Was noch fehlte: Sex

Tartort Ein "Tatort" aus Leipzig, der eigentlich alles diskutierte, was auf der Straße an Themen so rumliegt. Viel wichtiger: das Ermittlerpaar kam sich endlich näher

Sollte es eine Jack-Russell-Terrier-Zuchtindustrie-Marketingabteilung geben, dann sollte man besser mal überprüfen, ob von deren Konto desöfteren Geld an die ARD überwiesen wird. Denn die Frequenz der Tatort-Auftritte dieser ach so niedlichen Nervtöter liegt – zumindest gefühlt – deutlich über der Norm. Im vergangenen Monat erst musste Inga Lürsen (Sabine Postel, Bremen) auf einen aufpassen und drückte ihn, weil da ja noch ein Fall zu lösen war, dem Laborfritzen in die Hand. Und nun haben die Leipziger Kommissare einen noch kleineren(!) in einer Mülltonne gefunden! Und wer bekommt ihn in die Hand gedrückt? Natürlich erst einmal der Laborfritze, weil da ja noch der Fall zu lösen ist. Es scheint bei Tatort-Autoren eine übergreifende Einigkeit zu herrschen, dass so ein herren- beziehungsweise frauchenloser Hund eine hübsche Nebenhandlung abgibt und die angemessene Medizin gegen die Einsamkeit der Kriminaltechniker ist.

Thematisch hat die Drehbuch-Autorin Simone Schneider – böse Zungen könnten nun behaupten, die Jahre als Telenovela-„Writerin“ haben sie des Sinns fürs rechte Maß beraubt – in die Tatort-Folge Mauerblümchen beinahe alles reingepackt, was auf der Straße an Themen gerade so herumliegt. Es geht um illegale Immigranten, Leiharbeit, Prostitution, Organhandel, Bestechung sowie um die seltsame neue Welt mit ihren „Life-Balance“-Bereichen, schlafmittelabhängigen Hausfrauen, kaputten Ehen und bröckelnden Sozialstrukturen. Dass dieses All-in-One-Paket dennoch gut anzusehen ist – auch wenn die Autorin und mit ihr naturgemäß die beiden Kommissare nicht nur einmal die echten Namen der russischen Mädchen mit den Namen auf deren falschen tschechischen Pässen verwechseln – ist allein Regisseur Johannes Fabrick und seinem Kameramann Matthias Tschiedel zu verdanken. Denn unter den Augen dieser beiden ist aus der viel zu dichten Geschichte eine Geschichte der Einsamkeiten und der Perspektiven geworden. Tschiedel mag es manchmal ein wenig übertreiben mit den indirekten Blicken über Spiegel und der verschwommenen Sicht durch verregnete Fensterscheiben. Atmosphärisch aber funktioniert das wunderbar.

Schließlich passt dieses Spiel mit Nähe und Ferne – ein erotisches Spiel, natürlich! – bestens zu dem Ermittlerpaar Saalfeld und Keppler. Die beiden, man weiß es, waren in früheren Zeiten mal ein Paar, aber geklappt hat das nicht, weil er so ein Eigenbrödler ist und sie vernünftig genug, so einem nicht ewig hinterher zu laufen. Gegessen ist die Sache deswegen noch lange nicht: Die wollen einander und sonst niemanden, klar. Und wenn man das begreift (also in dem Moment, in dem man die beiden das erste Mal zusammen sieht), fällt es einem plötzlich wie Schuppen von den Augen, was dem Tatort all die Jahre fehlte: der Sex. Nichts gegen Klara Blum (allein der Name schon!), Inga Lürsen oder Charlotte Sänger (und dieser erst!) – aber mit Eva Saalfeld ist endlich eine Frau beim Tatort eingezogen, die auch sofort als solche zu erkennen ist und ihre sekundären Geschlechtsmerkmale nicht hinter einer klassischen, aber zugleich eben doch durchweg romantischen Identität verstecken muss.

WAS AUSSERDEM GESCHAH: Eva Saalfeld sagt das erste Mal „Andreas“ statt „Keppler“ zu Keppler.
WAHRSCHEINLICH AUCH WICHTIG: Keppler hat eine neue Frisur. Nein, nicht auf dem Kopf. Im Gesicht.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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