Wer erinnert sich noch an Herfried Münkler? Der Inhaber eines Lehrstuhls für politische Ideengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität war 2015 ins Visier kritischer Beobachter*innen geraten und musste erleben, wie seine Lehrveranstaltungen im Netz kommentiert und bewertet wurden. Gewiss nicht einfach: Denn die Observatoren blieben anonym und verweigerten die Diskussion. Obwohl die mediale Aufmerksamkeit lastete und sogar das öffentlich-rechtliche Fernsehen anrückte, hielt Münkler seine Lehrveranstaltungen ab.
Nun allerdings gehört er nicht zu den 72 Mitgliedern des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, das in der vergangenen Woche einige Aufmerksamkeitswellen schlug. Vielleicht auch, weil Münkler emeritiert ist und die verbündeten Kultur- und Sozialwissenschaftler*innen aktive Hochschullehrer*innen gewinnen wollten. Ihre Diagnosen sind weitreichend: „Cancel Culture“ und „Political Correctness“ hätten die „freie und kontroverse Debatte auch von Außenseiterpositionen vielerorts an den Universitäten zum Verschwinden gebracht“. Deshalb müssten die Voraussetzungen freiheitlicher Forschung und Lehre verteidigt und eine von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur eingefordert werden. Wer wollte da widersprechen?
Irritierend sind jedoch nicht nur die schwammigen Formulierungen, nachdenklich macht auch die Besatzung: 70 Mitglieder sind Professor*innen und also hoch qualifizierte Wissenschaftler*innen, die sich in ihren Disziplinen durchgesetzt haben und einen Lehrstuhl besetzen. Wer die Verhältnisse in deutschen Universitäten kennt, weiß, dass es ziemlich hierarchische Institutionen mit strikt reglementierten Prozeduren sind: Qualifikationsschritte und Aufstiegswege sind hier ebenso fixiert wie Prozeduren in Instituts- und Fakultätsräten; von festgezurrten Verhältnissen der sogenannten Statusgruppen in Gremien und Kommissionen ganz zu schweigen. So besitzt die Professor*innenschaft in allen entscheidenden Gremien der deutschen Hochschulen immer eine Stimme mehr als Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Mitarbeiter*innen in Technik, Service und Verwaltung zusammen (Verhältnis: 4:1:1:1). Alle diese Bestimmungen sichern ein Prinzip, das grundgesetzlich garantiert wird: die Freiheit von Forschung und Lehre. Wenn verbeamtete und mächtige Professor*innen nun also antreten, um die Voraussetzungen freiheitlicher Forschung und Lehre zu verteidigen: Was läuft da schief?
Zweifellos muss über die Veränderungen an den Universitäten im Zuge neoliberaler Umgestaltung gesprochen werden. Ebenso notwendig ist die Diskussion über davon geprägte Verhaltensformen, bis hin zu präventiven Selbstbeschränkungen. Doch betreffen diese Dissoziationen nicht vor allem Nachwuchswissenschaftler*innen, die aufgrund limitierter Karrierechancen und erhöhten Konkurrenzdrucks ein spezifisches Achtsamkeitsverhalten entwickeln? Noch fragt die Kritik an Positionen nicht nach Besitzständen und asymmetrischen Machtverhältnissen an Universitäten. Wenn die Professor*innen zu gemeinsamem Widerstand mobilisieren wollen: dann mit offenen Worten und gemeinsam mit den Angehörigen der Universität. Letzten Endes spiegeln die Vorgänge dort jene Prozesse einer fortschreitenden Polarisierung wider, die auch in der Gesellschaft stattfinden. Daraus lässt sich einiges lernen. Und vielleicht besser machen.
Kommentare 4
Wenn sich deutsche Professoren zur Rettung der glorreichen abendländischen Kultur zusammenfinden, sollten immer alle Alarmglocken schrillen, auch wenn sich in jüngerer Zeit mehr Professorinnen darunter befinden. Und auch wenn bestimmt ein großer Anteil (nicht alle!) sich als eher linksliberal fühlt.
Ein klassisches Beispiel war das "Manifest der 93" Professoren deutscher Universitäten, in dem diese das Massaker an Einwohnern und Kulturgütern der belgischen Universitätsstadt Leuwen 1914, verübt durch Truppen des kaiserlichen Heeres, als einen notwendigen Akt der Verteidigung der deutschen Kultur hinzustellen versuchten. Unterschrieben haben u.v.a. auch ein Peter Behrens, ein Max Klinger, ein Gerhart Hauptmann, ein Max Liebermann, die allesamt später nicht gerade als nationalistische Hetzer galten.
In den 1960er/70er Jahren gab es hin und wieder auch mal eine Professoreninitiative, die tatsächlich einen emanzipatorischen oder Anti-diskriminierungs-Effekt wollte. Dass die nicht alle gleich von den Unis flogen, wird heute von rechts gern als generelle Machtübernahme von links interpretiert. Na ja, keine Angst, Leute, die wollen zwar nicht - wie ihr - das Abendland retten (oder doch?), aber die wollen auch bloß einen angenehmen Status Quo bewahren. Konservative aller Couleur, vereinigt euch!
Irgendwie am Thema vorbei: Klausnitzer wirft der Professoreninitiative vor, sich um die Debattenkultur zu kümmern statt für die sozialen Belange anderer Uni-Mitglieder (Beispiel: Entfristung) einzutreten. Das geht an der Sache vorbei. Besser wäre, die Linken würden sich mal ihrerseits um die Debattenkultur kümmern und zur Sachdebatte zurückkehren statt nur Gendersternchen nachzuzählen. Denn wenn man die Sorge um die Debattenkultur den Professoren überläßt, dann wird es nicht besser. Das letzte Mal, als 600 Ökonomieprofessoren sich zu einem Manifest zusammenfanden, da war die AfD-Gründung das politische Resultat.
Den Schwenk zum Neoliberalismus finde ich in diesem Zusammenhang etwas gar billig. Als Legitimation für die Maulschellen an den Unis taugt er keinenfalls. Warum sich verwöhnte Kids aus dem oberen Mittelstand plötzlich dazu berufen fühlen, sich als moralische Instanz aufzuführen, bleibt abzuklären. Womöglich handelt es sich hier auch um Schichtproblem. Das halte ich sogar für sehr wahrscheinlich.
Universitäten waren schon immer auch ein Ort politischer Aktivitäten. Häufig gehen gesellschaftliche Veränderungen von Universitäten aus. Dabei konnte die Studentenschaft meistens auf eine breite Unterstützung der Gesellschaft zählen. Heute ist das anders: Die kritischen Strömungen aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften werden von den Medien, der Kultur und der Politik zwar brav und zumeist unkritisch portiert, stossen in Teilen der Bevölkerung aber langsam auf wachsende Ablehnung. Zu nennen wären da z. B. all die Gender-Scharmützel (Ampelfrauchen statt Männchen, die Stud_ent:Innen/innen/*innen/x). Aber auch die drohende Verdachtskultur an vielen Unis, die Cancel Culture, die es de facto tatsächlich gibt, wie zahlreiche grössere Skandale und Skandälchen rund um Fruchtsäfte mit „falschen“ Etiketten oder die unzähligen Shitstorms um „falsche“ Aussagen von Exponenten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zeigen, erfreuen sich- ausser in der akademischen Filterblase natürlich- nicht gerade grosser Beliebtheit.
Es wird Zeit, den Reset-Knopf zu drücken. Die freie Lehre muss auch weiterhin ein hohes, anzustrebendes Gut bleiben: Sie ist heilig! Von der Meinungsfreiheit ganz zu schweigen. Es rumort im gesellschaftlichen Gebälk. Davon zeugen auch zahlreiche Aufrufe und Aktionen von Intellektuellen für mehr Meinungsfreiheit! Dazu gehören auch und vor allem mehr Mut zum Widerspruch, kontrovers geführte Debatten und ein möglichst breites Panoptikum von Ansichten.
tja, die sorgenfrei-verbeamteten führer ihres fachs,
mit hierarchischen befugnissen, reagieren zuweilen nicht nur auf rivalen
in der wissenschafts-community/gelehrten-republik,
sondern auch gegen reaktionäre tendenzen:
-->" göttinger sieben"(wikipedia)