HOMO-EHE Während Rot-Grün sein umstrittenes Gesetz im Bundesrat noch retten will, belegt eine erst jetzt veröffentlichte Studie des Justizministeriums, dass Lesben und Schwule flexible Möglichkeiten zur rechtlichen Ausgestaltung ihrer Beziehungen bevorzugen
An Jubel hatte es nicht gefehlt: Einen "Durchbruch" meldete der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) nachdem der Gesetzentwurf zur Homo-Ehe am "historischen Tag" des 1. Dezember 2000 in Bundesrat verhandelt worden war. "Die Eingetragene Lebenspartnerschaft kommt!" Obwohl die tageszeitung schon einen Monat vorher glaubte mitteilen zu können, man dürfe sich nun "sehr freuen", half der Zweckoptimismus wenig. Das "schwule Jawort zum Staat" (Berliner Zeitung) hat den Bundesrat nicht passiert - es ist dort als "Torso" (Die Welt) gescheitert.
Derzeit müht sich die Regierungskoalition im Vermittlungsausschuss des Bundesrats zwar noch, zu retten, was zu retten ist, aber der Zug in Richtung Gleichstellung homosexueller Beziehungen ist längst abgefahren. Für den L
ängst abgefahren. Für den LSVD sieht der "große Etappensieg" nach zehnjährigem Kampf um "gleich viel Recht für gleich viel Liebe", "Hochzeits-glocken auf dem Standesamt" und "einen Himmel voller Sahnetorten" reichlich mager aus. Selbst die treuen Homoblätter sind inzwischen umgeschwenkt. Im Dezember bescheinigte etwa die Berliner "Siegessäule" dem Gesetz nur noch eine "geringfügige Attraktivität". Ein Kölner Blatt titelte nicht unrichtig, der Bundesrat habe die Homo-Ehe "abgelehnt".Die Szenepresse hätte es freilich besser wissen können. Der emanzipatorische Flügel innerhalb der Lesben- und Schwulenbewegung hatte immer wieder strikte Ablehnung an dem maßgeblich vom LSVD propagierten "integrationistischen" Vorhaben deutlich gemacht, Erklärungen veröffentlicht und sogar zwei landesweite Gegenkampagnen gestartet. Konnte Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin die Kritik der unbotmäßigen Verbände - etwa des Lesbenrings, immerhin die größte Lesbenorganisation im Land - noch dadurch unschädlich machen, dass sie diese im Herbst 1999 explizit von ihren Beratungen mit den Homoverbänden ausschloss, wogen die zahllosen Einwände der Rechtsexperten, vor allem in Bezug auf die offensichtliche Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, schon schwerer. Der Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für internationales Privatrecht, Prof. Hein Kötz, bezeichnete das Werk im Rechtsausschuss am 19. September unumwunden als "barocke Lösung", bei der sich das Justizministerium "wohl etwas gedacht" habe, man wisse "leider nur nicht genau was". Was denn überhaupt eine "gleichgeschlechtliche Identität" sein soll, die das Gesetz zur Voraussetzung mache, wurde da beispielsweise gefragt.Linke Homo-Gruppen wandten hingegen ein, die registrierte Partnerschaft käme einem erzwungenen Outing gleich und erinnerten daran, dass der Schwulenparagraph 175 in Deutschland erst Mitte der neunziger Jahre abgeschafft worden sei. Das neue "Sonder-gesetz" trage "alle Merkmale einer offiziellen rosa Liste".Eine umfangreiche, in diesen Tagen im Bundesanzeiger-Verlag erscheinende sozialwissenschaftliche Studie zur "Benachteiligung gleichgeschlechtlich orientierter Personen und Paare" belegt nun, dass die Juristen mit ihrer im Ausschuss vertretenen Ansicht, man solle doch alle gelebten Beziehungsformen gleichermaßen absichern, gar nicht so weit vom tatsächlichen Bedarf entfernt sind. "Neun von zehn Befragten sprechen sich dafür aus, dass allen Lebenspartnerschaften mehrere gesetzliche Möglichkeiten für eine rechtliche Absicherung zur Wahl gestellt werden sollten", fasste die Bundesregierung deren Ergebnisse in der Antwort auf eine Kleine Anfrage Christina Schenks (PDS) vom 6. September kleinlaut zusammen (BT-Drucksache 14/4044). Neun von zehn favorisieren also etwas ganz anderes als ein Rechtsinstitut, wie es mit der Eingetragenen Lebenspartnerschaft geschaffen wurde.Für Schenk, die das alternative "Wahl-verwandtschaften"-Konzept ausarbeitete, ist klar, warum die Expertise, die doch eigentlich "Hintergrundinformationen für politische Maßnahmen und gesetzliche Veränderungen" liefern und "für die politische Diskussion bereitstellen" sollte, einer breiteren Öffentlichkeit erst nach Verabschiedung des Gesetzes bekannt gemacht wird. "Das Konzept der Eingetragenen Partnerschaft passt nicht zu den Ergebnissen dieser Erhebung, die Rot-Grün anscheinend nicht ohne Absicht in dem Diskussionsprozess um die Eingetragene Lebenspartnerschaft völlig ignorierte. Lesben und Schwule sind mehrheitlich die schärfsten Kritiker der Eingetragenen Lebenspartnerschaft."Ganz so einfach ist die Sache allerdings nicht. Denn die mit der Untersuchung beauftragte Sozialwissenschaftliche Forschungsstelle der Universität Bamberg (SOFOS) kann in der Einzelbewertung verschiedener möglicher Rechtsinstitute durch die Befragten auch eine überwiegende Zustimmung für die Öffnung der bürgerlichen Ehe nachweisen. Fast 50 Prozent aller Befragten finden die Idee "sehr gut", 30 Prozent "ziemlich gut". Lösung des Paradoxons: Die Zustimmung zu dieser "gesetzlichen Möglichkeit" variiert mit der tatsächlich gelebten oder gewünschten Lebensform: Lesben und Schwule, die ohnehin in einer festen, eheähnlichen Beziehung leben, gaben ihr folglich mit 90 Prozent die höchste Zustimmung, überzeugte Singles dagegen nur mit etwa 60 Prozent. Und: "Die gegenseitige [finanzielle] Unterstützungsbereitschaft ist laut Angabe der Befragten groß." Dies zu erfahren, lag dem Justizministerium beim rot-grünen "Projekt der Moderne" offenbar besonders am Herzen.Ausgangsmaterial für die Studie waren 2.900 ausgefüllte Fragebögen, von denen der Auftraggeber aber nur 581 auswerten ließ. Nach dem ursprünglichen Willen des Justizminis-teriums - die Studie wurde noch von der Kohl-Regierung in Auftrag gegeben - sollten es gar nur 300 sein. Eine Repräsentativität der Daten auf dieser Basis war, so merken die Autoren an, allerdings "nie das Ziel". Hier stellt sich die Frage, warum eine solche Untersuchung dann überhaupt gemacht wird. Bestand überhaupt ein Interesse daran, brauchbare Daten zu erhalten?Die Gefahr, mit der Vorlage von Zahlen zum Heiratswunsch Homosexueller lediglich Erfüllungshilfe für ein umstrittenes Gesetz zu leisten, war den Sozialwissenschaftlern wohl bewusst. Sie ließen daher die Befragten - 375 Männer und 206 Frauen, 80 Prozent West- und 13 Prozent Ostdeutsche - "gesetzliche Modelle für ein Rechtsinstitut" und "Meinungen zu weiteren gesetzlichen Maßnahmen" in Bezug auf "Rechtsinstitute für verschiedene Lebensweisen" unabhängig von einander bewerten und boten in ihrem 57-seitigen Erhebungsbogen 66 "offene" Fragen an. Eine sinnvolle Differenzierung, denn im Frühjahr 1999, zum Zeitpunkt der Erhebung, debattierte die Politik bereits ausschließlich die Homo-Ehe.Über diesen Komplex hinaus sammelten die Wissenschaftler bei Lesben und Schwulen umfassende Daten "ganz allgemein zu ihrer Lebenssituation": "Es geht um die persönlichen Erfahrungen von Lesben und Schwulen mit Benachteiligung bzw. Akzeptanz in alltäglichen Situationen, z. B. am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, der Familie, bei Behörden; es geht um die Auswirkungen bestehender Gesetze, ... ihre Freundschaften und [ihre Vorstellung von] Partnerschaft." Im Ergebnis ist die "Bamberger Studie" die umfassendste und detaillierteste, die hierzulande über die Lebensweisen von Lesben und Schwulen erhoben wurde und gerade das macht sie in der Szene suspekt. Sie sei "inhaltlich einseitig, methodisch zweifelhaft und keinesfalls repräsentativ" urteilt die von der Feministin Gita Tost mitbegründete Anti-Ehe-"Schlampagne".Tost hatte schon im Frühjahr 1999 zum Boykott gegen die "unterschwelligen Absichten dieser Studie" aufgerufen. Nicht ganz zu Unrecht: Der Ehe-Lobbyist LSVD und andere konservative Homo-Verbände hatten über eine SOFOS-"Arbeitsgruppe" indirekte und deren als "Experten" befragte Funktionäre direkte Einflussmöglichkeiten auf das Projekt.Weitaus schlimmere Bedenklichkeiten als in soziologischen Studien manifestieren sich derzeit aber an ganz anderer Stelle: im neuen Datenschutzgesetz. Dessen Änderungsentwurf wurde am 12. Oktober vergangenen Jahres vorgelegt und plant künftig nicht nur die "rassische [!] Herkunft" amtlich zu erfassen, sondern auch das "Sexualleben" - und zwar unabhängig von der sexuellen Orientierung.Die SOFOS-Studie "Benachteiligung gleichgeschlechtlich orientierter Personen und Paare" erscheint Mitte Januar in der Reihe "Rechtstatsachenforschung" des Justizministeriums im Bundesanzeiger-Verlags.
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