendete gar nicht mehr und im einzigen nationalen Radioprogramm wurde ausschließlich der Koran rezitiert oder fundamentalistische Pamphlete der Taliban vorgetragen. Wer es wagte, hörte unter Lebensgefahr BBC Worldservice.

Bereits im Sommer 2001 beschlossen einige mutige afghanische Journalisten und befreundete Franzosen in Paris, einen Untergrund-Radiosender gegen die Taliban im Pandschirtal aufzubauen, um von der Front Nachrichten nach Kabul zu senden. Florent Milesi, einer von ihnen, erzählt, dass seine Freunde just am 11. September 2001 nach Afghanistan geflogen waren, ohne von den Anschlägen in New York zu wissen. Zehn Tage später reiste Milesi ihnen nach. "Es war ein Alptraum. Die Fahrt hat drei Wochen gedauert, ich hatte nur wenig Geld dabei und überhaupt keine Erfahrung. Die ganzen Kriegsberichterstatter, die in diesen Tagen nach Afghanistan eilten, dachten, ich wäre verrückt, beladen mit diesem riesigen Computer, den ich für den Radiosender mit mir rumschleppte."

In wenigen Monaten gelang es der Gruppe schließlich, unter abenteuerlichen Bedingungen im befreiten Kabul ein Medienzentrum zu gründen. Ausgerechnet auf den Ruinen des Hauptsitzes der Sitten-Polizei der Taliban, die für ihre grausame Folter berüchtigt war, wurde AINA aufgebaut. Die Maxime von AINA ist es, den Menschen eine Stimme zu geben, die keine haben, erläutert Florent Milesi, heute Leiter des Medienzentrums. Im ehemaligen Swimmingpool ist mittlerweile das Ton-Studio für einen Radiosender untergebracht, in einem Nebengebäude produziert die bekannte Journalistin Jamila Mujahed die Sendungen für Voice of Women. In den vielen Büros rund um den begrünten Innenhof arbeiten acht verschiedene unabhängige Zeitschriften, darunter Kabul Weekly und das Frauenmagazin Malalai. Viel Aufmerksamkeit erregt die Videoabteilung, in der seit einem Jahr die ersten afghanischen Kamerafrauen ausgebildet werden.

Das Ziel von AINA ist der Aufbau einer selbstständigen Produktionsfirma und Agentur, die ausschließlich von Afghanen getragen wird und wirtschaftlich arbeitet. Neben dem Radioprogramm von AINA setzen in Kabul das staatliche Radio Afghanistan mit seinem eher langatmigen und pädagogischen Stil, BBC World Service, The Voice of America, das Radio der ISAF-Truppen Stimme der Freiheit und Radio Azadi vor allem auf Inhalte und Informationen. Die Afghanen trauen von allen Sendern vor allem dem Wahrheitsgehalt der BBC-Nachrichten.

Saad Mohseni, der Direktor des ersten privaten Radio-Senders in Kabul, verfolgt das ausländische Engagement mit Skepsis. "98 Prozent der Medien von Kabul werden in zwölf Monaten Pleite gegangen sein, weil die internationalen Mittel auslaufen", prognostiziert der charismatische Banker, der nach vielen Jahren im australischen Exil nach Kabul zurückgehrt ist. Indem ohne strikte Reglementierungen den Afghanen Gelder zur Verfügung gestellt würden, erzeuge man nur Abhängigkeiten. Mohseni fordert stattdessen vehement, den Privatsektor zu unterstützen. Tatsächlich arbeiten in seinem Sender Radio Arman (Radio Hoffnung) fünf Monate nach dem Start bereits 14 Vollzeitkräfte. Alle Mitarbeiter sind Afghanen. Vor wenigen Wochen begann Mohseni mit dem Verkauf und Einsatz von Werbezeiten; der Sender soll schon bald Gewinne abwerfen. Für Kabul, das vollständig auf finanzielle Hilfe aus dem Ausland angewiesen ist, zählt das Unternehmen damit zu den absoluten Ausnahmen.

Was in ganz Kabul vor allem für Furore sorgt, ist jedoch in erster Linie das unkonventionelle Programm von Radio Arman. Die Programmmacher setzen auf Infotainment. Neben der beliebten Popmusik laufen Veranstaltungshinweise und Studiotalks. "Was bedeutet www?" "Wohin mit dem Müll?" "Wo kann man am Freitag mit der Familie picknicken?" Nach der langen Zeit der Verbote und Entbehrungen füllt das Programm offensichtlich ein Vakuum: Egal ob im Bazar, im Taxi, im Restaurant oder in Privathäusern, ganz Kabul hört mittlerweile Radio Arman.

Nur bei diesem Kanal moderieren Frauen und Männer gemeinsam die Sendungen, machen Witze, lachen zusammen. Das war für die afghanischen Hörer, die an die extrem strengen Reglementierungen zur Geschlechtertrennung gewöhnt sind, zuerst ein Schock. Ungeheuerlich für sie die Plaudereien der Moderatoren-Teams von Radio Arman. Die DJs sind junge Menschen meist ohne jede Radio-Erfahrung. In Castings wurden sie nach Motivation, Enthusiasmus und Witz ausgesucht. Manche der Sprecher und Sprecherinnen haben Schwierigkeiten beim Lesen oder können kaum das formelle Hoch-Dari sprechen, das sich stark von der Alltagssprache unterscheidet. Eine der Moderatorinnen hatte während der Taliban-Zeit ihr Haus vier oder fünf Jahre lang überhaupt nicht verlassen, kein Spaziergang, kein Gang zum Basar. "Diesen Leuten, besonders den Frauen, wurde jede Form von Bildung und die Möglichkeit, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu schulen, vorenthalten", erklärt Mohseni. "Dass sie Schwierigkeiten haben zu reden, reflektiert die gegenwärtige Situation der afghanischen Gesellschaft." Wohlwollende Schätzungen gehen davon aus, dass 85 Prozent der Afghanen Analphabeten sind. "Die meisten Leute verstehen überhaupt nicht, was auf den anderen Sendern übertragen wird", so Mohseni. "Die Leute haben genug von Politik und ernsten Diskussionen. Sie wollen endlich ein bisschen Spaß und Unterhaltung."

Radio Arman spaltet mit seinem Hörer-freundlichen Konzept die Dreimillionen-Stadt Kabul. Gerade die flapsigen, umgangssprachlichen Moderationen bringen dem Sender bei Intellektuellen den Vorwurf des journalistischen Dilettantismus ein. Seelay Srak, die Produktionsleiterin von Radio AINA, kritisiert die reine Unterhaltungs-Schiene des beliebten Konkurrenten. Man benutze die Sprache von Straßenjungs, ärgert sie sich und fügt hinzu: "Radio Arman hat keinerlei Inhalte. Sie spielen den lieben langen Tag nur Musik." Jamila Mujahed, Herausgeberin des Frauenmagazins Malalai und Leiterin des Radiosenders Stimme der Frauen, geht in ihrer Kritik noch weiter. Die politische Situation sei zu instabil für Neuerungen dieser Art. Sie fürchtet um die Folgen, etwa gesetzliche Verbote, die dann für alle Sender gelten würden: "Sie wissen nicht, dass die Fundamentalisten nach wie vor in unserer Gesellschaft sind", wirft Mujahed den Machern von Radio Arman vor. "Dies wird dazu führen, dass auch die anderen Radiosender mit Füßen getreten werden."

Doch Mohseni ist vor allem Geschäftsmann. Er sieht in seinem Programm keinen Affront gegen Fundamentalisten. Für ihn ist entscheidend, dass die Kabulis das Programm, das für sie konzipiert wurde, auch annehmen. "Wir machen keine religiösen Witze, wir diskutieren nicht über Politik. Ich wünschte, wir könnten wirklich Grenzen überschreiten, aber das können wir gar nicht. Wir müssen sensibel für unsere Kultur und unsere Leute sein." Um heraus zu finden, was die Leute interessiert, wurden Umfragen in 1.000 Haushalten in den 15 Bezirken von Kabul durchgeführt. "Wir haben die Menschen, die in Kabul leben, einbezogen und überlegt, ob man ihre Wünsche erfüllen kann." Die Tatsache, dass 80 bis 90 Prozent der Menschen in Kabul und Umgebung das Programm hören, ist für Mohseni Beweis genug, dass er auf dem richtigen Weg ist. Derzeit prüft er, welches Profil ein kommerzieller Fernsehsender in Afghanistan haben könnte. Wenn man bedenkt, dass im einzigen Sender TV Afghanistan bisher Frauen immer noch nicht singen dürfen, darf man in Kabul auf eine neue Welle der Entrüstung gespannt sein.


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