Porträt Kirsten Dubs liebt Boote, Holz und Handwerk. Sie trotzte
dem Widerstand der Männer – und ist seit zehn Jahren Chefin ihrer eigenen
Werft am Greifswalder Bodden
Mutafo steht auf dem Trockenen. Sein hässliches Leichenhemd ist er schon los, die üppigen Innereien auch. Nackt und klapprig steht der 60-Jährige vor Kirsten Dubs, die ihm mit Hammer, Hobel und Säge auf den morschen Leib rückt.
Was nach Pathologie klingt, ist Alltag auf der Bootswerft Freest. Seit 1889 wurden hier am Greifswalder Bodden in Mecklenburg-Vorpommern alte Kähne wie der Seefahrtkreuzer Mutafo flottgemacht und neue Zeesboote und Fischkutter auf Kiel gelegt. Die ersten Neubauten karrte Werftgründer und Bootsbaumeister Christian Jarling noch mit Pferd und Wagen vom Freester Bootsbauerberg zum Wasser. Erst später entstand direkt am Hafen eine geräumige Bretterhalle samt Slipanlage. Sie ist bis heute das Herz der Werft.
Über 100 Jahre b
0;ber 100 Jahre blieb das Unternehmen in Familienhand. Bald nach dem Krieg galt der Privatbetrieb als eine der besten Adressen im Holzbootsbau der DDR. Termine bei den Freester Fachleuten waren rar wie Südfrüchte. Zu den Kunden gehörten die Heringsfischer der Fischereiproduktionsgenossenschaft ebenso wie private Eigner kleiner Segelboote. Doch nach 1989, als alle Welt im Westen Kunststoffboote orderte, stand der Traditionswerft das Wasser bis zum Hals. 1996 gingen die Lichter aus, Halle und Maschinen moderten elf Jahre vor sich hin. Dann kam Kirsten Dubs.Die heute 49-Jährige – Pferdeschwanz, Cordhose, Pranken wie Manfred Krug – wird an der Weser groß. Frauen sind in ihrer Familie in der Überzahl, Dubs hat drei Schwestern. Der Vater, Bauunternehmer und Segler, weckt Dubs’ Begeisterung für Boote und handfeste Arbeit. Aber als sie nach der Schule eine handwerkliche Lehre machen möchte, nehmen ihr Familie und Freunde den Wind aus den Segeln. „Damals galt: Mädchen haben im Handwerk keine Zukunft“, sagt sie. Dubs dreht bei, besucht eine Höhere Handelsschule. 1986 macht sie eine Ausbildung zur Schifffahrtskauffrau und findet Arbeit bei einer Bremer Linienagentur. Dubs kümmert sich um das Beladen der großen Pötte im Hafen, telefoniert mit aller Welt. Doch als sie für die Firma ins Ausland möchte, winkt ihr Chef ab: „Sie als Frau? Irgendwann bekommen Sie Kinder, dann haben wir umsonst in Sie investiert!“ Sexismus war Anfang der 1990er längst nicht so subtil wie heute.Kirsten Dubs streicht resolut die Segel. Die Kündigung und ihr Erspartes in der Tasche, macht sie sich auf den Weg in die USA. „Ich wollte mir dort über meine Zukunft klar werden.“ Sieben Monate lang kreuzt sie mit einer Freundin durchs Land, lernt Spanisch und Englisch, bis sie in den fremden Sprachen träumt. Mit dem Traum, Tischler zu werden, kehrt Kirsten Dubs nach Bremen zurück. Zunächst findet sie Arbeit als Lkw-Disponentin und holt an der Abendschule ihr Abitur nach. Dann hilft der Zufall: Ihr Partner, ein Nautik-Student, zeigt ihr einen Zeitungsartikel über Bootsbauer. Kirsten Dubs ist Feuer und Flamme: In diesem Beruf könnte sie ihre drei großen Lieben – zu Booten, zum Holz, zum Handwerk – unter einen Hut bringen.Drei Monate KaribikDie kalte Dusche kommt prompt: Wo sie sich um einen Ausbildungsplatz bewirbt, wird sie abserviert. Die alten Meister würden eher ihren Hobel an den Nagel hängen, als ein Mädchen anzuheuern. Doch das sagen sie natürlich nicht. „Ein Argument war, dass es auf der Werft keine Damentoilette gibt. Deshalb könnten sie mich nicht einstellen.“ Ausrede oder nicht – wer das fehlende Klo komisch findet, liegt ernsthaft falsch. Auch heute noch ist Handwerk männlich, jedenfalls für viele Handwerker (siehe Infokasten). Frauen kämpfen nicht selten mit Vorurteilen von vorgestern: Wer den Klempner oder Elektriker bestellt, erwartet noch immer einen Kerl im Blaumann. An den vier Berufsschulen für Bootsbauer, die es in Deutschland gibt, sind Mädchen klar in der Unterzahl.Placeholder infobox-1Kirsten Dubs drückt in Bremen die Schulbank. Nach hartnäckiger Suche hat sie 1993 endlich einen Ausbildungsplatz in einer gemeinnützigen Bremer GmbH gefunden. Die Ausbildung dort ist ein Glücksfall, denn ihr erfahrener Meister wirft sie ins kalte Wasser: Dubs hilft beim Neubau eines 23 Meter langen Weserkahns in traditioneller Bauweise. Sie verbringt ihre Tage im Schleifstaub unter Bootsrümpfen und lernt die Kniffe eines Handwerks, in dem Wasserwaage, Streich- und Augenmaß wichtiger sind als moderne Technik.Das ist ganz nach Dubs’ Geschmack. Doch als sie 1995 mit der Ausbildung fertig ist, fehlt ihr Erfahrung. Um zu lernen, heuert sie als Schiffszimmerin und Matrosin auf der Star Clipper an, einem nagelneuen Viermast-Kreuzfahrtschiff. Drei Monate kreuzt sie mit dem Luxus-Segler durch die Karibik. Sie kümmert sich um Ladung und Reparaturen, hilft beim Setzen der Segel. Ist die Reise in die Tropen auch eine Flucht vor der Zukunft? Kirsten Dubs ist 28, hat ihren Traumberuf, aber weder einen Karriereplan noch Illusionen. Dass es nicht leicht sein dürfte, als Bootsbauerin in einer männlich dominierten Nische Fuß zu fassen, ist ihr klar. Vielleicht hat sie auch ein wenig Angst vor der Endgültigkeit einer festen Anstellung.Wieder hilft der Zufall. Auf der Star Clipper lernt Kirsten Dubs einen Gesellschafter der Fridtjof-Nansen-Werft in Wolgast kennen. Die Werft ist auf der Suche nach einem Bootsbauer – es darf auch eine Bootsbauerin sein –, der als Werkstattchef Umschülern die Grundlagen des alten Handwerks beibringt. Dubs mietet ein Zimmer in Wolgast, behält aber, sicher ist sicher, ihr WG-Zimmer in Bremen. Die Schüler überzeugt sie mit handwerklichem Können und Herzblut, mit ihrer Leidenschaft für Holz und traditionelle Techniken wie das Kalfatern, bei dem die Nähte zwischen hölzernen Schiffsplanken mit Werg, Baumwolle oder Teer abgedichtet werden.Als das Projekt nach zwei Jahren ausläuft, bleibt Kirsten Dubs nur der Weg zum Arbeitsamt. Dort hört die Bootsbauerin einen Satz, der ihr längst in den Ohren klingt: „Sie als Frau? Sie haben doch Schifffahrtskauffrau gelernt, warum sind Sie nicht in diesem Beruf geblieben?“ Ungläubiges Kopfschütteln auf beiden Seiten. Ohne Hilfe des Amtes findet Kirsten Dubs Arbeit bei einem Jugendprojekt in Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein, das junge Arbeitslose aus armen Familien in Arbeit bringt. Doch dann wird Kirsten Dubs schwanger und muss aus dem Projekt aussteigen.Im Mai 1999 wird Sohn Vincent geboren, und Kirsten Dubs zieht zum Vater des Kindes nach Wolgast. Die Schwangerschaft hat sie genutzt, um für ihre Meisterprüfung zu büffeln. Jetzt ist sie Mutter und Meisterin und hat ein Problem: „Mein Sohn war wie eine kleine goldene Kette um meinen Hals. Ich war gebunden, konnte nicht mehr gehen, wann ich wollte.“ Die Verantwortung lastet auf ihr, sie kämpft mit Skrupeln: Sie möchte zurück in ihren Beruf. Doch den Jungen deshalb in die Kita schicken? Klischees von Karrierefrauen und Rabenmüttern spuken durch ihren Kopf. Dubs’ Wolgaster Freunde lächeln die Zweifel beiseite, machen ihr Mut. Sie findet eine gute Kita für den Sohn und keinen schlechten Job für sich: In den nächsten fünf Jahren bildet sie im nahen Greifswald Umschüler zu Bootsbauern aus.2006 legt ihr ein Schüler die aktuelle Tageszeitung auf den Tisch, die Schlagzeile: „Zwangsversteigerung: Die Freester Jarling-Werft soll unter den Hammer!“ Noch heute erinnert sich Kirsten Dubs an das Foto neben dem Artikel. Zu sehen ist die windschiefe Werfthalle, in der sich das Sonnenlicht verfängt. Das Bild muss Dubs berührt haben, denn sie tut etwas, was sie bis heute nicht recht erklären kann: Am Tag der Versteigerung nimmt sie sich frei und fährt zum Wolgaster Amtsgericht. „Ich wollte nicht bieten“, sagt sie heute. Schließlich hat sie kaum Geld auf der hohen Kante und noch nie eine Firma geleitet. Tatsächlich bekommen andere den Zuschlag und die Vertreter der Gläubiger zwei Wochen Bedenkzeit. Mit einer Vertreterin spricht Dubs, stellt sich vor. Deren Antwort verblüfft sie: „Machen Sie doch ein Angebot.“Nach einer schlaflosen Nacht faxt sie tatsächlich ein Angebot, das knapp über dem Gebot des Mitbewerbers von 250.000 Euro liegt. Weitere 250.000 Euro wären als Investition nötig. Doch woher eine halbe Million nehmen? Dubs hat ein kleines Grundstück bei Berlin, ein Häuschen in Wolgast und eine Lebensversicherung, die sie in die Waagschale wirft. Doch das reicht nie und nimmer. Bei den meisten Banken hört sie einen altbekannten Satz („Sie als Frau?“) und erntet Kopfschütteln. Auch das großzügige Angebot von Sohn Vincent („Mutti, nimm mein Sparschwein!“) reicht nicht. Wieder spielt der Zufall mit. An einer Bushaltestelle entdeckt Dubs ein Plakat: „Einfach anfangen. Existenzgründung in MV“. Dubs bewirbt sich bei diesem Wettbewerb von Landeswirtschaftsministerium, Industrie- und Handelskammer und Bürgschaftsbank MV mit einem verrückten Konzept.Zum Konzept gehören Workshops im Holzbootsbau, bei denen Laien die traditionellen Handgriffe des Kalfaterns, des Verpickens und der Formgebung lernen, Masten, Spieren oder Ruderpinnen zimmern oder in nur einer Woche eine eigene, segelfähige Jolle bauen können. Eigner dürfen bei Bau oder Restaurierung ihrer Boote helfen und das Wissen und die Maschinen der Werftchefin nutzen. Und natürlich möchte sich Dubs mit ihren Mitarbeitern professionell um alte und neue Schiffe kümmern. Mit diesem Konzept einer „ganzheitlichen Werft“ gewinnt Dubs im Januar 2007 den zweiten Preis im Wettbewerb und das Vertrauen einer Bank. Am 30. April 2007 übernimmt sie die Freester Werft.Hobel statt HandyNach und nach bringt Kirsten Dubs mit ihren Mitarbeitern den Betrieb auf Vordermann. Sie entrümpelt und saniert die Halle und macht die alten Maschinen – darunter eine 1878 in Leipzig gebaute Kirchner-Bandsäge – wieder flott. Sie vergisst auch den Bau der Damentoilette nicht. Denn selbstverständlich gehören zu ihren Angestellten und Azubis von Anfang an Frauen. Mit ihrer kompetenten, zupackenden Art gewinnt sie das Vertrauen der Kunden, die inzwischen aus ganz Deutschland Boote nach Freest bringen. Zu Dubs’ Bootsbaukursen kommen nicht nur Skipper, sondern auch Opas mit ihren Enkeln oder Manager, die ihr Handy gegen einen Hobel tauschen wollen. Gemeinsam arbeiten sie an Projekten wie der Restaurierung der 1956 gebauten Mutafo, die auf der Werft in den nächsten fünf Jahren vom Wrack zum Schmuckstück werden soll.Die Werft hat auch ihre Chefin verändert. Einen harten Alltag – sie steht um 5.30 Uhr auf und ist selten vor Sonnenuntergang zu Hause – hatte Kirsten Dubs immer. Doch Unternehmerin mit Verantwortung für eine Crew zu sein, musste sie erst lernen. „Als Chefin wird man nicht immer von allen geliebt“ – diese Einsicht machte ihr lange zu schaffen, inzwischen hat sie sich mit ihr abgefunden. Rationaler und direkter sei sie in den letzten zehn Jahren geworden, auch härter gegen sich und andere.Entscheidungen trifft sie längst nicht mehr allein mit dem Bauch, sondern auch mit Blick auf die Bilanzen. Dass trotzdem Spontanität, Spaß und Herzlichkeit nicht auf der Strecke bleiben, dafür sorgt eine Botschaft, die sich Kirsten Dubs als Holzbrett über ihre Bürotür nagelte: „Federn lassen und dennoch schweben – das ist das Geheimnis des Lebens.“Placeholder authorbio-1
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