Historisierendes Musizieren und stilistischer Modellbau quer durch sämtliche Stile und Dekaden sind in der – häufig nur noch dem Namen nach – zeitgenössischen Popmusik spätestens seit der Jahrtausendwende allgegenwärtig. Sixties-Beat, New Wave, Funk, Soul und jeder Kladderadatsch aus den Achtzigern wird zum dritten und vierten Mal aufgebrüht. Selbst wenn seine spröden Arrangements und mokanten Lyrics alles andere als museal daherkommen, gehört auch Nick Waterhouse unzweifelhaft zu jenen Künstlern, die sich bemühen, den Sound ihrer Vorbilder nachzubauen — und zwar mit einer Akribie, in der ihn höchstens noch die Neo-Rockabilly-Geschwister von Kitty, Daisy & Lewis übertreffen.
Was Nick Waterhouse von der Masse aktueller Retro-Künstler unterscheidet, ist das Genre, dem er sich mit Herz und Seele verschrieben hat: Der in Huntington Beach, dem Herz der kalifornischen Psychedelic- und Garage-Rock-Szene, aufgewachsene Sänger und Gitarrist pflegt — und damit steht er ziemlich allein auf weiter Flur — den Rhythm & Blues der fünfziger und sechziger Jahre. Und zwar jene besonders wilde, rohe Spielart, die einst Bo Diddley und der junge Ike Turner zur Blüte brachten. Waterhouse kultiviert sie, indem er, statt wahlweise auf deren Ekstase oder die suave Zurückhaltung zu setzen, die sein Tradmark-Outfit aus Buddy-Holly-Brille und Cardigan nahezulegen scheint, brutal effektives Haushalten innerhalb zum Zerreißen gespannter emotionaler Parameter zelebriert.
Schon auf Time’s All Gone, seinem Debüt-Album von 2012, glänzte er damit, dass zwischen seelenvollem Klagen und wütendem Kläffen bei ihm immer nur ein Herzschlag zu liegen schien — was auch auf dem gerade erschienenen Nachfolger Holly für den Gesang immer noch genauso gilt wie für das an Chuck Berry geschulte Gitarrenspiel. Davon abgesehen lassen sich subtile, aber im Ganzen betrachtet fraglos entscheidende Unterschiede zum Erstling feststellen.
Voodoo-Feeling
Das beginnt mit dem Eröffnungstrack High Tiding, einer Ballade, die aufs Allerschönste an das mystisch-groovende Dancin’ auf Chris Issaks Debütalbum Silvertone gemahnt und gemeinsam mit den anderen drei Balladen des Albums, speziell dem dunkel dräuenden Crooner Let It Come Down, den Grundton für Holly setzt: Alles ist hier etwas düsterer und dramatischer geraten, nicht nur dank lakonisch eiernder Orgeln und verhaltener Voodoo-Feeling-Congas, sondern auch aufgrund der Lyrics, in denen sogar der Humor schwärzer und fatalistischer gefärbt ist als zuvor. Auch bei den – textlich nicht unbedingt fideleren – Uptempo-Nummern, die immer noch die Mehrheit der Album-Tracks ausmachen, sind es die Details, wie etwa das zerdehnte Surf-Gitarren-Solo in This Is A Game oder das an Ray Manzareks Regensimulation erinnernde Rhodes im sinistren Dead Room, welche in den spartanischen Arrangements akkurat gezirkelte dramatische Akzente setzen. Und eben dank dieser Kombination aus Präzision und kunstvoll gezügelter, roher Leidenschaft, gelingt Waterhouse mit Holly ein Kunststück, das ihm momentan so leicht keiner nachmacht: Er rückt den R&B aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts so nah an dessen zeitgenössische Spielart, dass einem im direkten Vergleich schmerzhaft bewusst wird, wie sehr dieses Genre seit Ende der Neunziger vor sich hin welkt.
Holly Nick Waterhouse Innovative Leisure 2014
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