Weggehen oder bleiben?

Erzählen von der Stange Zwei Romane aus der schlechten alten DDR

In beiden Fällen fragt sich der geneigte Leser, für wen denn bitteschön außer eben überaus wohlgeneigten Lesern die Romane eigentlich gedacht sind: Michael Meinickes kaum verhüllter autobiographischer Text Ostkreuz über Jugend, Revolte und Frustration 1968ff in der DDR genauso wie Uwe Kants nicht minder autobiographisch tangierter Roman eines desaströs verlaufenen Spazier- und Irrgangs in Mit Dank zurück".

Dabei eins gleich vorweg: beide können schreiben, beherrschen unzweifelhaft das Handwerk des Erzählens und gestatten sich keine Ausrutscher. Wo Meinicke kurz und präzise, bisweilen in lakonischen Formulierungen ein Erinnerungsbuch vorlegt, da gelingt es Kant, einem Humor von Raabeschem Zuschnitt Ausdruck zu verleihen. Hübsch das eine - "Oben wehte die Staatsflagge. Unten pißten alle dagegen" (Meinicke) - wie auch das andere, dass, wenn auf Bilder und Töne kein Verlass, nur helfe, "die Gedanken frei schweifen (zu) lassen gleich dem Kleinen Münsterländer, seit Hermann Löns auch Heidewachtel genannt, in der Fährte" (Kant).

Aber leider eben nur hübsch konfektioniert, ein Erzählen von der Stange - denn was wir in beiden Büchern lesen, kennen wir alles schon, wenn auch nicht im Überdruss, aber immerhin doch aus einer Vielzahl anderer Texte. Das gilt für die jugendliche Sozialisation in der DDR mit einer widersprüchlichen Haltung und Denkweise, die ebenso an westlicher Popmusik, Kleidung und Beziehungsmustern orientiert wie auch grundsätzlich vom Glauben an eine bessere sozialistische Zukunft inspiriert ist und die daher am Ende stets hadernd - Weggehen oder Bleiben? - einer Kultur des Zweifel(n)s das Wort redet. Es gilt zugleich für die Gestalt des ehedem erfolgreichen DDR-Kinder- und Jugendbuchautoren Mungk in Kants Roman. Der, des Schreibens überdrüssig, ja offensichtlich gegen Ende der Tätäräta sogar unfähig, geht auf die Suche nach jenem jugendlichen Leser, der ihm seine Bücher zurückgegeben hat. Er bringt dann als "Frucht- und Dornenstücke" (Jean Paul) von der Reise zu dem Jungen und in die eigene Vergangenheit den Text dieses neuen Romans zurück. Genau, auch das kennen wir leider zur Genüge: einen Autoren, der Kapital aus dem Nicht-Schreiben zu ziehen versucht und natürlich wieder - was sollte er auch sonst schon? - schreibt.

Aber, wie sagte schon Niklas Luhmann vollmundig und wissenskundig? "Systeme brauchen Probleme." In einer näher an der Literatur ausgerichteten Formulierung Dieter Wellershoffs: Literatur muss Lebensprobleme verschärfen, sie muss im besten Falle verstören. Schließlich kann mir auch niemand den Gedanken austreiben, wonach es eine bestimmte Form-Inhalt-Dialektik gibt, was dann heißt: Form ist immer nur Form eines bestimmten Inhalts (Lukács). Womit wir am Ende bei der ketzerischen Reflexion der Kernprobleme beider Romane angelangt wären: langweilen diese Texte, weil sie bloß Passepartouts für Altbekanntes liefern, oder - schlimmer noch - weil nicht einmal ernsthafte Probleme auf welche Erzählweise auch immer in ihnen verhandelt werden? Was bleibt: einige hübsche Anekdoten, ein paar witzige Einfälle, zuweilen Sottisen - leider aber kein widerständiger Rest!


Michael Meinicke: Ostkreuz. Roman. Peter Segler-Verlag, Freiberg 2001, 274 S., 20,40 EUR

Uwe Kant: Mit Dank zurück. Roman. Berlin, Verlag Eulenspiegel - Das neue Berlin, 2000, 318 S., 17,50 EUR

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