Ich beginne mit einem Gefühl, einem Affekt. Vielleicht ist er nicht angebracht, aber angesichts dessen, was mir an Informationen zur Verfügung steht, verspüre ich ein Gefühl allgemeiner politischer Ohnmacht. Und das, was derzeit in Griechenland geschieht, sorgt für eine Art Konzentrat dieses Gefühls. Natürlich sind der Mut und taktischer Einfallsreichtum linker und antifaschistischer Demonstranten Grund zur Freude. Solche Dinge sind absolut notwendig. Neu aber sind sie in keiner Weise. Es handelt sich vielmehr um unveränderliche Merkmale, die jede Massenbewegung beseelen: die Idee der Gleichheit oder Massendemokratie, der Mut zu spontanen Reaktionen und so weiter. Wir haben dies 1968 in Frankreich nicht anders erlebt als jüngst auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Es muss diese Phänomene schon zu Zeiten von Spartakus und Thomas Münzer gegeben haben.
Lassen Sie uns, vorläufig, einen anderen Ausgangspunkt nehmen. Griechenland hat eine lange Geschichte von universalem Wert – ein Land des Widerstandes gegen mehrere aufeinanderfolgende Formen der Repression und Besatzung. Dort war die kommunistische Bewegung einst sehr stark, was auch mit ihrem Vermögen zum bewaffneten Kampf zusammenhing. In Griechenland revoltiert die Jugend heute in beispielhafter Weise gegen die EU-Diktate. Man hat es mit einer Gesellschaft zu tun, in der die klassischen Kräfte der Reaktion gleichfalls bestens organisiert sind und couragierten Volksbewegungen gegenüberstehen. Ein Land mit gewiss respekteinflößenden faschistischen Organisationen, aber auch mit einer Linksallianz wie Syriza, die – geführt von Alexis Tsipras – über entschlossene Wähler wie militante Anhänger verfügt.
Alles, was in Griechenland geschieht, hat den Anschein, als sei die von seiner eigenen Krise entfesselte Dominanz des Kapitalismus durch nichts zu brechen. Als ob es unter der Ägide von Ad-hoc-Ausschüssen und servilen Regierungen keine Alternative gäbe, als unpopulären Dekreten der europäischen Bürokratie Folge zu leisten. Der Widerstand dagegen wirkt teils so, als wolle er diese Prozesse nur verzögern, anstatt eine politische Alternative anzubieten.
Fluch der Selbstaufgabe
Deshalb müssen wir nicht nur den großen Mut des griechischen Volkes mit aller uns zur Verfügung stehender Kraft unterstützen, sondern auch darüber nachdenken, was gedacht und getan werden muss, damit dieser Mut nicht vergeblich bleibt. Denn auffällig – in Griechenland, aber nicht minder in Frankreich – sind die Ohnmacht und das Unvermögen der Linken, auch nur den geringsten Rückzug jener ökonomischen und politischen Kräfte zu erzwingen, die nichts unversucht lassen, die Bevölkerung permanent den Gesetzen eines extremen Liberalismus zu unterwerfen. Nicht genug damit, dass die Linke kaum vom Fleck kommt – zugleich gewinnen faschistische Kräfte an Boden und schwingen sich mit ihrem xenophoben Nationalismus zum Anführer der Opposition gegen die Dekrete der EU-Administration auf.
Nach meinem Gefühl besteht der Hauptgrund dieser linken Ohnmacht nicht in der Trägheit der Menschen oder darin, dass eine Mehrheit die „notwendigen Übel“ unterstützt. Es fehlt vielmehr an einem neuen Denken, das die Massen ergreifen könnte, und an einer Rhetorik des Protestes, die ein ungewohntes Vokabular zutage fördert. Die politischen Begriffe, die von den Aktivisten verwendet werden, bleiben – so wie sie sind – weitgehend wirkungslos. Die Gründe liegen auf der Hand.
Nach den radikalen, ungestümen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre gab es eine lange Phase des politischen und ideologischen Rollbacks. Das Vertrauen in die Wirkungsmächtigkeit der grundlegendsten Begriffe emanzipatorischer Politik wurde systematisch zerstört. Das galt für Termini wie „Klassenkampf“, „Generalstreik“, „Revolution“ oder „Massendemokratie“, um nur einige zu nennen. Der Schlüsselbegriff „Kommunismus“, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts aus der politischen Debatte nicht wegzudenken war, fiel einer historischen Verleumdungskampagne sondergleichen zum Opfer. Dass die Gleichsetzung von Kommunismus und Totalitarismus mittlerweile als völlig natürlich erscheint und einmütig akzeptiert wird, ist ein Indikator dafür, wie sehr die Revolutionäre in den Achtzigern gescheitert sind.
Natürlich können wir nicht auf eine scharfe und ernsthafte Kritik der Entwicklung verzichten, die es in den sozialistischen Staaten, besonders der Sowjetunion, gab. Doch die Kritik sollte die unsere sein und der eigenen Theorie und Praxis dienen, anstatt zu einer Art von mürrischem Verzicht zu führen, der das politische Kind mit dem historischen Bade ausschüttet. Das hat zu einem erstaunlichen Phänomen geführt. In einer Epoche wie der jetzigen, die für die Linke von kapitaler Bedeutung ist, haben wir praktisch uneingeschränkt den Standpunkt des Gegners übernommen. Und diejenigen, die das nicht taten, haben einfach die alte Rhetorik beibehalten, als wenn nichts geschehen wäre. Von allen Siegen unseres Feindes hat dieser symbolische Sieg die größte Tragweite.
Früher, in Zeiten der „alten Kommunismen“, machten wir uns über das lustig, was wir langue de bois oder die Sprache der Klischees nannten – leere Worte und wichtigtuerische Phrasen. Eine der großen Stärken der offiziellen Ideologie heute besteht genau darin, dass ihr eine langue de bois zur Verfügung steht, die in allen Medien und ohne Ausnahme von jedem Regierungsvertreter gesprochen wird. Wer würde glauben, dass Begriffe wie „Demokratie“, „Freiheiten“, „Menschenrechte“, „ausgeglichenes Budget“ oder „Reformen“ etwas anderes sind als Elemente einer omnipräsenten langue de bois? Die authentischen Linken, denen eine Strategie der Emanzipation fehlt, sind hingegen die wirklich Sprachlosen! Und sympathische Parolen der Bürgerrechtsbewegung werden uns nicht retten: „Nieder mit diesem und jenem!“ oder „Zusammen sind wir stark“oder „Widerstand!“ Das mag genügen, um für den Augenblick kollektive Affekte heraufzubeschwören, und taktisch sehr hilfreich sein. Doch taugt diese Sprache nicht für eine Diskussion über die Zukunft emanzipatorischer Praxis.
Kollektive Affekte
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Kraft des Aufstands, seinem Umfang und dem Mut dazu. Aber ebenso in seiner Disziplin und den positiven Aussagen, zu denen er in der Lage ist. Nur so eröffnet sich eine positive strategische Zukunft. Sie offenbart Möglichkeiten, die bisher unter der Propaganda des Feindes unsichtbar blieben. Hier liegt der Grund, warum eine mitreißende Massenbewegung nicht aus sich heraus eine politische Vision hervorbringt. Wird eine Bewegung durch individuelle Affekte gefestigt, trägt das stets negativen Charakter. Slogans in Griechenland wie „Nieder mit dem Kapitalismus“ oder „Stoppt die Entlassungen“ oder „Nieder mit der Troika“ bewirken streng genommen nichts anderes, als die Bewegung mit der Negativität ihrer Affekte zu verschweißen. Bestimmtere Negationen wie „Nieder mit Mubarak“ können zwar zu einem Ergebnis führen, weil ihr Ziel klar benannt ist, aber sie sind nie in der Lage, die Politik zu bestimmen, die dieses Ergebnis zur Folge haben wird. Ägypten und Tunesien liefern den Beweis. Reaktionäre religiöse Parteien ernten die Früchte einer Bewegung, zu der sie keinen wirklichen Bezug haben.
Politik ist immer das Resultat von positiven Vorschlägen und Vorstellungen, nicht von Negation und Ablehnung – sie ist ein Gedanke in Aktion, der auf unbekannte Möglichkeiten hinweist. Schlagworte wie „Widerstand!“ sind sicherlich geeignet, Menschen zu vereinen, aber sie sind auch ein Zeichen politischer Schwäche. Es ist nicht der negative Affekt des Widerstandes, der einen Rückzug der reaktionären Kräfte erzwingt, die heute versuchen, jede Form des Denkens und Handelns zu zersetzen, wenn sie nicht auf Gefolgschaft hinausläuft. Dies kann nur die Disziplin einer gemeinsamen Idee leisten, die sich auf eine homogene Sprache stützt.
Eine solche Sprache zu rekonstruieren, ist von entscheidendem Wert. Zu diesem Zweck habe ich versucht, all das wieder einzuführen und neu zu bestimmen, was am Begriff „Kommunismus“ hängt. Das Wort bezeichnet drei grundlegende Dinge: Zunächst die analytische Beobachtung, der zufolge die Freiheit, mit deren Fetischisierung wir alle vertraut sind, in den heutigen Gesellschaften vollends vom Begriff des Eigentums beherrscht wird. „Freiheit“ ist nichts anderes als die Freiheit, uneingeschränkt zu konsumieren. Das Recht, zu tun und zu lassen „was man will“, wird allein am Ausmaß dieses Konsums gemessen. Einer, der jede Möglichkeit zum Erwerb verloren hat, genießt keinerlei Freiheiten mehr. Das konnte man einst nur allzu gut an den vagabonds erkennen, die englische Liberale im Zeitalter des aufstrebenden Kapitalismus bedenkenlos erhängen ließen.
Freie Assoziation
Aus diesem Grund erklären Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest, alle Forderungen des Kommunismus könnten in gewisser Weise auf eine einzige reduziert werden: die Aufhebung des Privateigentums.
Des Weiteren vertritt „der Kommunismus“ die historische Hypothese, dass die Freiheit von Eigentum und Gesellschaften nicht notwendigerweise durch eine mächtige Oligarchie aus Geschäftsleuten, Politik, Polizei, Militär und Medien beherrscht werden muss. Vielmehr ist eine Gesellschaft möglich, in der die Produkte der Arbeit vergesellschaftet werden, die großen Widersprüche der Ungleichheit verschwinden und Entscheidungen, die alle angehen, auch von allen getroffen werden. Marx nannte das „freie Assoziation“.
Schließlich bezeichnet „Kommunismus“ die Notwendigkeit einer internationalen politischen Organisation. Das heißt, jenseits des jeweiligen Staates handeln zu können und die Wirklichkeit in eine Richtung zu lenken, die sich ergibt, wenn die aktive Subjektivität all derer, die bereit sind, den vorhandenen Zustand zu verändern, mit Prinzipien verknüpft wird.
Der Begriff „Kommunismus“ meint somit den gesamten Prozess, in dem Freiheit von ihrer Unterwerfung unter das Eigentum befreit wird. Dass deshalb das Wort „Kommunismus“ von unseren Feinden besonders hartnäckig bekämpft wird, hat damit zu tun, dass sie einen Prozess nicht ertragen können, der in der Tat ihre Freiheit zerstören würde. Wenn es das ist, was unsere Feinde am meisten hassen, dann müssen wir mit der Wiederentdeckung des Kommunismus beginnen.
All dies mag uns weit von Griechenland weggeführt haben. Aber Politik entsteht nun einmal, indem die Disziplin von Ideen und die Überraschung der Umstände zusammentreffen. Ich wünsche Griechenland und uns allen, dass es zum universalen Schauplatz einer solchen Begegnung werden möge.
Gekürzte Fassung eines Artikels aus der Zeitschrift Radical Philosophy
Alain Badiou, geboren 1937 in Marokko, gehört zu den führenden Theoretikern der europäischen Linken. Nach den Mai-Unruhen 1968 in Frankreich befasste er sich unter anderem mit einer Adaption des Maoismus auf die Verhältnisse westlicher Industriestaaten. 1985 gründete er die Union des Communistes de France marxiste-léniniste (UCFML), die sich einer Revision der Einwanderungspolitik ebenso verschrieb wie einer Erneuerung der französischen Gewerkschaftsbewegung. Badiou bemüht sich stets um den Brückenschlag zwischen Politik und Philosophie
Kommentare 6
Herr Badiou, lassen Sie es gut sein. Mehr als Schmunzeln und Kopfschütteln können Sie vom aufgeklärten Leser nicht erwarten. Sie sind und bleiben ein Theoretiker. Ich sag Ihnen was: Wenn es irgendwann mal tatsächlich so etwas wie den "Kommunismus" geben sollte - es wird sicherlich nicht der Verdienst von Leuten sein, die sich heute als "Linke" bezeichnen.
Die Feststellung, dass ein positiver Bezugspunkt, eine Utopie aktuell fehlt, ist richtig. Ebenso, dass eine solche bitter notwendig wäre. Ohne Voltaire kein 1789, ohne Marx & Engels kein 1917, ohne diese, Adorno, Marcuse & Reich kein 1968. Leider hat die Linke auch grosse Erfahrung mit dem Scheitern von Utopien. 68 brachte letztendlich grüne Ökospiesser und die Agenda 2010. 2103 dürfte leider eine weitere Analogie bringen: das Hinüberswitchen der zweiten deutschen Demokratie über die Marke 1930 – hinein in den Zustand des brutalen, von keiner Opposition mehr gebändigten Sachzwang-Durchexerzierens. Für das untere Viertel werden die nächsten vier Jahre existenziell hart; hier steht der letzte Rest an Bürgerrechten und sozialen Rechten zur Disposition.
Der Helotenstatus breiter Gesellschaftsschichten ist in Sichtweise. Für den Rest wird es ebenfalls nicht viel besser werden - auch wenn ein bißchen Kosum als Trost verbleiben mag. Ja, eine Utopie, ein Ziel täte bitter not. Man könnte bitter weinen um die Verfasstheit der hiesigen Linken.
Korrektur: Muss natürlich 2013 heissen nicht 21o3 ;-).
Marxismus und die Grünen
(aus: Eros Kosmos Logos, Krüger 1996,S. 245)
Die einzige ernstzunehmende soziale Bewegung von globaler Natur ist bis heute die internationale Arbeiterbewegung (Marxismus), der ein großes und bleibendes Verdienst zukommt, die aber auch eine fatale Schwäche hat. Das Verdienst besteht in der Entdeckung eines gemeinsamen Zugs aller Menschen, unabhängig von Rasse, Glaubensbekenntnis, Nationalität, Mythologie oder Geschlecht: Wir alle müssen unser körperliches Überleben durch gesellschaftliche Arbeit dieser oder jener Art sichern: Wir alle müssen essen. So sind wir aufgrund der gesellschaftlichen Arbeit alle im selben Boot, alle Weltbürger. Diese Bewegung war echt und ernsthaft und für sehr viele Menschen einleuchtend und glaubwürdig genug, um die ersten wirklich global gemeinten Revolutionen von Rußland bis China und bis nach Südamerika auszulösen.
Soweit die wirklich anerkennenswerte Seite. Die fatale Schwäche bestand darin, daß diese Bewegung die höheren kulturellen Bestrebungen nicht nur auf die Grundlage des ökonomischen und materiellen Bereichs, der gesellschaftlichen Arbeit und des materiellen Austauschs stellen wollte, sondern sie darauf zu reduzieren versuchte; sie wollte Kultur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren, auf materielle Produktion, materielle Werte und materielle Mittel, und alle Produktion höherer Art, insbesondere alles spirituelle, war nur noch Opium fürs Volk.
Der Marxismus stellte also die Noosphäre nicht allein auf die Grundlage der Physiosphäre (was wegen des zusammengesetzten Charakters der Individualität entscheidend wichtig ist), sondern reduzierte die Noosphäre auf die Physiosphäre - was sich als derart abwegig herausstellte, daß sich die Evolution jetzt nach kaum einem Jahrhundert ernsthaft daran gemacht hat, diesen Irrtum aus der Welt zu schaffen. Da die reduktionistische Seite des Marxismus keinerlei Rückhalt im Kosmos fand, mußte das Ganze in eine religiöse Mythologie umgedeutet und dann unter imperialistischem Zwang durchgesetzt werden.
Eine zweite große Bewegung, die eine gewisse Eignung als Träger einer Weltbürgerschaft besitzt oder zu besitzen vorgibt, ist die der Grünen. Ich habe sehr viel Sympathie für diese Bewegung, solange sie sich als ein Unterfangen neben anderen versteht, aber ich glaube, sie besitzt nicht im entferntesten die nötige Integrationskraft für eine globale Föderation von Weltbürgern, die sich ihre Grundsätze freiwillig zu eigen machen (unter Zwang vielleicht,aber das wäre kein ungehinderter globaler Diskurs, sondern wieder nur gewaltsame Einigkeit).
Die Grünen machen im Grund den gleichen Fehler wie die Marxisten, weil sie die unbestrittene und unbestreitbare Tatsache, dass niedrigere Ebenen grundlegender sind als höhere, zum Anlaß einer Reduzierung des Höheren auf das Niedrigere nehmen. Aber das Grundlegendere ist allein nicht ausreichend für das Leben des Höheren und Tieferen. Wo die Marxisten alles auf materielle Austauschprozesse der Physiosphäre zurückzuführen versuchen, reduzieren die Grünen alles auf ökologische Austauschprozesse der Biosphäre. Das ist zwar ein Schritt über den Marxismus hinaus, bleibt aber eine Wissenschaft des kleinsten gemeinsamen Nenners, die zwar (wie der Marxismus) in ihrem Geltungsbereich wichtiges leistet, aber jenseits eines gewissen Punktes katastrophal wird und vor allem völlig außerstande ist, Weltbürgerschaft über diesen Punkt hinauszutreiben.
Zu ihrer philosophischen Plattform machen die Grünen a) den Gedanken, daß die Kultursphäre oder Noosphäre Teil des größeren Ganzen der Biosphäre ist, und b) die Systemtheorie als Wissenschaft vom Gewebe des Lebens. Der genannte Gedanke ist, wie wir gesehen haben, schlicht falsch, und die Systemtheorie stellt, wie wir ebenfalls gesehen haben, eine etwas martkschreierische Form des subtilen Reduktionismus dar. Die Biosphäre ist grundlegender als die Noosphäre, aber eben deshalb nicht höher, sondern niedriger und seichter; und das Niedrigere kommt in aller Evolution zuerst, vor allem anderen.
Die Grünen meinen nun, das Erste und Grundlegendste müsse auch das Letzte und Höchste sein - ein schwerer Irrtum, der dazu führt, daß sie wie die Marxisten die biomaterielle Dimension durchforsten und zu bereinigen versuchen, was dort nicht in Ordnung ist. So gut und begrüßenswert das ist, sie kommen darüber nicht hinaus, sie finden keine integrativen Ansätze zu einem tieferen Bewußtsein, zu höherem Umfangen, zu echter Gesamtschau, zu etwas wirklich Befreiendem - nur zu eher theoretischer und regressiver biosphärischer Indissoziation. Und wie die Marxisten haben sie für alle wahrhaft tieferen oder höheren Bestrebungen nichts anderes als das Vokabular des sozialen Reduktionismus parat: "Eskapismus", "Opium", "Illusionismus", "falsches Bewusstsein".
Ein wirklich integrativer Ansatz, der von den tatsächlichen historischen Gegebenheiten unserer Zeit ausgeht, um eine Weltkultur zu schaffen, wird sicher auch für eine gerechtere Verteilung im materiell-ökonomischen Bereich und für tragbare ökologische Verhältnisse zu sorgen haben, also die Anliegen der Marxisten und der Grünen berücksichtigen. Aber er wird weit darüber hinausgehen müssen und sich ganz direkt und ohne jeden Reduktionismus auf die Noosphäre und ihre Verteilungsprobleme und Fehlentwicklungen einlassen...
Gesellschaftliche Arbeit kann uns als Weltbürger insoweit einigen, als wir Materie gemeinsam haben - weiter nicht. Ökologische Vernunft kann uns als Weltbürger insofern einigen, als wir alle einen Körper haben - weiter nicht. Es wird einer Schau-Logik-Bewegung von gewaltiger Integrationskraft bedürfen, um uns als Weltbürger zentaurisch zu einigen, das heißt insofern, als uns Materie und Körper und Geist (ganz zu schweigen vom GEIST und dem Selbst, die all dem vorausgehen) gemeinsam sind.
Seien Sie so gut, Grabert: in diesem Land arbeiten Akademiker, die alle Nase lang die Notwendigkeit einer "Freiheit der Lehre" betonen, zugleich mit "Konfuzius-Instituten" zusammen, deren politische Aufsicht ihre Legitimation nicht zuletzt von Mao herleitet. Das geschieht in dieser Gesellschaft, unter anfeuerndem Zurufen von "Politik und Wirtschaft".
Badiou sagt, was er denkt, und kann damit nicht mehr falsch machen als der alltägliche Opportunismus. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass er ausführlicher zu Wort kommt.
LOL! Klasse!