Was van Gogh auf dem Walkman hatte

Eventisierung Das Werk des Holländers wird in Berlin als Gigantoinstallation endlich richtig in unsere hocheffiziente, hochunterhaltsame Gesellschaft eingegliedert
Ausgabe 22/2015

Groß und bunt und mit Musik muss alles sein, sonst erreicht es die Gehirne nicht mehr. Schön wäre, wenn dieser van Gogh mehr Explosionen und Verfolgungsjagden gemalt hätte, aber na ja. Sie haben versucht, das Beste daraus zu machen. 12,50 Euro legt man an der Kasse hin, dann hat man nahezu grenzenlosen, man möchte sagen: entgrenzten Zugang zu Vincent van Gogh. Nicht zu dem alten, angestaubten, in Museen vor sich hin dämmernden, der immer ungesunde Ölfarbe auf Leinwände aufgespachtelt hat, so wie Dalí oder Bob Ross. Endlich hat man van Gogh optimiert, geupdatet, hochgelevelt: Van Gogh Alive präsentiert in der Alten Münze, einer der sogenannten Eventlocations in Berlin-Mitte, sein Werk so, dass man es auch nach einem anstrengenden Tag mit der Familie oder intensivem Konferieren oder einer längeren Busreise auf sich wirken lassen kann: Als Gigantoinstallation, als Projektion über drei dunkle Räume, auf meterhohen Projektionsflächen strahlen seine Bilder in wilder Kombination und Dekomposition durcheinander, Mitfilmen und Abknipsen definitiv erlaubt.

Und weil der gemeine Kulturkenner aus dem Fernsehen weiß, dass zur Gemäldevermittlung immer auch gefühliges Gefiedel gehört, wird zudem noch klassische bis volkstümliche Musik zugespielt, die van Gogh eben damals beim Malen auch schon auf dem Walkman hatte: Akkordeonmusik gleich Pariser Phase, behutsames Zupfen gleich Arles-Idyll, dezent atonale Klänge gleich Bezirkshospital. Um die Defizite und Beschränktheiten einfach nur vollgemalter Leinwände auszugleichen (Van Gogh konnte ja damals nicht anders!), hat man, so gut man konnte, Bewegung in die Bilder gebracht: Räume und Obstteller bauen sich nach und nach auf, Van-Gogh-Boote werden durch Van-Gogh-Bilder fahren gelassen, aus einem Bild hat man sogar den Zug entnommen und lässt ihn durch die Van-Gogh-Landschaft sausen, nicht ohne dabei ein Puff-puff-puff-Eisenbahnschnaufen einzuspielen.

Das ist großartig! Endlich kann auch der Lebemann und Ladenhüter van Gogh sich eingliedern in unsere hocheffiziente, hochunterhaltsame Gesellschaft, kann Arbeitnehmern in FC-Union-T-Shirts ein Kulturerlebnis verschaffen, herangekarrten Rentnern dabei helfen, ihre Rente wieder in den Wirtschaftskreislauf einzuspeisen, kann wen auch immer in eine angenehme Erduldungsstarre bringen, die der Kapitalismus zum Funktionieren benötigt: Im Sitzsack bei Van Gogh Alive zu liegen und sich mit der ganzen abgefahrenen Buntheit des irren Holländers zuzudröhnen, das hat schon was Befreiendes, da muss man keinem Geist mehr gegenübertreten und dabei gegebenenfalls den eigenen erahnen: schon super! Hoffentlich gibt es diesen Gogh bald auch als App, das wäre cool.

Die Elfjährige, die man im Schlepptau hat, ist nicht ganz so angetan: Die Musik gefiele ihr nicht wirklich, da wäre also zu erwägen, welche Charts-Hits, welche Loops und Riffs van Gogh heute hören würde, wenn er als großformatiger Videokünstler unter uns weilte. Auch motivorientierte Beduftung wäre gut: Kornfeldnote, Sandstrandbrise, Eau de Absinth. Es gibt noch einiges zu tun für das aufregende neue Genre der Ölbild-Eventisierung. Aus dem Ausgang stolpernd, begegnet man einer verloren auf dem Asphalt den Weg weisenden Real-Life-Sonnenblume im Töpfchen – und wäre das Hirn nicht so hübsch leergebrannt jetzt, so könnte man eine Ironie darin erkennen.

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