Wachpersonal am Eingang zur Ausstellung untersucht die Bewohner nach Waffen oder sonstigen gefährlichen Gegenständen. Damit kommt man, ohne es zu merken, mit der ersten künstlerischen Arbeit in Berührung. Die uniformierten Frauen und Männer sind Teil der Performance To protect and to serve von Marc Bijl. Das mulmige Gefühl zwischen Scham und Ängstlichkeit, das sich bei einer solchen Prozedur einstellt, steigert die Spannung für eine Schau, die man im Hygiene-Museum gewiss nicht erwartet hätte: Die Zehn Gebote. Doch das im April neu eröffnete Haus spannt den Bogen von der Reinlichkeit zum Seelenheil. Jetzt zeigt es Kunst, die sich mit den Grundregeln der drei großen monotheistischen Religionen - Judentum, Christentum, Islam - aus heutig
slam - aus heutiger Sicht befasst. Zu sehen sind rund hundert Werke siebzig internationaler Künstler - meist aus Europa, USA und dem Nahen Osten.Konzipiert hat die spektakuläre Schau Klaus Biesenbach, rühriger Betreiber der Kunstwerke und Gründungsdirektor der Berlin-Biennale. Thematische im strengen Wortsinne ist sie nicht. Der Bezug zum Dekalog ergibt sich aus dem Gesamtkontext der Ausstellung, die sich, dem mosaischen Regelwerk gemäß, in zehn Abteilungen gliedert. Biesenbach erläutert: "Die gezeigten Kunstwerke sind nicht in direkter Auseinandersetzung mit den einzelnen Geboten entstanden, sie illustrieren sie nicht, sondern wurden vielmehr so ausgewählt, dass sie Sichtweisen auf gesellschaftliche, ethische Spannungsfelder der heutigen Welt zeigen." Meist handelt es sich um fotografische Arbeiten, Videos und Installationen. Malerei und Skulptur sind Randphänomene.Im Raum zum Ersten Gebot "Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst keinen anderen Götter haben neben mir" scheinen die Konkurrenten auf: Vergötzung des Körpers in Fitness-Magazinen, deren Deckblätter Sylvie Fleury vergrößert hat; Ich-Kult in "A Portrait of the Artist as a Weeping Narcissus" (nach James Joyce) von Olaf Nicolai, der sich als lebensgroße Polyester-Plastik in tränenreicher Selbstbespiegelung darstellt; der Tanz ums Goldene Kalb Mammon, für den Tim Noble und Sue Webster das Bild eines riesigen Dollarzeichens aus blinkenden Lampen prägten. Bei Paul Pfeiffer ist immer der Ball im Bild: In seinem Video hat er ein Basketballspiel durch digitale Bearbeitung allein auf die Bewegung des begehrten gottähnlichen Objekts fokussiert. Seine Arbeit ist schon dem Zweiten Gebot "Du sollst Dir kein Bildnis machen" zugeordnet. Hier ist auch der von Armin Linke fotografierte Hangar des Cargo Lifters zu sehen. Sein riesiges Gewölbe, unter dem ein Tropenfreizeitpark entstehen soll, korrespondiert mit dem bestirnten Himmelsfirmament von Thomas Ruffs Lichtbildern.Die im Video gezeigte Aktion Wenn der Glaube Berge versetzt von Francis Alÿs, der in einer armen Gegend von Peru Hunderte von freiwilligen Schauflern eine Sanddüne um zehn Meter verschieben ließ, gehört zum Gebot, den Namen des Herrn nicht zu missbrauchen. Die von Erik Steinbrecher fotografierten, auf Parkwiesen ausruhenden oder schlafenden Menschen werden mit dem Gebot "Du sollst den Feiertag heiligen" in Verbindung gebracht. Die bemalte Harzplastik von Tony Matelli, ein altersloses Paar, dunkelhäutig und ausgemergelt, gehören wie die in Aleksandr Sokurovs Video, in dem ein Sohn seine Mutter in den Tod begleitet, zum Fünften Gebot "Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren".Nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen - sie sind wohl die einprägsamsten Gebote. Das Kinderfahrrad, das Carsten Höller zur Selbstmordbombe umfunktioniert und Fotos scheinbar unschuldiger Battlefields von Nebosja Seric-Shoba erinnern an das große Tabu der Menschheit. Das auf dem Boden liegende, ein Liebesspiel nur imaginierende Paar aus Jeans und Slips von Elmgreen Dragset und die im Video von Adel Abdessemed vorgeführten realen Paarungen in einer Galerie geben der Monogamie keine Chance mehr. Ein Haufen in sich verbundener Sicherheitsschlösser von Kendell Geers und der goldglitzernde Bonbon-Teppich von Felix Gonzalez-Torres (Mitnahme erlaubt!) lassen über Privatbesitz und Eigentum nachdenken."Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten" bildet den Hintergrund für die von Gianni Motti vorgeführten dokumentarische Agenturfotos aus der Serie Collateral Damage: Rauchschwaden in schönen Landschaften verraten nichts vom Krieg, wenn der Entstehungszusammenhang entfällt. Daniela Rossells Fotos theatralisch ausstaffierter Wohnungen von Neureichen kontrastieren mit den endlosen, von Armen nach Verwertbarem durchsuchten Müllhalden im Großfoto von Andreas Gursky - beide Male ist Mexiko Schauplatz. Sie gehören zum letzten (Auf)Gebot "Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Haus...".Die um einen Aktionsraum ergänzte Ausstellung (zum Beispiel Religion als Softwarepaket der Gruppe Usine de Boutons) ist dramaturgisch spannungsreich, bisweilen beeindruckend. Doch Austauschbarkeit dominiert. Manches ist plakativ, anderes offen für alles. Am Eingang gedrängt platzierte Weltkarten mit Statistiken zu Kosmetikkult, Drogenkonsum, Religionskriegen, Sexindustrie (im Katalog vor den Kapiteln platziert und englisch beschriftet!) stellen kurzschlüssige Verbindungen zu heutigen globalen Problemen her. Was politisch korrekt wirkt, überdehnt den Bedeutungshorizont von Geboten wie Kunstwerken bei weitem. Auch der als "Kulturhistorischer Prolog" mit Bibel, Koran, Torarolle und historischen Gemälden angefüllte Eingangsraum erscheint willkürlich und aufgepfropft. Die Konfusion wird mithin im umfangreichen Katalog deutlich, der nicht nur von der Ausstellung abweicht, sondern auch intern viele Unstimmigkeiten aufweist, Künstlerbiografien beschränken sich zudem auf ein Minimum. Hier wurde mit heißer Nadel gestrickt, um ein trendiges Thema mediengerecht in Szene zu setzen.Die Zehn Gebote. Deutsches Hygiene-Museum Dresden, bis 5. Dezember; Katalog, Verlag Hatje Cantz, 24,80 EUR