Was Rafael ­Horzon über digitales ­Urheberrecht lehrt

Medientagebuch Die Frage nach der Autorschaft des "Weissen Buchs" führt über Robin Meyer-Lucht und Familie Hegemann direkt zum Urheberrecht

Keine neue Plagiatsdebatte. Dabei hat der Berliner Medienjournalist und -berater Robin Meyer-Lucht am vergangenen Freitag auf seiner Internetplattform Carta einen Scoop vermeldet. Er schrieb von einem zufälligen Zusammentreffen mit dem Künstler Rafael Horzon, der freimütig erzählte, sein Debüt namens Das weisse Buch, das unlängst bei Suhrkamp erschienen ist, habe eigentlich Helene Hegemann verfasst. Jene Helene Hegemann, die zu Beginn des Jahres im Mittelpunkt einer aufgeregten Plagiatsdebatte stand.

Ob diese Auskunft stimmt, könnten vermutlich am ehesten geschulte Philologen herausfinden, wie der Heidelberger Literaturwissenschaftler Roland Reuß einer ist – durch einen Textvergleich zwischen Horzons Weissem Buch und Hegemanns Axolotl Roadkill, der allerdings erschwert würde durch das Gerücht, der hauptsächliche Verfasser von Axolotl Roadkill sei Helenes Vater, der Theaterdramaturg Carl Hegemann. Man könnte auch Hegemanns fragen, was sie über die Autorschaft des Weissen Buchs wissen.

Am Ende ist es völlig egal, wer es geschrieben hat. Aus zwei Gründen: Zum einen ist Rafael Horzon ein ästhetischer Luftikus, der sein Leben als eine Kunst inszeniert, die er „neue Wirklichkeit“ nennt. Für das Weisse Buch, in dem Horzon seinen Weg in die Berliner Künstlerökonomie erzählt, bedeutet das: Die Frage, was hier „wahr“ ist, stellt sich nicht, denn alle Motive und Erzählungen sind immer schon gebraucht. Der Erzähler findet eine „prall gefüllte“ Geldbörse, aus der „grüne und braune Scheine“ quellen. Ein dicker Junge im Gebüsch zieht sie an einem „Bindfaden“ weg – ein Comic-Klischee. Man mag das – wie Horzons gesamtes Gewese – albern finden, unterhaltsam ist es. Und konsequent: Wo das Dasein eines Lebenskünstlers an sich keinen Distinktionsgewinn mehr verspricht in einer Gesellschaft, in der die prekäre Existenz nicht mehr nur Künstlern vorbehalten ist, bleibt nur die Flucht in die Fiktion.

Ob Hegemann das Buch geschrieben hat oder Horzon sich von dem Namen Publicity erhofft, ist zum anderen egal, weil damit nur ein Rätsel vorweg genommen wird, das die Verlage noch nicht gelöst haben: Was bedeutet der digitale Wandel fürs Urheberrecht? Wer bislang Geld damit verdient hat, Inhalte einem Publikum zugänglich zu machen, muss sich nach Alternativen umsehen – die Musikindustrie kann ein Lied davon singen, wie der unproblematische Austausch von Daten die Gewinne schrumpfen lässt.

Neue Geschäftsfelder

Ein hermetischer Schutz, wie ihn der Literaturwissenschaftler Reuß mit seinem Heidelberger Appell forderte, ist in der digitalisierten Welt von heute illusorisch. Selbst der Staat betont, wo er von den Verlegern zu einem so genannten Leistungsschutzrecht gedrängt wird, dass der Informationsfluss im Internet deshalb nicht beschnitten werden dürfe.

Wahrscheinlicher ist, dass sich die Verlage ein neues Geschäftsfeld suchen müssen. Der ehemalige Musikmanager Tim Renner etwa empfiehlt Services statt Inhalte. Was dieser Dienstleistungsgedanke für die Welt der Bücher heißt, bleibt der Fantasie ihrer Manager überlassen. Anregung können sie bei Rafael Horzon finden, der seine künstlerische Kreativität immer als ökonomische Hypertrophie inszeniert hat: Bekannt geworden ist er als Hersteller eines Regals, mit dem er in der Welt der Möbel das große Haus mit den vier Buchstaben in die Knie zwingen wollte.

So liegt die eigentliche Pointe von Meyer-Luchts Enthüllung darin, dass Carta wie kaum ein anderes Portal die Debatte ums Urheberrecht begleitet: Das Tête-à-tête mit Horzon ist nur ein performativer Schlenker im Diskurs.

Axel Minge ist Germanistikstudent im 17. Semester. Seine demnächst fertiggestellte Magisterarbeit fragt nach der Bedeutung der Libido in Goethes Spätwerk (Faust II). Er zählt zum kleinen Kreis der Busenfreunde Helene Hegemanns. Zuletzt schrieb er im Freitag über Freundlichkeit.

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