Weder Satire noch Kopfgeburten

Wahlkampf Schön, wie die Kandidaten nach Aufmerksamkeit haschen. Die einen sind da naturgemäß erfolgreicher als andere. Und manch einem bekommt ein zu viel davon gar nicht gut
Ausgabe 35/2013

"Die Wurzel trägt dich" steht auf einem Wahlplakat der CDU in Berlin-Wilmersdorf. In den Kneipen um den Ludwigkirchplatz wird das seit Wochen immer wieder zum Thema. Der Direktkandidat heißt Wruck, slawisch: Wurzel. Aber dahin geht nur eine der Deutungen.

Wahlkampf sei es auch gewesen, dass Kanzlerin Merkel jetzt die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchte. Das, kam sogleich die Kritik, sei Haschen nach Aufmerksamkeit. Doch Merkel weckt immer Aufmerksamkeit. Max Weber nannte das die Prämie auf den Machtbesitz. Als Peer Steinbrück zu seinem Lieblingsfilm ins Kino ging, interessierte das kaum jemanden. Als die Kanzlerin zu Paul und Paula lud, sprang das deutsche Feuilleton begeistert auf.

Aufmerksamkeit ist aber nicht immer gut. Klaus Staeck hat die SPD mit einer satirisch gemeinten Postkarte beschert, auf der Merkel dem vom Bayern-Schal umhalsten Uli Hoeneß zum Gewinn der Champions League gratuliert. Der Text spielt auf „Steuern“ an, und das „Wir“ entscheidet. So etwas mobilisiert wohl den eigenen Anhang, treibt aber auch den politischen Gegner auf die Zinnen. Zudem werden Unentschiedene und Unpolitische – in dieser Kombination oft Fußball-Fans – vielleicht mehrheitlich für Hoeneß und hier für die Kanzlerin eher Sympathie empfinden als für die Spötter. Das könnte sogar für Bayern-Hasser aus dem Ruhrgebiet gelten. Ganz bestimmt ist das in Bayern so, wo eine Woche vor der Bundestagswahl der nächste Landtag gewählt wird. Weshalb auch die bayerische SPD – zuletzt lag sie bei 18 Prozent – das Geschenk flink abgelehnt hat.

Wahlkampfzeiten sind Zeiten der Gesichtskontrolle. Ein nettes Lächeln wird eher wahrgenommen als eine scharfe Parole, besonders wenn man keine Lust zum Lesen hat. Lesen ist anstrengend, aus dem fahrenden Auto heraus ist es oft unmöglich. Manche Wahlkämpfer scheint das nicht zu stören. Sie setzen mehr auf den Effekt bei der Pressekonferenz, auf der sie das Plakat vorstellen, als auf eine Wirkung im Gelände. So ist denn bei vielen selbst auf dem kleinsten Plakat noch Platz für Text.

Dabei kann man gerade bei den Politikern beobachten, wie das mit dem Lesen steht. Politiker lieben Kunst, Bilder, Gemälde. Warum? Die Antwort: Lesen macht Mühe und kostet Zeit. Musik hören ist weniger anstrengend, kostet aber auch Zeit. Ein Bild angucken ist einfach. Man steht – einige Sekunden, einige Minuten? – davor und sagt: „Toll.“ Im Wiederholungsfall: „Ein Meisterwerk.“ Im neuerlichen Wiederholungsfall: „Er kann es eben.“ So müssen Wahlplakate sein: plakativ.

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