Reihenweise Taschenbücher Das gehäufte Zitieren von Groß- und Zentralwörtern gerade kurrenter Theorie unter möglichst dichter Fügung von Widersprüchlichstem wurde seit je ...
Das gehäufte Zitieren von Groß- und Zentralwörtern gerade kurrenter Theorie unter möglichst dichter Fügung von Widersprüchlichstem wurde seit je gerne von jenen praktiziert, die allesverstehend, jederzeit die Welt zu erklären sich genötigt fühlten, eine gewisse Spezies von Theologen, Pädagogen oder bildenden Künstlern allen voran. Parodistisch à la: Die "Geworfenheit" (Heidegger) des "Balls" (Herberger) ins "Jenseits" (Luther u.a.) der "Unübersichtlichkeit" (Habermas) des "stillstehenden Rasens" (Virilio) bedarf zur Suche (vgl. Proust) des "Systems" (Luhmann) und möglichst einer "Lampe" (Kant) von großem "Vorschein" (Bloch), sowie des "Kauder" (Welsch). In letzter Zeit könnte man sich fast sorgen, dass zur Pro
zur Produktion solcher "Tiefe" (Schiller) niemand mehr Zeit zu haben scheint. Glücklicherweise gibt es immer wieder jemanden, der die Last auf sich nimmt, zum Beispiel diesmal aus der Psychobranche Mario Gmür: Der öffentliche Mensch. Medienstars und Medienopfer sind tiefer Sorge nicht entgangen. Auf 200 Seiten wird schwurbelnd zusammengefügt, was selbst der Tod nicht mehr scheiden mag, Virilio und Massenhysterie, Ibsen und Outing, Canetti und Pädophilie, amerikanischer Wahlkampf und Zlatko aus dem Container, koreanisches Familienwesen und 11. September. Alles wird, als Illustration der These, wir lebten in einem "isovalenten" Zeitalter, gequirlt und gequält, bis am Ende die Erkenntnis steht: "Medienstars sind jene, die ihre wahre oder vermeintliche Intimität aus eigenem Antrieb an die Öffentlichkeit bringen, Medienopfer jene, welche aus dem Keller der Privatheit an die Oberfläche der grell belichteten Öffentlichkeit gezerrt werden." Der "Untergangskomödie" der "EEE-Kultur (Erlebnis, Emotion, Event)" entkommen nur jene, die sich auf "EKG" verstehen: "Eigensinn, Konzentration und Gedächtnis". Wow! Sagt der aufgeklärte Ami. Da fügt es sich wunderbar, dass nun in der schönen ABC-Reihe von Reclam Leipzig auch Hesse vertreten ist, der unermüdliche Passagenhelfer ewiger Adoleszenz. Und was finden wir darin? Eigensinn! = "Die eigenen Sinnfragen beständig jenseits der fertig daliegenden Antworten formulieren." Etc. Wo "Konzentration" stehen müsste, gibt es bloß den "Kohlrabi-Apostel". Auch nicht schlecht! Statt Gedächtnis das Stichwort Gedichte, worunter man erfährt, dass Tucholsky Hesse denkbar schlecht fand, sich Geister an seiner Lyrik also schieden. Immerhin aber Geist und Scheidung! Überhaupt kommt das Hesse-ABC nicht ohne Geist und Unterscheidung daher, stellt also eine gute Investition dar - für Hesse-Leser wie solche, die es lieber nicht werden wollen. Hesse, ein passionierter Leser, unterschied drei Lesertypen, den naiven, den spielerischen und den, der Lektüre zur Anregung nimmt. Zumindest eine vierte Lektüre gibt es - in strenger Versenkung und disziplinierter Unterwerfung. Zum Beispiel das BGB. Tut man das, dann wird man wie die Kindlein und hört mit Staunen nimmer auf. "Kann auch Schweigen eine Willenserklärung darstellen?" - ins Regiebuch des Bundesrates. "Gutgläubiger Erwerb beweglicher Sachen" - Buchkauf. Für alles und jedes ist gesorgt, man muss nur suchen. Weg mit Nostradamus, her mit dem BGB kompakt, zumal das neue Schuldrecht mit dabei ist. Und wenn wir schon bei den Halteleinen des bürgerlichen Lebens sind, wo könnte man festere Bande finden als in den Regentenlisten und Stammtafeln zur Geschichte Europas? Wirklich! Die Lust zu blättern und zu forschen! Von den albanischen Parteichefs bis zur Liste der amerikanischen Präsidenten, dazwischen auf fast 450 Seiten all die Ramiros und Peters von Aragón, die Rurikiden und die Romanows, die Heinriche des Hauses Reuß, all die Chilperiche, Childe-, Dago- und Teudeberte der Merowinger! Schade, dass das wundertätige Buch kein Register hat - es wäre doppelt so dick geworden! Auch an der DDR wurde gespart, man findet nur Staatsoberhäupter und Regierungschefs, während die 19 bundesrepublikanischen Kabinette im vollem Ministerornat aufgeblättert werden. Wer das knapp, aber höchst kompetent und prägnant unterfüttert haben möchte, der ist mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus der bewährten Reihe des Beck Wissens bestens bedient. Da wird man an jene Zeit erinnert, in der noch Adenauer und der rheinische Kapitalismus segnend die Hand über uns hielten und in die entlassen, die vor der Politik der ruhigen Hand zittert und zankt. Ist das nun doch recht isovalent geworden? Ja. Es gibt kein valentes Leben im isovalenten. Wie es einmal anders war, das kann man in Rudolf Borchardts Leben von ihm selbst erzählt lesen. Wie nämlich jemand, doppelt dezentriert, von der Mutter nicht angenommen, als Jude, zumal dann wegen seines nationalgeistigen, restaurativen Furors von anderen Juden, bemisstraut, sich Tradition geradezu erzwang, das persönliche ans nationale Schicksal band. Eine Selbstdisziplinierung, höchste Anstrengung, die den Schmerz, der dem zugrunde lag und selbst sich antat, so souverän überspielte, dass man nicht umhin kommt, milde zu werden über einen, der doch alles tat, um sich ungeliebt zu machen, ganz so wie er es erfahren hatte. "Logifizierung meiner Verbocktheit" hat er es genannt. "Rudolf Borchardt wollte ein Deutscher sein, so wie er sich danach sehnte, ein geliebtes Kind seiner Familie zu sein." - schreibt Gustav Seibt in einem wunderbar prägnanten Nachwort, das allein schon den Erwerb des Bändchens lohnte.Mario Gmür: Der öffentliche Mensch. Medienstars und Medienopfer, dtv 36260 10,- EURGunnar Decker: Hesse-ABC, Reclam Leipzig 20035 9,90 EURWolfgang Däubler: BGB kompakt. Die systematische Darstellung des Zivilrechts, dtv5693 29,- EURMichael F. Feldkamp: Regentenlisten und Stammtafeln zur Geschichte Europas, Reclam Stuttgart 17034 10,10 EURMarie-Luise Recker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, C.H. Beck Wissen 2115 7,90 EURRudolf Borchardts Leben von ihm selbst erzählt, Bibliothek Suhrkamp 1350, 167 S., 12,80 EUR
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