Was für ein Publikum

BOB DYLAN Ein Mythos hatte sich Ende der achtziger Jahre im Treptower Park gezeigt, nur kurz, doch ich habe ihn gesehen, also so ein bisschen jedenfalls, von ...

Ein Mythos hatte sich Ende der achtziger Jahre im Treptower Park gezeigt, nur kurz, doch ich habe ihn gesehen, also so ein bisschen jedenfalls, von weitem. Bob Dylan war in die DDR gekommen, nach Berlin (Ost). So viel steht fest. Da das eigene sich schwer tut, bemühe ich das kollektive Gedächtnis, telefoniere mit Freunden, befrage Kollegen, von denen ich vermute, dass selbstverständlich auch sie damals dabei waren. "Ich hatte keine Karte", bellt mich L. durchs Telefon an, "die gab´s doch nur über die FDJ-Kreisleitungen und in den Betrieben!" War das wirklich so, wo hatte ich dann meine her? D. sagt: "Ja, klar, ich wollte hingehen, aber ich hatte an dem Tag keine Zeit. Frag mal H., die war bestimmt da." Bei H. ist besetzt. B. erinnert sich an ganz dicke Background-Sängerinnen in wallenden transparenten Gewändern. T. meint, er hätte hinter den Massen gestanden und nix gesehen, außerdem wäre seine Frau hochschwanger gewesen. H. telefoniert immer noch. Aus R. sprudelt´s, "erst kam der Typ ewig nicht, dann nicht mal ein ›Hallo‹ oder so was, total mufflig oder voll im Stoff, keine Ahnung, bringt ein paar Titel und weg, keine Zugabe, nischt."

Bei den meisten schwingt ein enttäuschter Unterton mit. Oder bilde ich mir das nur ein? Schließlich habe ich es mit zeitlich zurückliegenden Wirklichkeitskonstruktionen zu tun. Und wie Ostdeutsche ihre Geschichte rekonstruieren oder konstruieren wissen wir ja nun. Soziologen haben es hinlänglich oft untersucht und publiziert. Da halte ich es doch lieber mit den Historikern und suche nach sogenannten Überrestquellen. Und richtig, im Sonntag 40/1987 schreibt Christoph Dieckmann "Was war das für ein Publikum, die ...zig Tausende, die am Abend des 17. September in den Treptower Park strömten. Sie wollten nicht nur Bob Dylans Musik. Die Jungen suchten die Legende der Alten und diese wiederum den Tonband- und Plattentroubadour aus Tausend Rotweinnächten." Harald Hauswald hatte ein Foto geschossen, auf dem Bob Dylan, Roger McGuinn, Tom Petty The Heartbreakers Gitarren und Schlagzeug malträtieren. Was entdecke ich ganz rechts in der Ecke: drei dunkelhäutige schwergewichtige Frauen in flatternden, durchsichtigen Gewändern! B. hatte Recht mit seiner Wirklichkeitskonstruktion und plötzlich ist es wieder da, dieses Gefühl der Ernüchterung nach dem Konzert. Das also war Bob Dylan! Der musikalische Begleiter langer Feten-Nächte. Nicht einmal die Erde hatte gebebt.

Mit Freunden waren wir zurück über die Elsenbrücke in unsere Friedrichshainer Wohnung gelaufen. Zu Hause angekommen öffneten wir eine Flasche "Rosenthaler Kardarker" und hörten "The Times They Are A-Changin", von unserem Tonbandtroubardour, wie immer.

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