Wasserträger

Linksbündig Die Debatte um Armut trägt nur bis zum nächsten Lidl

Im Schatten der Kapitalismuskritik führt das deutsche Feuilleton derzeit eine Diskussion um Armut, beziehungsweise um das, was in einer Konsumgesellschaft dazu erklärt wird. Es geht nicht um unerfreuliche Vokabeln wie Verzweiflung, Würdelosigkeit oder gar Hunger, nein es geht um den "schicken Flirt mit dem Existenzminimum" wie ihn Christian Kortmann in der Süddeutschen Zeitung beklagte. Es ist eine seltsame Debatte, in der kaum jemand die reale Armut, zum Beispiel die zunehmende Kinderarmut in Deutschland, benennen will. Stattdessen wird versucht, die Abstiegsangst der deutschen Mittelschicht zeitgeistig aufzupeppen.

Doch was soll spannend sein an dem Phänomen, dass es immer mehr gut ausgebildete und schlecht verdienende Menschen gibt, die morgens bei Aldi Lebensmittel und nachmittags ein Hemd von Armani kaufen? Dass dieser "Spagat" zwischen Discount- und Markenartikeln vor allem Werbe- und Medienleute interessiert, die immer etwas unter die Leute bringen müssen (Produkte, Nachrichten), ist klar. Aber jenseits des Marketinginteresses bleibt von diesen "Smart-Shoppern" nicht viel übrig, wenn man sie ihr Billigwasser aus Lidl schleppen sieht. Die allermeisten haben einfach nicht mehr so viel Geld wie früher, sie verdienen weniger oder gar nichts. Sie müssen bei Discountern einkaufen, nicht weil es cool ist oder angesagt oder weil sie etwas existenzialistisch bohèmemäßiges verspüren wollen, sondern weil nicht genug Kohle da ist. Wenn man dann später flüssig ist, gibt´s auch wieder blaue Vittel- statt grüner Lidl-Flaschen.

Wer sich ernsthaft auf die These einlässt, der Discounter-Boom hätte irgendetwas mit endzeitlichem Eskapismus oder der Sehnsucht zu tun, sich endlich auf das Notwendige zu beschränken, der ist selbst arm, vor allem im Kopf. Worin soll denn das eigentlich Notwendige bestehen? Und warum eigentlich beschränken? Es ist doch genug Zeit und kulturelles Kapital da für das uneigentlich Überflüssige. Es fehlt nur das Geld. Die Übersteigerung der Geldsorgen anderer Leute zu einem Trend hilft nicht viel, sie lindert allenfalls die Scham vor dem Nachhauseweg mit dem Lidlwasser durch das Szeneviertel.

Das schlechte Gewissen der bewussteren Einkäufer wird das nicht beruhigen. Wer Discounter unterstützt, der unterstützt miserable Produktions- und Arbeitsbedingungen. In dieser Richtung gibt es leider nichts zu diskutieren. Wer ein Markenprodukt kauft, unterstützt vor allem Werbe- und Marketingagenturen und die Shareholder-Fantasien einiger Manager und Aktionäre. Auch nicht richtig sauber. Also doch wieder die völlig langweilige Öko-Nummer mit dem lokalen Schlachter, der alle Schweine mit Vornamen kennt und dem Gemüsemann, der seinen Kohl eigenhändig ausgegraben hat? Solche Fragen mögen für Debatten zu langweilig scheinen, aber sie sind immer noch wichtiger als die Konsumprobleme verängstigter Noch-Mittelschichten. Das einzig Interessante an der abstrusen Diskussion um "Armut" ist, dass sie beweist, welch immense Bedeutung dem Konsum heutzutage beigemessen wird. Der gnadenlose aber auch verbindende Charakter des Konsums tritt deutlich hervor. Auch der Arbeitslose oder Geringverdiener wird als Käufer angesprochen und aufgefordert, seine paar Kröten wieder rauszurücken und zu Aldi oder in den MediaMarkt zu tragen. Der private Konsum ist einfach zu wichtig für die Volkswirtschaft, da reicht so ein bisschen Armut noch lange nicht als Argument der Verweigerung. So darf sich der verarmende Bürger zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht auf seine traditionelle Rolle als bescheidener anspruchsloser Sparer zurückziehen, sondern soll kaufen, was plötzlich selbst als eine Form des Sparens gelten soll. In dieser Ansprache sind alle gleich, ob Arbeitslose, Angestellte oder Manager. Überall gibt es was zu holen und für die ganz Schnellen natürlich billiger. Solange sich auch gut verdienende Bürger von der "Billiger-Mehr-Schneller"-Ideologie verführen lassen, solange wird sich die Preis- und Elendsschraube weiter drehen. Gewinnen wird, außer ein paar unsympathischen Discountern und deren Besitzern, niemand, nicht deren Angestellte, nicht deren Zulieferer und auch nicht die, die glauben, Armut könnte ein neuer Lebensstil sein.


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