Was für ein Applaus

BOB DYLAN Als sich bei der diesjährigen Oscar-Verleihung der Saal zum Applaus erhob, war es auf einigen Gesichtern zu sehen: ein gewisses Leuchten, Indiz für ...

Als sich bei der diesjährigen Oscar-Verleihung der Saal zum Applaus erhob, war es auf einigen Gesichtern zu sehen: ein gewisses Leuchten, Indiz für eine innere Euphorie, die diesen formal-feierlichen Moment mit authentischer, eigener Rührung verband. Was sonst nur auf anonymen Fan-Gesichtern zu lesen ist, zeigte sich auf einmal im Augenglanz üblicherweise selbst bewunderter und berühmter Persönlichkeiten. Es waren die eher vierzig- bis sechzigjährigen Stars, die es zur standing ovation von den Sitzen riss, als Bob Dylan auf der Leinwand erschien, live aus dem fernen Australien. Gemeinsam gelebte Geschichte schwappte als Emotion durch Raum und Äther. Manche müssen ihn mal sehr verehrt haben.

Zumindest habe ich das so gesehen. Wahrscheinlich, weil es mir selbst so erging. Von all den Helden, mit denen ich mich in der Jugendzeit beschäftigt habe, über die ich Informationen zusammentrug, die sich zu einem manchmal intimeren Wissen häuften, als ich es von nahen Freunden besaß, unzählige Bilder sammelte, die ihre Gegenwart in meinem Leben bekräftigten, von deren Entscheidungen, neue Platten aufzunehmen, meine eigene Stimmung und Lebenssicht wesentlich abhing, von all jenen Helden ist er mir heute am wenigsten peinlich.

Das mag zum einen daran liegen, dass schon damals Bob Dylan im Grunde die Anerkennung eines Hochkultur-Künstlers genoss - was ihn von all den anderen Helden an meinen Zimmerwänden unterschied. Dylan galt als "anspruchsvoll", sowohl politisch wie lyrisch, schließlich konnte es sich nur ein wahrer Poet leisten, als Musiker so gewollt dilettantisch in Erscheinung zu treten. Aber nicht nur wegen diesen Würden der Ernsthaftigkeit, die ihm früh zugesprochen wurden - und heuer zu seinem 60. ja fast überhand nehmen -, denke ich an die intensive, wenn auch einseitige Beziehung, die ich zu ihm einst pflegte, ohne Scham zurück. Dafür mit einer gewissen Wehmut darüber, zu solchem Fantum nicht mehr im Stande zu sein.

Denn von jenem bedeutungsvollen Wissen damals habe ich zum eigenen Erstaunen nahezu alles vergessen, selbst essentials, wie sein richtiger Name, sind mir nur noch passiv präsent. Wie bei einer verflossenen Liebe, die friedlich zu Ende ging und keine galligen Gefühle hinterließ, verfolge ich aus der Ferne den einst mir vertrauten Lebensweg, vernahm mit Erleichterung, dass er eine lebensbedrohliche Infektion überlebt hatte, freute mich von Herzen über den Grammy, hatte es zwar vor, aber kam nie dazu, das Album zu kaufen.

Schlage ich allerdings das vollgekritzelte Songbook auf, das mir damals half, die genölten Texte zu verstehen, sind die Dylanschen lyrics sofort wieder gegenwärtig: Komplizierte, eigenartige Verse, anders als die meisten Poptexte, weniger süßlich und viel weniger zugänglich. Über Like a Rolling Stone zum Beispiel habe ich mir den Kopf zerbrochen und könnte es noch. Durch vieles Hören sind manche Songs so angereichert mit Erinnerung, dass jedes objektive Urteil vorbei zielen würde. Dem Songbook sehe ich an, wie viel ich selbst damals hineingelegt habe, und bin heute irgendwie dankbar, dass Dylan dafür so eine komplexe Prokjektionsfläche bot. Popgeschichte funktioniert wohl genau auf diese Weise: über imaginäre Beziehungen von Zuneigung und Ablehnung.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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