Was für ein Schwindel

Beobachtungen vor der Irak-Wahl Irgendwie merkwürdig erscheint auch alles andere im Flughafen von Beirut, einem neuen Komplex ganz aus Glas und Stahl. Als ich hier nach Bagdad ...

Irgendwie merkwürdig erscheint auch alles andere im Flughafen von Beirut, einem neuen Komplex ganz aus Glas und Stahl. Als ich hier nach Bagdad einchecken will, treffe ich betrübte Amerikaner, Angehörige von privaten Sicherheitsdiensten, deren vergnügtes Wochenende "an den Fleischtöpfen" nun zu Ende geht. Ich sehe libanesische Geschäftsleute, die genauso verängstigt sind wie ich. Jenseits von Sicherheitsschleuse und "Duty-free-shop" gehen wir zu jenem Gate, das auch die Mekka-Pilger benutzen. Ein kleiner blauer Bus bringt uns zum Flugzeug. Der zerbombte Frachthangar, die Erinnerung an Beiruts eigenen vergessenen Krieg, ist deutlich zu sehen.

Ich brauche eine Weile, um den symbolischen Charakter der Szenerie zu begreifen. Erst als ich im Flugzeug sitze, fällt mir ein, dass nur einige hundert Meter entfernt die alte US-Marinebasis von einem Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt wurde. Damals, am 23. Oktober 1983, starben 242 Amerikaner. Ich erinnere mich noch, wie sich der Luftdruck in meinem Beiruter Apartment zur Zeit der Explosion veränderte, und wie ich, einige Tage später, aus dem Munde von Vizepräsident George Bush senior inmitten der Trümmer hörte: "Wir werden nicht zulassen, dass eine Gruppe von terroristischen Feiglingen die Außenpolitik der Vereinigten Staaten verändert."

Was für ein Schwindel - innerhalb weniger Monate entschied Präsident Reagan, dass die Marines nur noch auf Schiffen stationiert sein durften. Ein Manöver, das an andere "große Siege" wie seinerzeit Napoleons Truppenrückzug vor Moskau erinnerte. Während mir diese ketzerischen Gedanken in den Sinn kommen, fliegen wir über die schneebedeckten libanesischen Berge, überqueren die syrische Grenze und fliegen weiter östlich über die dunklen, tiefbraunen Wüsten Syriens und des Irak. Ich schlage meine Morgenzeitung auf. Da sehe ich George Bushs selbstgerechten Sohn, wie immer mit diesem dümmlichen Lächeln. Er lässt der Welt mitteilen: Es gibt da noch ein paar Probleme im Irak, aber die Wahlen werden am 30. Januar auf jeden Fall stattfinden. Die Gewalt werde man besiegen, und die üblen Burschen hätten keine Chance, den Marsch der Demokratie zu stoppen. Auch Bush junior "will nicht zulassen, dass eine Gruppe von terroristischen Feiglingen die Außenpolitik der Vereinigten Staaten verändert".

Was für ein Schwindel. Als wir auf dem Boden des großen demokratischen Experiments von George Walker Bush landen, sieht natürlich alles ganz anders aus. Kein Wunder, denn hier in Bagdad freut man sich auf die Wahlen mit dem gleichen Enthusiasmus wie seinerzeit die Menschen in Dresden, als die ersten Lancaster-Bomber über dem Elbetal auftauchten.

Der Flughafen von Bagdad ist voll von Söldnern und freundlichen, gleichfalls schwer bewaffneten britischen Elitesoldaten. Ganz in der Nähe des Terminals hängt ein riesiges Poster, das eine Szene nach einem Attentat in der Hauptstadt festhält, ganz unten rechts zeigt es den Körper einer halbnackten Frau. Im Text unterhalb dieser obszönen Szene heißt es auf Arabisch: "Sie wollen unser Land zerstören, nicht einmal Schulen werden geschont. Diese Hunde wollen unsere Kinder in Unwissenheit halten, um ihnen dann Hass und Feindschaft predigen zu können. Wir brauchen die Hilfe der multinationalen Streitkräfte, um zu zeigen, dass wir alles tun werden, um unser Land zurückzubekommen und die Killer und Plünderer auszurotten. Für ihre schrecklichen Verbrechen gegen das friedfertige irakische Volk werden wir sie zur Verantwortung ziehen. Das irakische Volk weigert sich, Opfer des Terrors zu sein, weil wir eine starke Gemeinschaft sind, die niemals sterben wird."

Was für ein Schwindel. Die Iraker wollen Sicherheit, keine Frage. Aber immer mehr Bürger des Landes unterstützen die "Hunde" und immer weniger setzen auf die multinationale Streitmacht, weil sie - wie man gerade in Bagdad und in den sunnitischen Provinzen weiß - eine Armee von Bushs Gnaden ist. Natürlich zeigen die Meinungsumfragen, dass eine Mehrheit der Iraker durchaus einen Teil der von Mr. Bush versprochenen Demokratie möchte. Demokratie wollten sie schon, als wir Amerikaner noch dem Killer-Regime von Saddam Hussein zur Seite standen. Meinungsumfragen zeigen auch, dass die meisten Menschen im Irak vor den Mördern und Plünderern geschützt werden wollen.

Eine überwältigende Mehrheit im Lande würde sogar, kein Zweifel, einen amerikanischen Pass akzeptieren, um endlich in Ruhe leben zu können. Ich glaube in der Tat, dass der sicherste Weg, den Krieg in diesem Land zu beenden, darin bestünde, jedem Iraker die amerikanische Staatsbürgerschaft zu geben, genau so wie es die Römer mit den eroberten Völkern taten. Das allerdings ist wohl eine Idee, die Herrn Bush und den Architekten seines Empires nicht gefällt, und deshalb müssen die Iraker mit einer "Demokratie" zurechtkommen, die sehr viel Gewalt, aber weder Elektrizität noch Benzin zu bieten hat.

Die Schiiten warten seit zwei Jahren ungeduldig auf die Wahlen. Paul Bremer, der erste Prokonsul der USA in Bagdad, verweigerte sie unmittelbar nach der Invasion im Frühjahr 2003. Die Abstimmung hätte ohne große Gewalt stattfinden können, allerdings mit dem Ergebnis einer schiitischen Theokratie. Die Kurden warten ebenfalls darauf, ihren eigenen kleinen Staat im Norden zu legitimieren. Aber ohne die Beteiligung der sunnitischen Moslems werden die Wahlen zwar freier als unter Saddam Hussein, aber nicht repräsentativer sein. Die Amerikaner drohen bereits damit, einige handverlesene, nicht gewählte Sunniten in das Parlament zu entsenden.

Wenn am Wahltag und danach die Gewalt weiter zunimmt, werden Bush und Blair verkünden: Die Mörder und Plünderer sind wütend, weil die Demokratie voranschreitet. Und: "Wir werden nicht zulassen, dass eine Gruppe von terroristischen Feiglingen die Außenpolitik der Vereinigten Staaten verändert." Was für ein Schwindel.

Die wichtigsten irakischen Wahllisten (Teil 2)

ListeListe IrakerKurdische AllianzListe Einheit des Volkes

Spitzenkandidat(en)Ghazi Ajeel al-Yawer (Interimspräsident)Masud Barsani (Oarteichef KDP), Jalal Talabani (Parteichef PUK) Hamid M. Mousa (Nat. Sekret. der ICP), Mufid al Jaza´iri (Kulturminister

Zahl der nominierten Kandidaten250165275

vertretene Parteienkeine Parteien, sondern Einzelpersönlichkeiten, unter anderem Hazim al-Sha´lan (Verteidigungsminister), Hachim al-Hassani (Industrieminister)Kurdische Demokrat. Partei (KDP), Patriotische Union Kurdistans (PUK), Kurdische Islamische Union (KIU) und neun ParteienKommunistische Partei des Iraks (ICP)

Programm
nationaler Wiederaufbau und nationale Einheit, Abzug aller fremden Truppen und Ersetzung durch Kontingente der UNOFöderaler Staat mit drei Gliedstaaten (Autonomes Kurdistan, Vilayet Bagdad, Vilayet Basra), säkulares System, nationaler Wiederaufbaudemokratischer säkularer Staat, nationale Einheit, Abzug aller ausländischer Truppen, sobald die öffentliche Sicherheit wiederhergestellt ist

Orientierungsäkular und religiös (sunnitisch)säkular und religiös (Schiiten)säkular

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