Die Union möchte wärmer und weicher werden. Vorbei die Zeiten, in denen man mit kalt-nüchternen Wirtschaftsreformen Wahlkampf machte. Nichts mehr zu finden von kurzen Steuererklärungen auf Bierdeckeln, für die sich dann doch nur hagere Herren im grauen Anzug begeistern. Man ist jetzt Frauen- und Familienpartei. Ihre weibliche Seite betont die Partei dabei nicht nur auf Plakaten mit tief dekolletierten Kandidatinnen, sondern auch bei den Giveaways. Da gibt es etwa eine Postkarte, bei der Merkel-Freundin Alice Schwarzer ganz warm ums Herz werden dürfte. Auf orangefarbenem Untergrund steht in weißen Buchstaben nur ein Wort: „Chefin.“ Auf der Rückseite verkündet die Partei für jene, denen es bisher entgangen sein sollte: „W
te: „Wir haben eine.“ Und fordert gleich noch: „Frauen nach vorn!“ Daneben sieht man den Umriss einer schlanken Frau im Hosenanzug.So weit, so emanzipiert. Nur die weiteren Wahlkampfgeschenke sind dann doch keine Büroutensilien für die moderne Karrierefrau, sondern nützliche Dinge fürs Hausmütterchen. Ans Wahlvolk verschenkt man Einkaufswagenchips, Nähetuis („Wir halten zusammen“) und Reisesets mit Nagelfeile und Reserve-Pflaster („Wir lösen auch die kleinen Probleme“). Statt großer Gesellschaftsvisionen also doch lieber kleine Lösungen.Auch an die vielen Kinder, die dank Ursula von der Leyens rastlosem Einsatz und leuchtendem Vorbild geboren werden, denkt die CDU. Für die Kleinen gibt es Straßenmalkreide und die Aufforderung: „Kinder, malt die Welt, wie sie euch gefällt!“ Klingt irgendwie anarchisch, gar nicht mehr nach Law-and-Order. Wenn das Onkel Schäuble wüsste... Jan PfaffSPDEines muss man ihr lassen: Zwar findet die SPD auf die Probleme der eigenen Partei keine Antwort, aber ihren Zustand scheint sie unterbewusst ganz gut zu kennen. Wie sonst sollte man das rote Wahlgeschenk-Quietscheentchen mit der Aufschrift SPD bitte verstehen? Also: Kultur- und mentalitätsgeschichtlich haben die (West-)Deutschen ein enges identitätsstiftendes Verhältnis zum Quietscheentchen (könnte schon auch für die SPD zutreffen). Als Kinder singen sie Ernies Entensong aus der Sesamstraße und lernen spielend, dass es nicht nur wichtig ist, sich zu waschen, sondern auch Spaß macht, und dass sie nicht allein gelassen werden in der Wanne (Bildung und SPD waren ja mal ein gutes Paar).Dummerweise fängt der Ärger mit zunehmendem Alter an. Dann tragen die Deutschen Namen wie Müller-Lüdenscheidt und Doktor Klöbner und finden sich irgendwann gemeinsam in einer Hotelbadewanne wieder, obwohl sie eigentlich gerne eine für sich allein hätten. Dann geht es um die Frage, ob man auch ohne Badewasser ein Warmbad genießen kann, wer das Wasser einlassen darf und wer beim Abtauchen den längeren Atem hat, weil diese Machtfrage darüber entscheidet, ob das Quietschenentchen von Dr. Klöbner nun zu Wasser gelassen werden darf oder eben nicht (mit wem wollte die SPD nochmal koalieren oder definitiv nicht, und unter welchen Bedingungen?). Und dann der ganze Stress, obwohl Dr. Klöbner doch sehr richtige Appelle parat hat („Wissen Sie, dass viele Menschen gar keine Wanne haben?“) Und im Loriot-Sketch dafür als Sozi geoutet wird.Wer als so beschenkter Wähler die SPD nicht mehr zu Wasser lassen möchte, dem hilft ein Karton voller „FW-Steinmeier“-Ansteckbuttons oder Anhänger mit der Aufschrift „Kanzleramtsschlüssel“ wohl auch nicht weiter. Susanne LangCSUBayern ist ein schönes Land – und so sonnig. Weil sich die CSU um das Wohlergehen der Landeskinder sorgt, verteilt sie im Wahlkampf Sonnencreme, Faktor 15, wasserfest. Nicht nur dermatologisch, auch wortspieltechnisch ist man im Süden der Konkurrenz weit voraus. Schließlich steht auf der CSU-Sonnencreme: „Damit Sie uns nicht rot werden.“Mit anderen Farben scheint man nicht solche Probleme zu haben. So überrascht, dass sich unter die Luftballons mit dem Parteilogo neben weißen und blauen auch einige grüne gemischt haben. Ein Ausrutscher oder Vorbote neuer Koalitionen? Bis auf die grünen Ballons ist die Welt der CSU aber nach wie vor blauweiß. Es gibt süße Bonbons in blauweißer Verpackung, genauso Traubenzucker und blaue Kugelschreiber mit dem bayerischen Löwen. Die Partei und Bayern, das soll auch ohne absolute Mehrheit weiter eins sein.Und weil man sich tief im Herzen nach den monarchischen Zuständen unter Strauß und Stoiber zurücksehnt, gibt es noch eine Krone aus Pappe mit blauweißem Rautenmuster. Die soll auf den Glanz des bayerischen Märchenkönigs anspielen, erinnert aber eher an einen Kindergeburtstag bei Burger King. Das mag ironisch-locker gemeint sein, aber der schnöde Pappkranz sagt dennoch vor allem eins: Der Glanz von einst ist Geschichte. Jan PfaffDie GrünenPraktisch sind sie ja, die Giveaways der Grünen. Der neongrüne Sattelschoner sieht zwar nicht gerade öko aus, sorgt aber dafür, dass man abends trockenen Hinterns vom Büro nach Hause radeln kann. Wenn das Rad dann noch da ist – schließlich könnte der knallfarbene Überzieher auch Fahrraddiebe aufmerksam machen. Das andere Ende des grünen Farbspektrums bilden dann die Luftballons, die in einem eleganten Dunkelgrün gehalten sind, das man fast schon als Schwarzgrün bezeichnen muss – und die einen gelben Schriftzug tragen. Schwampel, ick hör dir trapsen! Irgendwie verunglückt sind aber die Werbemittel zum Thema Frauen: Was soll man von einem Feuerzeug mit dem Aufdruck „Frauen haben Feuer“ halten? Oder dem „2-tlg.“ Wahlplakat „Frauen nach oben“, das aussieht wie die Wegbeschreibung zu einer Damentoilette im 1. Stock?Weiter im Angebot: Die klassische Baumwolltasche („Aus der Krise hilft nur Grün“), Bierdeckel („Die Zukunft ist unser Bier“) und der „Merkel-Stressball“, eine Schaumstoffkugel mit dem Konterfei einer griesgrämig dreinblickenden Kanzlerin. Bei Bedarf kann man den Stressball einfach quetschen. „Echt Kult“, hörte man die Werber frohlocken. Für das leibliche Wohl ist auch gesorgt: Mit einem Tütchen Ahoj-Brause („Wir sind Waldmeister“: schmeckt eher chemisch) und Bündnis-90-Bio-Gummibären („Auf den Inhalt kommt es an“).Dazu gibt es noch, ganz frech, Kondome von der Amor Gummiwaren GmbH aus Dillenburg: Die äußere Verpackung ist grün, die innere rot-gold. Ja, so sind sie, die Grünen: Auf Landesebene erstmal ein paar Versuchsballons gen Jamaika steigen lassen, dabei ostentativ den Merkel-Stressball drücken und heimlich schwarz-rot-goldenen Träumen nachhängen. Echt multikulti. Axel HenriciFDPDie Freien Demokraten haben es nicht leicht, aber zum Glück Silvana Koch-Mehrin. Die ist nicht nur Doktortitelträgerin, sondern a) eine Frau, die b) vorzeigbar aussieht und c) nicht nur Kinder mit ihrem Mandat im EU-Parlament vereinbaren kann, sondern auch d) zu kochen weiß. Für den Bundestagswahlkampf nutzt die FDP das so: Koch-Mehrin präsentiert in einem Büchlein ihre Lieblingsrezepte aus allen EU-Ländern, Motto: „Was richte ich denn heute in Europa an? – Gute Frage!“ Und beantwortet gemeinsam mit Kochfreundin Sarah Wiener Rund-Um-Alles-Fragen.Zum Beispiel, ob es stimme, dass Briten nicht kochen könnten. (Nein, was mit einem Rezept für Lammkeule mit Minzsoße untermauert wird). Oder ob Essen eine Schablone für Nationalismus sei („Nein, im Gegenteil!“). Mehrins Deutschland jedenfalls wartet mit einem ordentlichen Heringssalat auf, der mit Sicherheit auch all die Ärzte, Apotheker und Mittelständler, die im Verruf stehen, FDP zu wählen, erfreuen dürfte, nachdem sie an ihrem Auto die FDP-Wahlkampf-Fahne „Deutschland kann es besser“ angebracht haben. Susanne LangDie LinkeSpätestens seit der Marx-Engels-Gesamtausgabe stehen die Linken im Ruf, etwas arg textlastig zu sein. Ohne lange Schachtelsätze und ein gewisses Pathos lassen sich die Verhältnisse offenbar nicht verändern. Diese Tradition pflegt die gleichnamige Partei auch bei ihren Wahlgeschenken. Kostprobe? Bei einem schnöden Brillenputztuch heißt es da etwa, „bewährt für die Herstellung von Nah-, Weit-, Ein- und Durchsicht in den Kämpfen unserer Zeit.“ Drunter macht man es dann doch nicht.Die Linke will aber nicht nur mit langen Sätzen überzeugen, sondern man wäre zugleich gern auch frech, jung und sexy. Deswegen verteilt die Partei Lippenpflegestifte: „Schöner Mund tut Wahrheit kund.“ Und für den klassenbewussten Liebhaber gibt es Billy-Boy-Kondome, extra feucht. Da steht dann knapp: „Lustvoll.“ Das soll irgendwie auch etwas mit der Partei zu tun haben. Was, wird nur leider nicht ganz klar.Als politische Metapher gefährlich könnte aber ein anderes Giveaway sein. Man verteilt an den Wahlkampfständen auch lange Bleistifte, die extrem biegsam sind und sich in Kreisform zusammenlegen lassen. Sie sind nicht besonders praktisch, weil sie in der Hand beim Schreiben hin- und herwabbeln, aber sie sind ein Hingucker. Bloß drängt sich eine Frage auf: Möchte man so subtil andeuten, dass man für eine Beteiligung an der Macht nach der Wahl doch etwas biegsamer wäre, als man sich vorher gibt? Jan PfaffPiratenparteiVielleicht sind die Piraten die einzige Partei, die verstanden hat, wie eng Lust und Gefahr beieinander liegen. Dafür spricht jedenfalls die Idee, an ihren Wahlständen einfrierbare Symbole aus Plexiglas zu verteilen. Es ist ein Miniatur-Parteilogo, ein geblähtes Segel, das nach unten hin spitz ausläuft. Der Trick geht so: Einfach das Ding ins Eiswürfel-Fach geben, Wasser drauf, ein paar Stunden warten – und fertig ist die Überraschung für Trinker aller politischen Überzeugungen. Zumindest für die langsamen. Denn wenn das Eis schmilzt, bevor das Glas ausgetrunken ist, entflutscht das Segel seinem Würfel und verkrallt sich mit der Spitze in der Kehle. Merke die alte Regel des Pfeffersacks: Trinke schnell, wenn dir ein Pirat einen Drink serviert, aber schau vorher nach, was in deinem Glas schwimmt.Der Rest der Wahlgeschenke ist größtenteils ganz konventionell: T-Shirts, Buttons mit Flagge und Aufkleber mit politischen Inhalten wie „Arrrr!!!“ oder „Piratsphäre!“ Eigen ist der Piratenpartei das im Nacken bindbare Kopftuch, was sich ja umstandslos aus dem Namen herleitet. Eine lustige Idee, vor allem für Wähler mit Kindern. Denn wen sollen die Eltern nach Meinung eines Elfjährigen wohl lieber wählen? Eine Partei, die Luftballons mit Heile-Welt-Sprüchen verteilt oder eine, die Mama zur gefürchteten Aktivistin macht?Die Piratenpartei geht mit Käpt’n-Hook-Utensilien dennoch sparsam um. Zurecht. Es stimmt ja, dass sich aus dem Freibeuter-Wortfeld eine Zeit lang nette Werbegeschenke und eingängige Formulierungen entlehnen lassen. Doch jede Metapher nutzt sich bei übermäßigem Gebrauch ab. Und Langeweile ist womöglich die einzige Gefahr, die in der Piratenseele Angst statt Lust erzeugt. Steffen Kraft
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