Was man aus einem Streit über eine Ausstellung lernen kann

Kulturkommentar "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" heißt eine Ausstellung in Berlin, die am 1. September 2009 eröffnet wurde. Matthias Becker über ein verunglücktes Konzept

Ein Buch des Kölner Journalisten Karl Rössel heißt Unsere Opfer zählen nicht. Darin erzählen Rössel und andere Autoren den Zweiten Weltkrieg neu – von Afrika und Südamerika aus gesehen, aus asiatischer und ozeanischer Perspektive. So betrachtet nimmt der Krieg sich anders aus. Er bricht früher aus und seine Fronten verlaufen anders. Die Kriegseinsätze der Soldaten aus der Dritten Welt, schreiben die Autoren und Autorinnen, kommen in den europäischen Geschichtsbüchern nicht vor, die Gefallenen sind nirgends aufgelistet. „An ihre Opfer erinnert kaum ein Monument und an den Bombenterror in ihren Städten keine Fernsehserie.“

Das Buch entspricht inhaltlich ziemlich genau der Ausstellung Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Am 1. September, am Jahrestags des europäischen Kriegsbeginns also, wurde sie in Berlin eröffnet. Bis 2011 wird sie in vielen deutschen Städten zu sehen sein. Ihre Premiere sollte eigentlich in der Neuköllner „Werkstatt der Kulturen“ stattfinden. Aber deren Leiterin Philippa Ebéné weigerte sich kurzfristig, die Räumlichkeiten wie geplant zur Verfügung zu stellen – angeblich, weil auf drei der insgesamt 96 Schautafeln die Kollaboration von Arabern mit den Nazis dargestellt wird. Ebéné sagt, ihre Weigerung habe nichts mit dieser Präsentation der Kollaboration im Nahen Osten zu tun. Sie wolle eine „Hommage“ und dazu passe der Hinweis auf Kollaboration und Kriegsverbrechen nicht: „Einmal in siebzig Jahren kann man doch Danke sagen!“

Der Verdacht, es sei in Neukölln nicht möglich, über die Zusammenarbeit arabischer Nationalisten mit den Nazis zu sprechen, sorgte für reichlich Aufmerksamkeit und reichlich schlechte Presse. Seitdem ist Ebéné auf der Flucht nach vorne. Sie und ihre Unterstützer versteigen sich in immer haltlosere Anwürfe. Zuletzt war zu lesen, es zeuge von einer „problematischen Einstellung“ der Ausstellungsmacher, dass sie von „Dritter Welt“ sprechen und damit den Erdteil erst an dritter Stelle nennen würden, nach allen anderen Weltregionen. (Bekanntlich ist der Ausdruck in Analogie zum „Dritten Stand“ im französischen ancien régime gebildet.)

Es geht um die richtige Form des Gedenkens, um Anerkennung, in manchen Fällen sicher auch um Entschädigung für oder wenigstens nachträgliche Entlohnung von Zwangsarbeitern und Kolonialsoldaten. Vielmehr: Es ginge darum, wenn nicht Ebénés Vorgehen zu einem erinnerungspolitischen Streit auf niedrigstem Niveau geführt hätte. Während Rössel und Kollegen nun von der einen Seite als „Kolonialrassisten“ beschimpft werden, mobilisiert ihre Ausstellung heftige Ressentiments bei solchen, die es für „Gutmenschentum“ halten, über Rassismus und Kolonialismus zu sprechen und deren Opfer zu würdigen.

Es ist, als führten die Beteiligten die Tragödie der europäischen Opfer des Nationalsozialismus auf globaler Ebene noch einmal auf, und sie gerät dabei vollends zur erinnerungspolitischen Farce. Da soll man sich nun zu Fragen verhalten, die nichts mit dem Thema zu tun haben und eine vernünftige Auseinandersetzung unmöglich machen: Unterstützt Du die arabischen Judenhasser? Oder bist Du für die Kolonialmächte und Sklavenhalter? Es ist wahr, mit dem Hinweis auf die Verstrickung von Opfern in die NS-Verbrechen wird die historische Verantwortung relativiert. Aber: „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ war zu komplex, um in ein simples Opfer-Täter-Schema gepresst zu werden.


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