„Was tun?!“-Netzwerk der Linken: Roter Himmel über Hannover
Linkspartei Das neu gegründete Netzwerk „Was tun?!“ hat sich zum Auftakttreffen versammelt. Das Ziel der Genossen: Die Partei wieder pazifistisch und sozialer zu machen. Wer sind die Köpfe hinter dem Projekt? Und wie erfolgversprechend ist es?
Nach dem Landesparteitag in Dortmund hatte Jana van Helden die Schnauze voll. Ende April hatten sich dort die NRW-Linken getroffen und einen Leitantrag mit dem Titel „Für eine Verkehrswende nach links“ beschlossen. Van Helden, 25, sah darin „reine Milieupolitik“ für grüne Bürgerkids. Sie arbeitet in einer Förderschule in Viersen und bekommt viel mit von den Sorgen ihrer Schüler: Das Geld reicht nicht für eine funktionierende Winterjacke, die Sohlen lösen sich von den durchgelatschten Schuhen. „Für diese Menschen sollten wir Politik machen!“
Aber was taten ihre Genossen an Rhein und Ruhr? Die übernahmen im Leitantrag die Sprechweise der Grünen, wonach eine Verkehrswende das Nonplusultra linker Politik
olitik machen!“Aber was taten ihre Genossen an Rhein und Ruhr? Die übernahmen im Leitantrag die Sprechweise der Grünen, wonach eine Verkehrswende das Nonplusultra linker Politik sei. Van Helden versuchte noch, die uneingeschränkten Liebeserklärungen in Richtung Letzte Generation und Fridays for Future abzuschwächen. „Kritische Solidarität“ war ihr Formulierungsvorschlag – doch der rasselte durch. Anfang Mai sitzt die Viersenerin in einem Bürgerhaus in Hannover und nimmt am allerersten „Was tun?!“-Kongress teil.„Die Linke ist ein totes Pferd“Es ist ein Netzwerktreffen jener, die den sozialistisch-marxistischen Pfad nicht einem grünen Reformkapitalismus opfern wollen. Immerhin, so der Tenor, seien 2020 mehr als zwei Drittel der Mitglieder der Meinung gewesen, Karl Marx solle in der Politik der Partei „eine größere Rolle“ spielen. Circa 280 Genossen aus ganz Deutschland sind nach Niedersachsen gekommen, ins piefige Bürgerhaus Misburg, mit Stalin-Biografien in den Bücherkisten und einer roten Marx-Statue in einer Ecke. Viele hier sind längst aus der Linken ausgetreten. Ihrer Galionsfigur Sahra Wagenknecht folgend, spielen sie mit dem Gedanken einer Neugründung. Mit den Vier-Prozent-Umfragen sei man sowieso ein „totes Pferd“, sagt einer, der mal ein prominentes Gesicht der Partei war.Im Dezember und Februar gab es zwei Videokonferenzen zur Vorbereitung des Kongresses, mit jeweils 350 Beteiligten. Zum Auftakttreffen in Hannover schickt Wagenknecht eine Videobotschaft. Darin sagt sie, die Linke wolle schon auch noch die richtigen Dinge: faire Löhne, gute Renten und einen starken Sozialstaat. Aber das ginge unter in einer Kakophonie aus unnützen Forderungen, die sich das akademische Milieu in den Szene-Vierteln ausgedacht habe: Anspruch auf ein „Sabbatical Year“, kostenlose Menstruationsartikel, bedingungsloses Grundeinkommen, offene Grenzen. „Es hat Gründe, warum wir von den sogenannten kleinen Leuten, aber auch von Gewerkschaftern nicht mehr gewählt werden.“ Das Hauptthema in Hannover ist aber nicht die verwässerte Sozialpolitik der Linkspartei. Sondern der Krieg. „Ohne Frieden ist alles nichts!“ lautet das Motto. Wagenknecht ärgert, dass eine Schlagzeile nach dem Landesparteitag in Thüringen Ende April lauten konnte: „Linke fordert Waffen für die Ukraine“.Gegen diese Politik formiert sich gerade das „Was tun?!“-Netzwerk, an dessen Koordination auch Artur Pech beteiligt ist. Der ist Mitglied im Ältestenrat und, wie viele hier, ein Genosse der alten Schule. In der aktuellen Ausgabe der Marxistischen Blätter erschien ein Essay von ihm mit dem Titel Die Linke in Zeiten des Krieges. Den Artikel kann man so zusammenfassen: Kriege liegen „im Wesen des Kapitalismus“. Denn wenn die wirtschaftlichen Stärken von Nationen auseinanderdriften, werden die kapitalistischen Staaten versuchen, dieses „gestörte Gleichgewicht“ mit militärischen Mitteln und zu ihren Gunsten wieder ins Lot zu bringen. Pech zeigt, dass sich die Kräfteverhältnisse seit 1980 stärker verschoben haben als in den vier Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Doch wer dieses Ränkespiel auf die Formeln „Kampf gegen den Autoritarismus“, „Verteidigung der westlichen Werte“ oder „Recht auf Selbstverteidigung“ reduziere, verschleiere die wahren Ursachen des Konflikts: die ökonomischen Ausbeutungsverhältnisse innerhalb und zwischen den Ländern. Dem müsse sich die Arbeiterklasse entgegenstellen, weil sie die Zeche für Kriege zahlt.Das einseitige Abschlussdokument, auf das sich die Netzwerker einigen, geht in dieselbe friedenspolitische Richtung. Dort wird an das Erfurter Programm aus dem Jahr 2011 erinnert. Wer einen Blick darauf wirft, sieht, was sich die „Was tun?!“-Netzwerker wünschen: ein Europa ohne Armeen, die Auflösung der NATO und ein grundgesetzlich fixiertes Rüstungsexportverbot.Kein Nukleus der neuen ParteiLeider hätten Parteivorstand, Bundestagsfraktion und „große Teile des Parteiapparates“ diesem Denken den Rücken zugewandt, heißt es in dem Kommuniqué, das in Hannover beschlossen wird. Muss also eine neue Organisation her? Journalisten, die mit der Hoffnung ins Bürgerhaus Misburg gekommen waren, hier den Nukleus einer neuen Wagenknecht-Partei zu sehen, wurden schon zu Beginn enttäuscht: Ihre Videobotschaft bringe keine News. Ganz überraschend war das nicht: Der Welt hatte sie Tage zuvor gesagt, „wenn die Linke sich völlig neu aufstellen würde“, sei eine Neugründung nicht mehr nötig. Bedeutet: mehr Friedens- und Klassenpolitik, weniger Genderdebatte, FLINTA-Workshops und Awareness-Teams.Das wünscht sich auch Jana van Helden. In Hannover hält sie einen impulsiven Kurzvortrag, das Blatt in ihrer Hand zittert vor Wut. Bis letztes Jahr war sie im Landesvorstand der NRW-Linken. Doch dann hielt sie eine Rede gegen den Arbeitermilieu-feindlichen „identitären Zeitgeist“, der „nicht zur Verbesserung ihrer Situation“ beitrage. Spätestens als sie, nach einer Demo in Düsseldorf, ein Foto mit einem Mitarbeiter aus Wagenknechts Büro postete, wurde sie im Landesvorstand und darüber hinaus als „Sahra-Versteherin“ diffamiert. Zusammen mit zwölf Gleichgesinnten beschloss sie, nicht noch mal zu kandidieren. Mittlerweile ist Nordrhein-Westfalen zu einer Hochburg gegen das Wagenknecht-Lager mutiert. Ein „Dringlichkeitsantrag“, der beim Dortmunder Parteitag beschlossen wurde, wirft der Politikerin parteischädigendes Verhalten vor und erwartet nicht nur von Wagenknecht, sondern auch von den fünf anderen Bundestagsabgeordneten aus NRW „ein klares Bekenntnis zu unserer Partei“. Daraus wird wohl nichts: Vier von sechs linken Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen waren beim „Was tun?!“-Kongress.Ganz vorn dabei war Sevim Dağdelen, die in ihrer Rede sagte: „Unsere historische Verantwortung ist es, einer Partei, die zur Kriegspartei mutiert, nicht auch noch Legitimität zu geben.“ Dann sind da noch Matthias Birkwald und Andrej Hunko, Letzterer ergriff nach Dağdelen das Wort. Auch wenn in Hannover der Altersdurchschnitt hoch war und viele Karl-Liebknecht-treue Altmarxisten mit grauen Haaren das Feld dominierten: Hätten sie mit Sahra Wagenknecht nicht gute Chancen an den Urnen?Laut einer Umfrage können sich 19 bis 24 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Und die Linke in NRW, die in Dortmund „gute Radwege“ für den „Lastenradverkehr“ weit oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt hat? Sitzt nicht im Landtag und kommt in Umfragen auf drei Prozent.
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