Was für eine vermessene Verfilmung!

Kino Obwohl das Drehbuch von Daniel Kehlmann selbst stammt, ist die Adaption seines Bestseller-Romans nichts für Cineasten

Die Wissenschaft steckt in Deutschland in einer Legitimationskrise. Doktorarbeiten, Lebensleistungen, der wissenschaftliche Kodex – alles steht zur Disposition. Nimmt man den Tenor in den Feuilletons und Webforen ernst, scheint sich ein Ressentiment gegen den Intellektualismus des Bildungsbürgertums gerade Bahn zu brechen. Die denunziatorische Häme in der Blogosphäre steht dem zynischen Kalkül der Politik in nichts nach. Da passt es, dass diese Woche Detlev Bucks neuer Film Die Vermessung der Welt in die Kinos kommt. Auch das deutsche Kino hat sich in den vergangenen Jahren intellektuell nicht sonderlich hervorgetan.

Schon Daniel Kehlmanns Bestseller war im Grunde ein rhetorisches Meisterstück der uneigentlichen Rede. Gefeiert als neuer „Wissenschaftsroman“, der den Anspruch der Sachhaltigkeit mit der gehobenen deutschen Unterhaltungsliteratur befriedete, konnten die bemüht wissenschaftlichen Ausführungen doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Kehlmanns Personal durchweg um reichlich beschränkte Zeitgenossen handelte. Der eine, Alexander von Humboldt, kehrt von seinen Weltreisen mit Kisten voller augestopfter Tiere zurück und ist in seiner preußischen Ordnungswut dem Irrtum aufgesessen, die Welt durch systematische Erfassung begreifen zu können. Der andere, Carl Friedrich Gauß, bleibt sein Leben lang ein misanthropischer Provinzaugust, der den Gänsemägden mit „nutzlosem“ Wissen zu imponieren versucht und dem beim ehelichen Geschlechtsverkehr der Durchbruch in der späteren Differentialgeometrie gelingt.

Bucks Idee

Die Bestsellerverfilmung ist nun standesgemäß ein Gipfeltreffen der Großherrlichen im deutschen Kulturbetrieb – schade, dass Bernd Eichinger das nicht mehr erleben durfte. Eingerahmt von Buck und Kehlmann hätten die drei ein stattliches Gruppenporträt abgegeben. Auf die pompöse Idee, seinen Film in 3D zu drehen, kam Buck aber von ganz allein. Der erzählerische Mehrwert hält sich in Grenzen. Für den domestizierten Gauß, dessen Leben sich vornehmlich in düsteren Bauernhäusern abspielte, erweist sich der technische Aufwand eine Nummer zu groß. Und mit Humboldts Amazonas-Expedition kann Buck, von einigen schönen Tieraufnahmen abgesehen, wenig anfangen. Einmal erstreckt sich das ansehnliche Hinterteil einer Prostituierten in den Kinosaal. Auch sonst erinnert der Humor eher an Bauerntheater.

Die Grobschlächtigkeit ist das Verblüffendste an dieser Verfilmung, immerhin stammt das Drehbuch von Kehlmann selbst. Der hat die süffisante Ironie der indirekten Rede bruchlos in Buck’sche Brachialkomik überführt. Humboldt und Gauß sind bei Buck, jeder auf seine Weise, Deppen im Namen der Wissenschaft.

In manchen Szenen funktioniert Die Vermessung der Welt noch als bissiger Rekurs auf das Goldene Zeitalter der Naturwissenschaften, als der Chauvinismus in Europa in voller Blüte stand. Humboldt ist ein Vorreiter des deutschen Kolonialismus, selbst wenn er in idiotischer Verblendung einer Gruppe von Sklaven die Freiheit erkauft. Mit solchen pointierten Widersprüchen aber hält sich der Film nicht lange auf. Man mag sich kaum vorstellen, was ein Exzentriker wie Werner Herzog, der seine distanzierte Betrachterposition niemals für den erstbesten Kalauer aufgeben würde, mit diesem Stoff angestellt hätte. Mit etwas Herzog-Humor wäre man vielleicht auf einen passenderen Titel gekommen. Die Vermessenheit der Welt, zum Beispiel.

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