Das Echo von den Straßen Europas und darüber hinaus lautet „Systemwandel statt Klimawandel“. Als die Klimaaktivistin Greta Thunberg EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker traf, sagte sie ihm, er solle mit den Expert*innen sprechen. Aber was sollen die sagen?
Wir, Systemwandel-Expert*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Städten, wollen mutige und praktikable Antworten geben. Letzten Herbst forderten 238 Wissenschaftler*innen und 90.000 Bürger*innen ein Ende der Wachstumsabhängigkeit Europas. Bei der Wachstum im Wandel Konferenz in Wien haben wir diesen Aufruf konkretisiert. Wir blicken jenseits eines steigenden Bruttoninlandsprodukts (BIP) auf ein positives Szenario für eine Wirtschaft nach dem Wachstum.
Wir identifizierten drei zen
Wachstum im Wandel Konferenz in Wien haben wir diesen Aufruf konkretisiert. Wir blicken jenseits eines steigenden Bruttoninlandsprodukts (BIP) auf ein positives Szenario für eine Wirtschaft nach dem Wachstum.Wir identifizierten drei zentrale Hebelpunkte für einen Wandel hin zu einer florierenden Gesellschaft innerhalb planetarer Grenzen. Diese Hebelpunkte beraten politische Entscheidungsträger*innen auf europäischer, nationaler, regionaler und kommunaler Ebene über Wege, wie sie der sich immer weiter verschärfenden dreifachen Krise aus Klimawandel, Massensterben und sozialer Ungleichheit begegnen können.Denn seien wir ehrlich: Weder das Pariser Klimaabkommen noch die Aichi-Biodiversitätsziele oder die derzeitigen Steuersysteme sind in der Lage mit diesen existentiellen Bedrohungen umzugehen. Wie eine Gruppe von Wissenschaftler*innen gerade in Science schrieb, „sind die aktuellen Maßnahmen zum Klima- und Biosphärenschutz völlig unzureichend”. Die gute Nachricht ist jedoch, dass tiefgreifende Veränderungen nicht nur nötig sind, sondern auch gewünscht werden. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage in ganz Europa ergab, dass eine Mehrheit der Europäer*innen die Umwelt für eine Priorität halten – selbst auf Kosten von Wachstum.In der Diskussion um Hebelpunkte für einen systemischen Wandel gab es breite Zustimmung für drei Lösungsansätze, die weitere Lösungen nicht ausschließen. Sie sind alle drei dringlich, möglich, notwendig, erwünscht und wegweisend und erfordern eine visionäre Denkweise und eine anpackende Haltung. Sie brauchen einen Bewusstseinswandel weg vom Denken in kleinen Schritten – einer Denkweise, die uns zu diesem Krisenpunkt geführt hat.1. Setzt das BIP als König ab und krönt Wohlbefinden zur KöniginMenschen wollen gut und erfolgreich leben. Politiken, die auf BIP-Wachstum abzielen, gehen oft auf Kosten von Menschen und Planeten gleichermaßen. Politiken, die auf Wohlbefinden ausgerichtet sind, hingegen helfen beiden wieder zu gesunden.Wohlstand ohne Wachstum ist möglich. Wachstum durch Übernutzung von Ressourcen, Kürzungen unserer Sicherheitsstandards und Umweltverschmutzung treiben Menschen und den Planeten in Burnouts. Beispiele aus Bhutan, Neuseeland oder auch Barcelona zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, sozialen und ökologischen Fortschritt vor das BIP zu stellen.Forderungen an die Europäische Kommission: Umwandlung des Stabilitäts- und Wachstumspakts in einen Pakt für Nachhaltigkeit und Wohlbefinden Änderung der Priorität "Beschäftigung, Wachstum und Investitionen" hin zu "Wohlbefinden, Beschäftigung und Nachhaltigkeit" Einrichtung einer Generaldirektion für „Wohlbefinden und zukünftige Generationen“ unter der Leitung des/der Ersten Vizepräsidenten*in Forderungen an Länder, Regionen und Gemeinden: Schaffung eines Ressorts für „Wohlbefinden und zukünftige Generationen“, das im Zentrum der Regierungsführung steht 2. Von Steueroasen für Wenige hin zu Umverteilung für VieleBesteuert Reichtum mehr und Arbeit weniger. Besteuert Umweltverschmutzung progressiv und stoppt umweltschädliche Subventionen.Während die Spitzensteuersätze in den USA und Großbritannien in den zwei Nachkriegsjahrzehnten bei +/- 90% lagen, sind diese jetzt auf (weit) unter 50% gesunken. Die meisten EU-Länder folgten diesem Trend und entbanden die Reichen so ihrer Verantwortung. Infolgedessen ist die Ungleichheit gestiegen. Das zunehmende Gefühl von (Steuer-) Ungerechtigkeit äußert sich in sozialen Unruhen und Populismus. Der Aufstand der Gelbwesten in Frankreich hat gezeigt, dass Umweltverschmutzung nicht ohne ein faires Steuersystem besteuert werden kann. Subventionen, die Umweltverschmutzung und Ressourcenübernutzung fördern, müssen sofort eingestellt werden. Einnahmen aus Umwelt/CO2-Steuern müssen dafür verwendet werden, das Wohlergehen der Ärmsten zu fördern.Forderungen: Erhöhung von Spitzensteuersätzen auf über 80% zur Umverteilung zugunsten vonFamilien mit niedrigem und mittlerem Einkommen Besteuerung des Flugverkehrs zur Umverteilung für einen besseren und günstigeren oder gar kostenlosen öffentlichen Verkehr[1] Einführung progressiver CO2- und Ressourcensteuern an der Quelle mit entsprechender Umverteilung Schaffung steuerlicher Anreize für die Verwendung von recycelten Materialien 3. Effiziente Produkte sind gut, suffiziente Lösungen sind großartigEffizienzsteigerungen sind wichtig, aber nur der Anfang der Lösung.Soziale und kulturelle Exklusion kann Effizienzgewinne zunichtemachen. Wir müssen nicht noch mehr Produkte verkaufen, sondern brauchen suffiziente und langlebige Lösungen. Einige Unternehmen bieten schon jetzt anstelle des Produkts Glühbirne den Service von Licht an, um so den Anreiz von der geplanten Obsoleszenz zu langlebigen Produkten umzukehren. Barcelonas Zero-Waste-Strategie umfasst fortschrittliche Abfallsammelsysteme mit intelligenten Abfallbehältern, welche dazu beitragen, den/die Nutzer*in zu identifizieren, Restmüll zu reduzieren und die Sammlung von Bioabfällen zu verbessern. Dieser Ansatz geht weit über die Sensibilisierung, Prävention und Unterstützung der Wiederverwendung hinaus.Forderungen: Unterstützung bei der Entwicklung von besseren Geschäftsmodellen wie Produkt-Service-Systeme Einführung von Zero-Waste-Strategien auf allen Regierungsebenen, basierend auf der Abfallwirtschaftshierarchie für Betriebe und der erweiterten Herstellerverantwortung Senkung der Mehrwertsteuer auf arbeitsintensive Dienstleistungen wie Reparaturarbeiten Wechsel von Effizienz- zu Suffizienzpolitik, um nachhaltige Lebensstile zum Standard zu machen