Weder al Qaida noch Bush

Kommentar Friedensforscher für klar definiertes Gewaltmonopol

Als Kofi Annan am 10. Dezember 2001 für die UNO den Friedensnobelpreis entgegen nahm, erlag er offenbar einer optischen Täuschung: "Wir haben das dritte Jahrtausend durch ein Feuertor betreten. Wenn wir heute, nach den Schrecken des 11. September, besser und weiter sehen können, werden wir erkennen, dass die Menschheit unteilbar ist." Ist sie das wirklich? Die deutschen Institute der Friedens- und Konfliktforschung, die gerade ihr Friedensgutachten 2002 vorgelegt haben, sind skeptisch. Sie fragen gleich zu Beginn, ob nicht die UNO als Hoffnungsträger für die Durchsetzung des Rechts in den internationalen Beziehungen zerrieben wird "zwischen der Privatisierung von Gewalt nach dem Muster al Qaida und den übermächtigen USA, die nur noch der eigenen Stärke vertrauen und die bindenden Pflichten der Weltorganisation, die sie doch selbst geschaffen haben, beargwöhnen".
Spätestens seit Bushs Rede im Januar über die Achse des Bösen, ist unübersehbar, dass die US-Regierung das Gewaltverbot der Staaten für sich selbst kategorisch ausschließt und anderen Nationen um so stärker auferlegen will. Das kurzzeitige Bekenntnis zum Multilateralismus erwies sich als Strohfeuer. Konsequenz der Friedensforscher: "Wir warnen vor bedingungsloser Solidarität mit der Politik der Bush-Regierung, weil sie das Denken in Alternativen blockiert und nicht im europäischen Interesse liegt."
Wo aber liegt Europas Interesse? Sich hinter Schild und Schwert der Amerikaner zu verbergen, wenn es ums Öl geht und ansonsten das internationale Recht zu beschwören? Ohne die europäische Schizophrenie explizit zu benennen, lassen die Friedensforscher doch durchblicken, dass sie einen geteilten Legalismus verurteilen. Ein Europa, das sich selbst Ernst nimmt, ist dazu verdammt, Recht statt Gewalt, Prävention statt Repression zu forcieren. Wenn die alte Welt daran keinen Zweifel lässt, dann wird ihr, von radikalen Pazifisten abgesehen, auch niemand verübeln können, dass sie eigene Sicherheitsbedürfnisse und ihre Rolle im internationalen Konfliktmanagement definiert und in diesem - defensiven - Sinne ihr Verteidigungspotenzial gestaltet. So das Gutachten auch mit Blick auf die Bundeswehr, deren Zukunft allerdings ausdrücklich nicht in einer Interventionsfähigkeit nach US-Vorbild gesehen wird.
Dass Terror und Antiterror das Friedensgutachten 2002 bestimmen, liegt auf der Hand. Ebenso offensichtlich ist, dass sich Friedensforscher an die damit verbundene Erweiterung ihrer traditionellen Fragestellungen erst noch gewöhnen müssen. Wurzeln des Terrors werden jedenfalls kaum freigelegt. Vielleicht sollte man sich mal wieder jenes Begriffs vergewissern, den der Nestor der Friedensforschung bereits vor Jahrzehnten prägte. Johann Galtung sprach von der strukturellen Gewalt, die nicht dem Menschen als solchem, sondern den herrschenden Verhältnissen innewohnt.

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