Was läuft an der Uni schief?

Lehre Ein Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen sieht sich bedroht und in der Ausübung ihrer Tätigkeit zunehmend eingeschränkt. Warum?
Ausgabe 06/2021
Letzten Endes spiegeln die Vorgänge an der Universität jene Prozesse einer fortschreitenden Polarisierung wider, die auch in der Gesellschaft stattfinden. Daraus lässt sich einiges lernen
Letzten Endes spiegeln die Vorgänge an der Universität jene Prozesse einer fortschreitenden Polarisierung wider, die auch in der Gesellschaft stattfinden. Daraus lässt sich einiges lernen

Foto: Ingimage/IMAGO

Wer erinnert sich noch an Herfried Münkler? Der Inhaber eines Lehrstuhls für politische Ideengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität war 2015 ins Visier kritischer Beobachter*innen geraten und musste erleben, wie seine Lehrveranstaltungen im Netz kommentiert und bewertet wurden. Gewiss nicht einfach: Denn die Observatoren blieben anonym und verweigerten die Diskussion. Obwohl die mediale Aufmerksamkeit lastete und sogar das öffentlich-rechtliche Fernsehen anrückte, hielt Münkler seine Lehrveranstaltungen ab.

Nun allerdings gehört er nicht zu den 72 Mitgliedern des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, das in der vergangenen Woche einige Aufmerksamkeitswellen schlug. Vielleicht auch, weil Münkler emeritiert ist und die verbündeten Kultur- und Sozialwissenschaftler*innen aktive Hochschullehrer*innen gewinnen wollten. Ihre Diagnosen sind weitreichend: „Cancel Culture“ und „Political Correctness“ hätten die „freie und kontroverse Debatte auch von Außenseiterpositionen vielerorts an den Universitäten zum Verschwinden gebracht“. Deshalb müssten die Voraussetzungen freiheitlicher Forschung und Lehre verteidigt und eine von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur eingefordert werden. Wer wollte da widersprechen?

Irritierend sind jedoch nicht nur die schwammigen Formulierungen, nachdenklich macht auch die Besatzung: 70 Mitglieder sind Professor*innen und also hoch qualifizierte Wissenschaftler*innen, die sich in ihren Disziplinen durchgesetzt haben und einen Lehrstuhl besetzen. Wer die Verhältnisse in deutschen Universitäten kennt, weiß, dass es ziemlich hierarchische Institutionen mit strikt reglementierten Prozeduren sind: Qualifikationsschritte und Aufstiegswege sind hier ebenso fixiert wie Prozeduren in Instituts- und Fakultätsräten; von festgezurrten Verhältnissen der sogenannten Statusgruppen in Gremien und Kommissionen ganz zu schweigen. So besitzt die Professor*innenschaft in allen entscheidenden Gremien der deutschen Hochschulen immer eine Stimme mehr als Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Mitarbeiter*innen in Technik, Service und Verwaltung zusammen (Verhältnis: 4:1:1:1). Alle diese Bestimmungen sichern ein Prinzip, das grundgesetzlich garantiert wird: die Freiheit von Forschung und Lehre. Wenn verbeamtete und mächtige Professor*innen nun also antreten, um die Voraussetzungen freiheitlicher Forschung und Lehre zu verteidigen: Was läuft da schief?

Zweifellos muss über die Veränderungen an den Universitäten im Zuge neoliberaler Umgestaltung gesprochen werden. Ebenso notwendig ist die Diskussion über davon geprägte Verhaltensformen, bis hin zu präventiven Selbstbeschränkungen. Doch betreffen diese Dissoziationen nicht vor allem Nachwuchswissenschaftler*innen, die aufgrund limitierter Karrierechancen und erhöhten Konkurrenzdrucks ein spezifisches Achtsamkeitsverhalten entwickeln? Noch fragt die Kritik an Positionen nicht nach Besitzständen und asymmetrischen Machtverhältnissen an Universitäten. Wenn die Professor*innen zu gemeinsamem Widerstand mobilisieren wollen: dann mit offenen Worten und gemeinsam mit den Angehörigen der Universität. Letzten Endes spiegeln die Vorgänge dort jene Prozesse einer fortschreitenden Polarisierung wider, die auch in der Gesellschaft stattfinden. Daraus lässt sich einiges lernen. Und vielleicht besser machen.

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