Nur 10.000 westafrikanische Francs hat der elegant gekleidete Mann gezahlt, nachdem er mit Assibas Mutter ins Geschäft gekommen war. Umgerechnet 15 Euro dafür, dass er das etwa acht Jahre alte Mädchen in die ferne Hauptstadt Benins mitnehmen darf. Mit allen möglichen Versprechungen hat er die bitterarmen Eltern geködert. „Dort darfst du zur Schule gehen und etwas lernen“, verspricht Assibas Mutter dem Mädchen, „und einen Fernseher gibt es dort auch.“
Aus den Träumen wird nichts. Assiba muss kochen, putzen, Geschirr spülen und auf dem Markt Gemüse verkaufen. Während das Mädchen schuftet, schaut der Mann, der sie ihren Eltern abgekauft hat, ab und zu im Heimatdorf vorbei. „Deiner Tochter geht es gut“, g
“, gaukelt er der Mutter vor und steckt ihr einen Geldschein zu. Das geht so lange, bis es Assiba nicht mehr aushält und davonläuft.Das Mädchen Assiba ist nur eine Filmfigur – doch ihre Geschichte kommt vielen Menschen in Benin bekannt vor. Laut einer UN-Studie werden hier jedes Jahr 40.000 Kinder verkauft – und dienen dann als billige Arbeitskräfte: als Haushaltshilfen für reiche Familien, als Straßenhändler oder Erntehelfer. Andere werden über die Grenze nach Nigeria verschleppt.Auf dem DorfplatzMucksmäuschenstill ist es jetzt auf dem Dorfplatz von Amolehoué, nahe der kleinen Stadt Ouidah. Kurz zuvor sind noch Dutzende Kinder wild durcheinander gelaufen und haben gerufen: „Sie kommen! Sie kommen!“ Jetzt sitzen sie auf dem blanken Erdboden, blicken hoch zur Leinwand und verfolgen die Geschichte von Assiba.Wie alle zwei Wochen ist heute das Kino-Team von „CineVillage“ zu Gast. In einem Kleinbus hat es DVD-Spieler, Projektor, Leinwand und auch einen Generator mitgebracht. Strom gibt es hier nicht. Mitten auf dem sandigen Dorfplatz findet die Vorführung statt. Die Kinder sitzen auf der sandigen Erde, die Älteren auf Plastikstühlen. Auch am Abend ist es schwül, Mücken schwirren durch das Projektorlicht.Martine de Souza heißt die Organisatorin dieser Kinovorstellung unter freiem Himmel. Die Beninerin hat auch den Film, der gerade läuft, produziert. „Wir wollen die Menschen über die Gefahren des Kinderhandels aufklären“, sagt die 50-Jährige. Schon seit 2001 ist sie mit ihrem fahrenden Kino unterwegs, zunächst zusammen mit der Organisation CNA („Cinéma Numérique Ambulant“), inzwischen selbstständig. „Ich habe Ende der neunziger Jahre für die Weltbank gearbeitet und über die moderne Form der Sklaverei in Westafrika geforscht,“ sagt de Souza. Dabei drehten sie und ihre Kollegen auch einige Informationsfilme zum Thema Menschenhandel. Als de Souza einige Zeit später einmal wieder in ihrem alten Büro zu Besuch war, stellte sie fest: „Die Filme lagen alle in der Schublade. Niemand hatte sie sich angesehen.“ Da beschloss sie, die Filme selbst in die Dörfer zu bringen.Assiba heißt TherèseIn Amolehoué ist die 30-minütige Geschichte von Assiba zu Ende. Jetzt greift Martine zum Mikrofon und lädt ihr Publikum zum Sprechen ein. Neben ihr steht die Hauptdarstellerin – Martine de Souzas Tochter Therèse. Für ihre Leistung auf der Leinwand bekommt sie großen Beifall. „Ja, auch mir ist es ähnlich ergangen“, meldet sich eine junge Frau aus dem Publikum. „Man hat eine meiner Töchter verkauft. Als sie nach drei Jahren wiederkam, hatte sie noch immer dasselbe Kleidchen an.“Murmeln und Nicken in der Runde. Aber es bleibt bei dieser einen Wortmeldung. „Es gehört schon viel Mut dazu, so etwas vor allen Leuten zu erzählen“, sagt Martine de Souza. Oft werde sie bei ihren Vorführungen von verzweifelten Müttern angesprochen, die eines ihrer Kinder vermissen. „Manchmal ist es uns schon gelungen, ein Mädchen wieder zurückzubringen.“Ein bisschen kämpft de Souza damit auch gegen ihre Familiengeschichte an. Ihr Vorfahr war der portugiesische Kolonialherr Francisco de Souza. Als Sklavenhändler verschiffte er tausende Afrikaner nach Brasilien und Nordamerika und brachte es so zu Reichtum. „Ich bin natürlich nicht stolz auf ihn“, sagt Martine de Souza. „Und manchmal wünsche ich mir, dass ich nicht von ihm abstamme, sondern von Sklaven.“Mit ihren Filmen will sie den Leuten zeigen, dass sie sich wehren können. Seit 2006 gibt es auch in der Republik Benin Gesetze, die Kinderhandel unter Strafe stellen. Aber erst wenn sich Eltern zur Anzeige entschließen, kann ein Kinderhändler vor Gericht gestellt werden. Doch die Strafen hängen stark vom Richter ab. Und aus Scham und Angst vor eigener Bestrafung verzichten viele Eltern auf eine Anzeige.Im Film gelingt Assiba die Flucht, aber der Weg nach Hause ist weit. Sie kann sich nicht mehr an den Namen ihres Dorfes erinnern, und nur durch Zufall findet sie zurück. Als sie das Drehbuch schrieb, hat sich de Souza daran orientiert, was ihr die Menschen in den Dörfern berichten. „Wir haben mehrere Berichte zu einer Erzählung zusammengebaut,“ sagt sie.Doch der Kinoabend soll heiter enden. „Man kann den Leuten nicht nur ernste Filme präsentieren“, sagt sie, legt eine andere DVD ein und lässt einen beliebten einheimischen Spielfilm über die Leinwand flimmern. Ein Vater stellt seine drei Töchter auf die Probe; sie sollen ihm beweisen, dass sie ihn mehr respektieren als ihre Ehemänner. Selbstbewusst weigern sie sich, und das führt zu allerlei Verwicklungen. Es ist ein Film aus bester westafrikanischer Kino-Tradition, etwas langatmig erzählt und billig produziert, aber nah dran am Alltagsleben. Das Publikum amüsiert sich bestens.Martine de Souza und ihr Team wollen bald wiederkommen und weiter kämpfen. „Wir drehen gerade eine Fortsetzung von Assiba“ sagt sie. „Die Leute warten schon sehnsüchtig darauf.“ Sie möchten sehen, wie es Assiba zu Hause erging – und ob ihre Mutter für ihren Handel bestraft wird. Und sei es erstmal nur auf der Leinwand.