We live it!

linksbündig Es wird Zeit für eine ethics-Produktlinie von Siemens

Einem Münchner Unternehmen wird vorgeworfen, Energie in zweifelhafte Projekte gesteckt zu haben, statt seine maladen Unternehmenszweige zu retten. Untreue, Bestechung, Steuerhinterziehung, Kartellabsprachen - um nur einige der juristischen Begriffe für das zu nennen, was in einem rosa getünchten Gebäude am Wittelsbacherplatz offenbar unter "Münchner Freiheit" verstanden wurde. Und das in einem deutschen Vorzeigekonzern!

Aber, aber. Wer Siemens vorverurteilt, macht es sich etwas zu einfach, denn nicht an den Taten, sondern an den Worten sollst du in der Mediengesellschaft messen. Und muss Heinrich von Pierer, der - bei Redaktionsschluss noch - Aufsichtsratsvorsitzender ist, nicht ein Mann mit Charakter und Kompass sein? Hätten sich denn sonst Stoiber, Schröder und Merkel um seine Gunst gerissen?

Werte statt Wert, Kultur statt cash flow! Was Siemens als sein Unternehmensleitbild ("Our principles - we live it!") präsentiert, sagt doch mehr als jeder kleinteilige Rechtsverstoß im Gestrüpp überwuchernder Regulierung. Mal ganz konkret, geradezu superkonkret: Einer der fünf Sterne des Unternehmensleitbilds leuchtet für die Mitarbeiter. Und das lautet so: "Wir fördern unsere Mitarbeiter - und motivieren sie zu Spitzenleistungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Quelle unseres Erfolgs. Wir arbeiten in einem weltweiten Netzwerk des Wissens und des Lernens zusammen. Unsere Unternehmenskultur ist geprägt von der Vielfalt der Menschen und Kulturen, von offenem Dialog, gegenseitigem Respekt, klaren Zielen und entschlossener Führung." AUB-Betriebsräte, die ohne entsprechende Gegenleistung reichlich entlohnt wurden, können das bestätigen. Den murrenden Mitarbeitern a.D., die mit BenQ in die Pleite geschliddert sind, möge das eine Lehre sein. We live it! Und das gilt nicht nur für die Mitarbeiter, sondern für Dich, für mich, für alle. Denn: "Wir tragen gesellschaftliche Verantwortung - und engagieren uns für eine bessere Welt. Unsere Ideen, Technologien und unser Handeln dienen den Menschen, der Gesellschaft und der Umwelt. Integrität bestimmt den Umgang mit unseren Mitarbeitern, Geschäftpartnern und Aktionären."

Es bedarf an dieser Stelle keiner Erinnerung an die Steigerung des Kleinaktionärskapitals bei Infineon, an den Umweltschutz durch Atomstrom, an verbraucherfreundliche Preisgestaltung dank Kartellen bei Schaltsystemen oder an die Pflege von Geschäftsbeziehungen durch freundliche Zahlungen an Auftragsnehmer in Italien. We live it! Die engagieren sich für eine bessere Welt, da fallen eben schon mal Späne.

Klar, dass die juristischen Nickeligkeiten den Schweizern und Italienern aufgefallen sind, die mit Rechtshilfeersuchen die deutschen Staatsanwälte zu Ermittlungen tragen mussten. Dabei hätte ein Blick ins Internet genügt, um zu erkennen, dass bei Siemens alles mit rechten Dingen zugeht, denn wie Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser erklärt: "Eine klar strukturierte und gelebte Corporate Governance hat bei Siemens seit jeher eine hohe Bedeutung. Sie steht für eine verantwortungsbewusste und Wert schaffende Führung und Kontrolle des Unternehmens. Effiziente Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, die Achtung der Aktionärsinteressen, Tranparenz und Verantwortung sind wesentliche Aspekte guter Corporate Governance für uns." Die Compliance-Erklärungen zur Corporate Governance sind für die vergangenen Jahre einsehbar. Ohne Abstriche, versteht sich. Die Richtung des Unternehmens, pardon, seine "Philosophie" stimmt jedenfalls: "Unser Handeln richten wir an klar definierten ethischen Maßstäben aus." Und wer von den Suchenden und Irrenden unserer Zeit kann das schon von sich behaupten?

Es wird Zeit, dass Siemens einen business case entwickelt für diesen Ethik-Service, die Welt könnte ihn brauchen. Doch die ethischen Maßstäbe, an denen sich dabei ausgerichtet wird, bleiben vorerst so geheim wie die Schöpfer der weisen Worte. Kommen diese Erklärungen aus den Philosophieautomaten universitärer Wirtschaftsethiker? Produziert Peter Sloterdijk sie am Fließband? Oder werden sie in der Stabsstelle "Product Design" der Bertelsmann-Stiftung gefertigt? Als neuestes Produkt der Siemens ethics-line wird die Dilemma-Bewältigung entwickelt. Vorstandschef Klaus Kleinfeld hat versprochen: "In zwei bis fünf Jahren sollen die Leute zurückschauen und sagen, so wie Siemens die Sache angegangen ist, das ist die Benchmark." We live it!

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden