Am 25. Mai 2020 erscheint das neue Buch von Juli Zeh: Fragen zu „Corpus Delicti“. Beworben wird es vom Verlag mit der Frage: „Wann wird der Begriff der ‚Gesundheitsdiktatur‘ von der Polemik zur Zustandsbeschreibung?“ Im Buch antwortet Juli Zeh auf Fragen von Leserinnen und Lesern zum Roman Corpus Delicti. Auf die Antworten können wir gespannt sein. Denn die Autorin und Juristin Juli Zeh gehört zu den prominenten Kritikern jener Eingriffe in Freiheitsrechte, die im Zuge der infektionspolitischen Versuche zur Eindämmung einer Pandemie vorgenommen wurden.
Mehrfach intervenierte sie publizistisch gegen die Fortsetzung dieser Maßnahmen, unter anderem am 24. April, als sie gemeinsam mit Boris Palmer und Julian Nida-Rümelin, Alexander Kekulé und Christoph M. Schmidt ein schnellstmögliches Ende des Lockdown forderte. Interessant werden ihre Überlegungen jedoch auch deshalb, weil Juli Zeh mit der literarischen Versuchsanordnung Corpus Delicti bereits vor über einem Jahrzehnt eine Dystopie vorlegte, die wie eine Antizipation unserer coronösen Gegenwart erscheint.
„Den Ausbruch einer Pandemie habe ich nicht vorhergesehen“, sagte Juli Zeh dem Freitag. „Aber was ich seit Jahrzehnten beobachte und in Corpus Delicti verarbeitet habe, ist ein erst schleichender, dann rasanter Wertewandel innerhalb unserer Gesellschaften, und zwar von ‚Freiheit‘ als höchstem Wert hin zu ‚Sicherheit‘, wobei ‚Sicherheit‘ ein Synonym ist für den Wunsch nach der Kontrollierbarkeit der Zukunft.“
In Corpus Delicti führt ein Prozess in das Jahr 2043 und die Welt eines Imperativs: „Gesundheit ist das Ziel des natürlichen Lebenswillens und deshalb natürliches Ziel von Gesellschaft, Recht und Politik. Ein Mensch, der nicht nach Gesundheit strebt, wird nicht krank, sondern ist es schon.“ So heißt es im fiktiven Bestsellerbuch „Gesundheit als Prinzip staatlicher Legitimation“ des Journalisten und Medien-Intellektuellen Heinrich Kramer, das einem autoritären Herrschaftssystem biologisch-medizinischer Observanz ideologische Unterfütterung liefert. Gegenspielerin dieser Gesundheitsdiktatur und Hauptfigur des Werks ist die Biologin Mia Holl (jung und attraktiv, geistig unabhängig und eloquent), die erleben muss, wie ein technologisch hochgerüstetes System des sozialhygienischen Überwachens und Strafens auf individuelle Abweichungen und Ausbrüche reagiert. Nachdem ihr Bruder Moritz wegen Vergewaltigung und Mord zu Unrecht verurteilt wurde und Selbstmord beging, sucht Mia nach Beweisen für seine Unschuld. Dabei fällt sie aus den Bahnen staatlich vorgeschriebener und beständig überprüfter Funktionalität und gerät ins Visier staatlicher Ermittlungen: Wird die Vernachlässigung obligatorischer Schlaf- und Ernährungsberichte und des täglichen Sportprogramms noch mit einem „Klärungsgespräch“ quittiert, kommt es nach weiteren Verfehlungen mit „toxischen Substanzen“ einer Zigarette schließlich zu Anklagen.
Ihr Rechtsanwalt kann in der Hauptverhandlung zwar noch den Fall des Bruders aufklären und dessen Unschuld beweisen. Und auch die Medien scheinen sich für eine Diskussion über mögliche Reformen zu öffnen. Doch als Mia dem smarten Gesundheits-Repräsentanten Kramer ein Pamphlet diktiert, in dem sie dem medizinisch-politischen Komplex ihr Vertrauen entzieht, ist das Maß voll: Mit der Entscheidung für die Ideen ihres freigeistig-individualistischen Bruders stellt sie sich endgültig gegen ein System, das Unterwerfung unter die Regeln der allgemeinen Sicherheit verlangt – und bei Abweichung mit aller Macht zurückschlägt.
Buchstäblich. Die drastisch ausgemalten Reaktionen des Staates sollten selbst nachgelesen werden: Festnahme als Staatsfeindin, fingierte Beweise und erpresste Zeugenaussagen sowie Folterung sind schwer erträglich. Auch der abschließende Gerichtsprozess, bei dem Mia zu einer Art Todesstrafe verurteilt wird, sowie die Vorbereitungen zur Vollstreckung des Urteils stellen empfindsamere Rezipienten auf harte Proben: Warum muss das so passieren? Was läuft da schief?
Schablonen als Figuren
Man ist überrascht, wie viel von Erfassungs- und Kontrollmaßnahmen bis zu Hygienevorschriften und Denunziantentum von dem dabei ist, was gegenwärtig geschieht oder angedacht wird. Allerdings lebt die mit wenigen Zwischentönen und Nuancen ausgemalte Dystopie des Jahres 2043 von Überspitzungen und Komplexitätsreduktionen, die bis zur Verwandlung von Figuren in Schablonen reichen. So heißt die omnipräsente Zeitung „DER GESUNDE MENSCHENVERSTAND“.
Zugleich führen Textspuren in tiefere Vergangenheitsschichten. Der smarte Methodist Heinrich Kramer trägt den Namen des Verfassers des frühneuzeitlichen Hexenhammers. Und Mia ist wie die Hexen eine gefährdete Außenseiterin. „Von Zeit zu Zeit braucht die Macht ein Exempel, um ihre Stärke unter Beweis zu stellen. Besonders, wenn im Inneren der Glaube wackelt. Außenseiter eignen sich, weil sie nicht wissen, was sie wollen. Sie sind Fallobst.“
Interessant auch, dass die Maßnahmen zur Etablierung einer umfassenden Gesundheitsdiktatur weder auf Pandemie- und Seuchenschutzgründe noch auf konspirative Machenschaften finsterer Hintermänner, sondern auf gesellschaftliche Krisenerscheinungen zurückgeführt werden: „Geburtenrückgang, Zunahme stressbedingter Krankheiten, Amokläufe, Terrorismus. Dazu eine Überbetonung von privaten Egoismen, das Schwinden von Loyalität und schließlich der Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme. Chaos. Krankheit. Verunsicherung.“
Aus der Fähigkeit zur Lösung dieser Probleme erwachse die Kraft der „METHODE“, gegen die nicht zu rebellieren sei. Denn wer sich gegen die Regeln einer keim- und krankheitsfreien Zukunftsgesellschaft stelle, wende sich nicht abstrakt gegen eine Idee, sondern – so der moderne Inquisitor Heinrich Kramer – „ganz konkret gegen das Wohlbefinden und die Sicherheit eines jeden von uns“. Könnten Politiker heute nicht ebenso sprechen?
Maskenpflicht und Desinfektion gehören inzwischen ebenso zu unserem Alltag wie die Beschwörungsformeln fortwährender Achtsamkeit: „Wenn wir aufhören, gemeinsam an Sicherheit und Sauberkeit zu arbeiten, gibt es binnen weniger Wochen eine Epidemie“, erklärt der Methoden-Vertreter Heinrich Kramer im Roman. Formuliert es die Bundeskanzlerin nicht ähnlich, wenn sie vor einer „Zweiten Welle“ warnt und betont, wir dürften uns „keine Sekunde in Sicherheit wiegen“?
Aktives Aufbegehren
Der Roman trifft unsere Gegenwart, obwohl er durch und durch Literatur ist, das macht seine Faszination aus. Nicht ohne Grund sinniert die Heldin vor ihrem Bücherregal: „Rousseau. Mit Widmung von Moritz. Dostojewski. Orwell. Musil. Kramer. Agamben – auch mit Widmung. Habe ich übrigens nie gelesen.“
Im Roman vollzieht die Biologin Mia Holl einen Wandel von schockierter Trauer zu aktivem Aufbegehren. Ihre Absage diktiert sie dem Medienvertreter Heinrich Kramer: „Ich entziehe einem Recht das Vertrauen, das seine Erfolge einer vollständigen Kontrolle des Bürgers verdankt. Ich entziehe einer Politik das Vertrauen, die ihre Popularität allein auf das Versprechen eines risikiofreien Lebens stützt. Ich entziehe einem Staat das Vertrauen, der besser weiß, was gut für mich ist, als ich selbst.“
Die Autorin Juli Zeh engagiert sich gleichfalls. Öffentlich und bei starkem Gegenwind. Die Courage, die dieses öffentliche Bekenntnis verlangt, wird deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, was seit Ende März 2020 in Europa und zeitversetzt fast überall auf der Welt geschehen konnte: Nahezu alle Subsysteme einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft wie Wirtschaft, Bildung, Kunst, Religion wurden dem Imperativ der Gesunderhaltung unterworfen. Für das Ziel der Lebensrettung nahmen und nehmen wir noch immer hohe Kosten in Kauf. Und zwar nicht nur finanzielle.
Unvoreingenommene Diskussionen darüber haben es schwer; polarisierende Reaktionen und polemische Zurückweisungen bei immer noch schmalen Wissensbeständen machen diskursive Einsätze nicht einfach. Auch deshalb sind wir auf das neue Buch von Juli Zeh gespannt.
Info
Fragen zu ‚Corpus Delicti‘ Juli Zeh , btb Verlag 2020, 240 S., 8,00 €
Kommentare 17
„Von Zeit zu Zeit braucht die Macht ein Exempel, um ihre Stärke unter Beweis zu stellen."
.....und "dann" wird "offen-sichtlich" wo(rin) WIR (längst/wieder) WIRKLICH "leben"!
http://www.freitag.de/autoren/martin-franz/diktatur-der-angst-und-einschuechterung
Da bin ich aber froh, nicht in UK, USA, Brasilien, Russland oder auch nur in Schweden leben zu müssen.
habe das buch von j.zeh nicht gelesen, hört sich aber an wie eine abwertende (typisch westdeutsche) parabel auf den staatssozialismus.
von (neo)liberalen wird gerne "freiheit" gegen "sicherheit" gestellt, ein häufig angewandtes framing, dass vielerlei ausgrenzt, um sich nicht mit ungleichheit/profitideologie/etc auseinandersetzen zu müssen.
wobei nicht vergessen werden sollte, dass "freiheit" mit wachsendem eigentum geradezu exponentiell ansteigt, während unterprivilegierte menschen, zb. hartz4er oder bewohner ärmerer länder, ziemlich unfrei sind.
zu dem themenkomplex empfehle ich das buch "domenico losurdo - freiheit als privileg", eine kleine einleitung dazu hier:
https://monde-diplomatique.de/artikel/!470286
Wie kommt diese (be-ab-wertende) Nennung von Staaten in diesem "Fall" zustande?
"Kontrollierbarkeit der Zukunft"
Hinter diesem nebligen Horizont gehts aber noch weiter.
Mit was soll die sichere "Zukunft" dieser dystopischen Gesellschaft denn gefüllt sein, damit es kontrolliert wird? Da wirds doch erst spannend. Da kann man doch nicht einfach aufhören zu erzählen. Da muss man doch was zum Denken anbieten. Mit dem Begriff "Sicherheit" ist das doch nicht getan. Das ist viel zu abstrakt oder diffus.
Oder ist das wie beim Spruch mit dem Leben, da ist für jeden was dabei?
Die Ironie ist das Gesundheitssysteme krank sind und machen. Wer sich da raushält ist gut beraten, weil das System Kranke benötigt müssen Kranke produziert/deklariert werden. Wir leben in einer komplett kaputten Welt. Der Planet ist intakt, wird er immer bleiben, aber die Welt in den Köpfen der Menschen ist ein Witz.
Ich kann es nicht ausstehen wenn Leute sich dumm stellen.
>>Die Ironie ist das Gesundheitssysteme krank sind und machen.<<
Da kann wieder viel gestritten werden: Zweifellos hat die Medizin seit Paracelsus Heilungsfortschritte gemacht, auf die wir nicht leichtfertig verzichten sollten. Andererseits gibt es negative Erfahrungen mit Medizin und Pharmazie so wie sie heute betrieben wird. Bei der Untersuchung von Fehlentwicklungen in der Medizin sollte also das heilende Kind nicht mit Problembade ausgeschüttet werden.
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>>…weil das System Kranke benötigt müssen Kranke produziert/deklariert werden.<<
Nachfrage erzeugen? Ja. Das liegt allerdings nicht an der Medizin selbst, sondern an Investoren, die eine stetige Kapitalrendite erwarten.* Mit einer steuerfinanzierten für Alle kostenlosen Medizin (stationäre und Polikliniken) könnte diese aus Investorensicht alternativlose, aus medizinischer Perspektive gesehen natürlich kontraproduktive Entwicklung beendet werden. Um Korruption zu minimieren sollte allerdings auch die Produktion von Medikamenten und medizinischer Ausrüstung entprivatisiert werden.
*allgemein gesagt: Die Erzeugung von Übernachfrage ist keine Produkteigenschaft, sondern eine Eigenschaft profiterwartender Investition von Privatvermögen.
.......wo-bei man "so" oft-mals schlauer wird....da-zu lernt.....das Gegen-über sich bloß-stellt!
Oberlehrerhafte Schlaumeier haben wir genug. Es würde vollkommen ausreichen, einfach mal den Blick in die Welt schweifen zu lassen und bezüglich der Situation in diesem Deutschland ein wenig stolz und zugleich demütig zu sein. Wir (ja, wirklich: beinahe wir alle) haben kollektiv mit wenigen persönlichen Einschränkungen eine ziemlich große Leistung vollbracht, um die wir zurecht beneidet werden. Eine gehörige Portion Glück war ebenfalls im Spiel.
Das ist ein Schlag in die Fresse aller, die im Gesundheitssytem arbeiten. Diesen Schlag würde ich zu gern auf physische Weise erwidern damit du am eigenen Leib erfahren kannst, dass du einfach nur ein SPinner bist.
Ich hatte Blick und Gedanken weiter und tiefer gehend-schweifend wieder-gegeben!
.....wo-bei die Kommentare/Reaktionen (ins-Besondere wie unten bei Zoschke) schon recht "bloß-stellend" sind und mich an Ursus, Banana King & Co. denken/erinnern lassen!
....sowie ich mich bereits zu Wertigkeit/Relevanz von/unter Pseudonymen geäußert hatte!
....Aller-Dings auch, dass es sicherlich besser ist, sich hier so aus-zu-toben als "auf physische Weise erwidern"!
In diesem Sinne.....weiter so....wenn´s....
Liberté-Égalité-Fraternité ! 1789, die Freiheit war das Wichtigste von den Dreien. Die Freiheitsstatue NYC, das Symbol der Neuen Welt per se! free man in a free world. Der Existenzialismus eines Jean-Paul Sarte & Co. frönt einem Begriff von völliger innerer & äußerer Freiheit. Ein Herr Bischof Dr. W. antwortet auf die Frage:" Warum gibt es immer noch Unheil? Weil der Mensch die Freiheit hat, sich von Gott und seiner Liebe abzuwenden." Der spirituelle Gegenpart A. Grün sagt uns: "Mach dich von äußeren Dingen frei, damit du dem eigentlichen Ziel des Lebens näher kommst: Der Inneren Freiheit! So, das soll mal genug sein, liebe Frau Zeh! Und jetzt? Alles "game over", die Digital-Ökologische-Gesundheitsdiktatur übernimmt eben mal, via Covid19. Nein, bitte, nur keine Verschwörungstheorie, wo kämen wir das hin? -sicher ist sicher-
Danke für diesen interessanten Link
Es bleibt natürlich die Frage offen, warum die einen Toten schulterzuckend übersehen werden und wegen der anderen die Wirtschaft heruntergefahren wird. Denn bisher galt:
Verkehrstote? Die Autoindustrie ist das Rückrat unserer Wirtschaft
Lungen- Kehlkopf- und Blasenkrebs? Die Tabaksteuer ist eine wichtige Einnahmequelle, ebenso die Tabakwerbung.
Leberzirrhose, geprügelte Kinder? Alkohol gehört zu unserer Kultur und bringt ebenfalls Steuergeld.
Luftverschmutzung, Flug- und Straßenlärm, versiegelter Lebensraum? Unsere Wirtschaft braucht Mobilität.
usw
Coronavirus?
Vornehmlich alte und vorgeschädigte sind betroffen. Aus den älteren/alten Menschen rekrutiert sich nahezu die komplette Führungselite des Landes, also sowohl die zur Führung benötigte Funktionelite als auch die zum Kapitalbesitz genötigte Elite..
Der wissenschaftliche Unterschied ist, daß ma nfür eine unbekannten Virus erstmal ein Gegenmittel benötigt, da der sonst sein Spielchen auf sehr lange Zeit treiben kann bis genügend Menschen immunisiert sind.
Wenn man so will wäre es die perfekte Waffe zur Steuerung gesellschaftlicher Änderungen, aber auf Kosten schwer kontrollierbarer ökonomischer Verluste bei Beibehaltung des kapitalistischen Wirtschaftens.
Fragt sich nur wohin sie will, diese DOITSCHE Gesellschaft der Penunzenapostel.
"...An den Reaktionen auf die Ausnahmeregelungen, die in unserem Land (und nicht nur in diesem) erlassen wurden, sticht die Unfähigkeit ins Auge, sie aus einer Perspektive jenseits des unmittelbaren Kontextes ihres Funktionierens zu betrachten. Nur wenige versuchen, sie anstelle dessen, wie es eine ernsthafte politische Analyse verlangen würde, als Symptome und Anzeichen eines weitreichenderen Experiments zu verstehen, bei dem ein neues Paradigma, wie Menschen und Dinge zu regieren seien, zur Disposition steht.
In einem vor sieben Jahren erschienenen Buch, das noch einmal sorgfältig zu lesen jetzt lohnt („Tempêtes microbiennes“, Gallimard 2013), beschrieb Patrick Zylberman bereits den Prozess, durch den Sicherheit in Fragen der Gesundheit, die bislang in den politischen Kalkülen nur am Rande auftauchte, zu einem wesentlichen Bestandteil staatlicher und internationaler politischer Strategien wurde. Es handelt sich um nicht weniger als die Kreation einer Art von „Gesundheitsterror“ als Instrument, um das zu managen, was als worst case scenario, als Szenario des schlimmsten Falles also, definiert wurde. Dieser Logik des größten Übels gemäß hatte die Weltgesundheitsorganisation bereits 2005 „zwischen zwei und 150 Millionen Todesfälle durch die bevorstehende Vogelgrippe“ prophezeit und so eine politische Strategie nahegelegt, die die Staaten zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu akzeptieren bereit waren. Zylberman zeigt, dass das vorgeschlagene Instrumentarium auf drei Punkten fußte:
die Konstruktion eines fiktiven Szenarios auf Basis eines möglichen Risikos, wobei die Präsentation der Daten in einer Weise geschieht, die ein Verhalten begünstigt, das ein Regieren in extremer Lage erlaubt;die Übernahme einer Logik des größten Übels als Lebenshaltung politischer Rationalität; die vollständige Organisation der Bürgerschaft in einer die Anhänglichkeit an die Regierungsinstitutionen weitestmöglich stärkenden Weise, wodurch eine Art Gemeinsinn der Superlative entsteht, bei dem die auferlegten Pflichten als Ausweis von Altruismus dargestellt werden und der Bürger nicht mehr ein Recht auf Gesundheit (health safety) hat, sondern von Gesetzes wegen zur Gesundheit verpflichtet wird (biosecurity).
Was Zylberman 2013 beschrieb, ist nun haargenau eingetreten. Es ist offensichtlich, dass es über diesen an ein bestimmtes Virus, das demnächst einem anderen weichen mag, geknüpften Notstand hinaus um das Design eines Regierungsparadigmas geht, dessen Effizienz die aller Regierungsformen, die die politische Geschichte des Westens bisher gesehen hat, bei Weitem übersteigt…"
(Giorgio Agamben)
In: Quodlibet, „Biosicurezza e politica“
Übersetzung: Hier