Was Männer nicht aushalten

Was läuft „The Fall“ ist keine frauenfeindliche, sondern eine feministische Serie mit einer der ungewöhnlichsten Seriencharaktere aller Zeiten. Spoiler-Anteil: 23 Prozent
Ausgabe 31/2018

Mit Belfast geht es klar bergab. In der dritten Staffel von The Fall gibt es in der nordirischen Metropole mehr Nacht, mehr Regen, mehr Leid. Und das, obwohl der „Belfast Strangler“ Paul Spector (Jamie Dornan) schon am Ende der zweiten Staffel angeschossen wurde und nach Notoperation ohne Milz und schwer sediert im Krankenhaus liegt. Nur Detective Superintendent Stella Gibson (Gillian Anderson), die Spectors Wunden erstversorgte, ist es zu verdanken, dass er noch lebt. Gibson will ihn unbedingt vor Gericht bringen.

Stella Gibson ist nicht nur „a character“, wie man im Angelsächsischen sagt. Sie ist einer der ungewöhnlichsten Seriencharaktere aller Zeiten. Ein bisschen hat die Londoner Hauptkommissarin etwas von Ellen Ripley in den Alien-Filmen: Unerschrocken ist sie, bestimmt, erfahren. Wie Ripley im Laufe der Alien-Reihe den Feind, das fremde Wesen, immer besser kennenlernt, so lernt auch Gibson den Feind intimer kennen. In der dritten Staffel findet Gibson Aufzeichnungen des Täters, Tagebücher, die er vollmalte und -kritzelte. Der manisch schreibende Psychopath ist ein gern genommenes Sujet im Krimi-Genre, das auch zu Spector passt wie die, nun ja, Faust aufs Auge. Umso mehr, weil der Autor, Regisseur und Editor Allan Cubitt auch in der dritten Staffel wieder thematische Gemeinsamkeiten durch außergewöhnliche Schnitte herstellt. Etwa vom Schwimmbassin, durch dessen Bahnen Gibson regelmäßig pflügt, zur ertränkten Leiche. Oder eben vom obsessiven Tagebuchschreiben Spectors zum Traumtagebuch Gibsons, das diese seit Jahren führt.

The Fall wurde von Anfang an kontrovers diskutiert: Ist die Gewalt, der fast ausschließlich Frauen zum Opfer fallen, in der Serie zu performativ? Ist sie ästhetisiert? Kann das exzessive Ausleben von sexuellen Fantasien des Täters anregen? Gar anstiften? Cubitt reagierte auf diese Vorwürfe verständnislos: In der ersten Staffel würde doch nur ein einziger Mord wirklich im Bild gezeigt, um den Mörder zu charakterisieren, um zu demonstrieren, wie kaputt er ist. Der Rest finde auf verbaler Ebene statt. In der dritten Staffel verschiebt sich die Gewalt allerdings zurück ins Bild, ins psychiatrische Gefängnis, in dem Spector festgehalten wird, und in dem er irgendwann explodiert. Tatsächlich ist die dritte Staffel inhaltlich fast noch düsterer, erschütternder und destruktiver als die ersten beiden. Denn es geht um die Kindheit Spectors, um Erfahrungen im Waisenhaus, um fatale traumatische Erlebnisse eines kleinen Jungen. Doch diese Geschichten werden von Cubitt nicht verbildlicht. Das wäre auch kaum auszuhalten.

Die Tatsache, dass bei The Fall auch die Täter als Opfer gezeigt werden, kann die Vorwürfe der Misogynie entkräften. Denn ohne Werturteile zu fällen, ohne Partei zu ergreifen, versucht die Serie, alle Seiten einer Straftat zu beleuchten: die Familie des Täters, die leidet; seine Opfer und deren Angehörige, die erschüttert sind; den Psychiater, der versucht, den Täter zu erkunden; die Ermittler wie Gibson, die Haltung bewahren muss. Und eben den Täter, der Gewalt ausübt, die er selbst erfahren hat.

Cubitt hat seine Protagonistin Gibson dabei von Anfang an klare Aussagen treffen lassen zum Zusammenhang von Gewalt, Sexualität und Gender: „Wenn Frauen keinen Ausweg wissen, richten sie die Gewalt gegen sich selbst“, weist sie fassungslos den Kollegen zurecht, der sich über den Selbstmordversuch einer Verdächtigen wundert. „Man fucks woman: man – subject, fucks – verb, woman – object“, erklärt sie jemandem knapp, nachdem der ihre Promiskuität kommentiert hat. „But if woman fucks man ...“, sagt sie dann. Vermeintlich objektiviert zu werden, das hielten Männer nicht aus. Einem anderen setzt sie freundlich auseinander, wo körperliche Übergriffe beginnen, erläutert #metoo, ohne es so zu nennen. Und „wir haben uns ausgesucht, in einer maskulinen, paramilitären und patriarchalen Kultur zu arbeiten. Lassen wir uns davon nicht unterkriegen“, muntert sie eine Mitarbeiterin auf. Sofern man das Aufmuntern nennen kann.

Nein, The Fall ist keine frauenfeindliche, sondern eine feministische Serie. Die der Tatsache, dass physische Gewalt größtenteils von Männern ausgeht, eine autarke, furchtlose Heldin entgegensetzt, die niemanden vorverurteilt, niemanden ablehnt. Zudem passt es zu Cubitts gesellschaftlichem Verständnis, dass am Ende nichts wirklich wieder gut geworden ist. Man kann halt nur weiter dran arbeiten.

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