„Weil sie extrem gierig sind“

Read and Meet In der aktuellen Folge unseres Communityprojekts unterhalten sich Goedzak, Calvani und Michael Angele mit Karen Duve über ihr neues Buch „Warum die Sache schiefgeht“
Ausgabe 51/2014

Calvani:Wenn ich Ihr Buch hätte betiteln müssen, Frau Duve, hätte ich es Menschen, Tiere, Sensationen genannt.

Karen Duve: Auch schön.

Calvani: Sie greifen schon ziemlich tief in die Trickkiste. Zum Beispiel sind da diese brutalen Medizinpioniere. Es gab aber auch Leute wie Werner Forßmann, der nicht mit anderen experimentierte, sondern schön an sich selbst herumgedoktert hat.

Duve: Ich habe mich im Buch auf die Sorte Menschen fokussiert, denen wir möglicherweise demnächst das Ende der Menschheit zu verdanken haben werden. Natürlich gibt es auch nette, verantwortungsvolle Mediziner. Vielleicht gibt es sogar nette und verantwortungsvolle Banker und Manager. Aber die sind ja nicht das Problem.

Calvani: Ich verstehe Ihr Buch als einen Versuch der Herrschaftskritik, und auch als einen, den Mächtigen ans Bein zu pinkeln. Nur: Wer anderen ans Bein pinkeln will, muss zielen können.

Duve: Aha. Und wo habe ich danebengepinkelt?

Michael Angele: Finden Sie es nicht schwierig, von Psychopathen zu sprechen? Könnte so was nicht auch ein Akif Pirinçci geschrieben haben?

Duve: Etwa fünf bis zehn Prozent der Führungskräfte haben nun einmal diesen Defekt. Offenbar werde ich ständig so verstanden, als würde ich behaupten, alle Führungskräfte seien Psychopathen. Das sind die allermeisten natürlich nicht. Aber das Problem sind ja auch nicht nur die Psychopathen, sondern vor allem die große Mehrheit der ganz normal egoistischen, raffgierigen und rücksichtslosen Manager.

Angele: Aber im Titel stehen die Psychopathen. Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen, lautet er ja ganz. Was meint das denn genau? Mir fehlt etwas die Anschauung.

Duve: An Anschauungsmaterial hat es nicht gefehlt. Hätte ich erzählen sollen, wie ich 2008 einmal bei einer großen Bank aus Versehen ins Vorstandszimmer geplatzt bin und mir der gleiche Dunst aus Aggressivität und männlicher Dominanz entgegenschlug wie damals, als ich in der Ritze auf St. Pauli in ein Zuhältertreffen gestolpert bin?

Angele: Ja, das hätte ich sehr gern gelesen. So erfahrungsgesättigt wie Ihr Buch Anständig essen.

Duve: Kann sein. Aber muss ich jetzt immer menschelnde Feel-good-Bücher schreiben, bloß weil ich eine Frau bin? Bei Anständig essen habe ich das getan. Das war meine Taktik, damit sich die Leute etwas anhören, was sie eigentlich auf gar keinen Fall hören wollen. Die Taktik habe ich dann auf der nachfolgenden Lesereise und bei Interviews beibehalten und bin daran fast kaputtgegangen. Immer diese grauenhaften Bilder von gefolterten Tieren aus der Massentierhaltung vor Augen und trotzdem allen Ignoranten und fleischfressenden Barbaren stets mit Nachsicht begegnen und lustige Anekdoten erzählen. Bloß niemanden vor den Kopf stoßen. Das konnte ich nicht noch mal machen. Das erste Buch sollte wirken, das hier soll treffen!

Foto: Viadata/Imago

Karen Duve, geboren 1961 in Hamburg, wurde bekannt mit dem Roman Taxi (2008). Neben Romanen hat Duve auch Kinderbücher geschrieben sowie bisher zwei Sachbücher, nach Anständig essen. Ein Selbstversuch (2011) nun also Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen (Galiani Berlin 2014, 192 S., 12 €)

Goedzak: Mir gefällt sehr, wenn Sie fiktional erzählen. Ich habe kürzlich Ihre Grrrimm-Geschichten gelesen. Mich hat beeindruckt, wie diese Figuren, die man als Archetypen kennt, plötzlich soziale Personen werden, raus sind aus dem Gut-und-Böse-Schema.

Duve: Beim Sachbuch braucht es aber nun einmal Fakten, Fakten, Fakten.

Angele: Aber es sind nicht nur Fakten, sondern auch Interpretationen. Nach den Führungskräften kommt plötzlich die CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung in Genf. Warum? Gut, da hat einer eine andere Einschätzung über das Gefahrenpotenzial ihres Teilchenbeschleunigers.

Duve: Es sind mehr als einer. Mindestens drei Wissenschaftler haben Bedenken. Und da es bei diesem angeblich so gut wie gar nicht vorhandenen Risiko immerhin darum geht, dass die Erde und ihre sämtlichen Bewohner in ein Schwarzes Loch gesogen werden könnten, ist die CERN ein schönes Beispiel dafür, wie das Ende der Menschheit schon durch den Irrtum und die Risikobereitschaft einiger weniger ausgelöst werden kann. Zumal Physiker ja auch schon einmal das Risiko von Atomkraftwerken als praktisch nicht vorhanden eingestuft haben. Möglicherweise gehört Risikoberechnung nicht gerade zu ihren größten Talenten.

Calvani:Es scheinen ja vor allem die Männer zu sein, die Übles anrichten. Sie beschreiben Männlichkeit als Ursache für Kriminalität.

Duve: Ja.

Calvani: An einer Stelle des Buchs schreiben Sie, dass offen sei, ob die Kultur, die Erziehung oder die Biologie für unser Verhalten entscheidend sei. Hier differenzieren Sie.

Duve: Männlichkeit ist eine Ursache für Kriminalität. Selbst wenn die Neigung zu Gewalt und Verbrechen nichts mit dem angeborenen Y-Chromosom zu tun haben sollte, wie viele glauben und glauben möchten, dann läuft es eben aus anderen Gründen darauf hinaus, dass Männlichkeit und Gewalttätigkeit eng miteinander verbunden sind. Aus Gründen der Sozialisation oder der Erziehung. Aber das Ergebnis ist das gleiche: 96 Prozent aller Gefängnisinsassen in Europa sind Männer. Das ist doch eine ziemlich überzeugende Zahl.

Oder denken Sie, dass es daran liegt, dass Frauen zwar genauso viele Verbrechen begehen, aber einfach zu schlau sind, um sich erwischen zu lassen? Habe ich Ihre Frage vielleicht nicht richtig verstanden?

Calvani: Doch, ich denke nur gerade an Selektionsprozesse in der Strafverfolgung.

Duve: Ein Profiler, der sich bei der Suche nach einem Gewaltverbrecher auf den weiblichen Teil der Bevölkerung konzentriert, hätte seinen Beruf verfehlt. Bei Männern ist die Neigung zu Gewalttätigkeit und Egoismus deutlich höher.

Calvani: Andererseits sagen Sie, die Quote muss schnell umgesetzt werden, damit sie den Effekt einer Hebebühne hat. Damit Frauen auf dem Weg nach oben nicht immer mehr so werden wie Männer. Sie können es also auch werden.

Duve: Ich sage, deswegen möglichst viele Frauen möglichst schnell, damit die ehrgeizigen, dominanten Chefs nicht die Zeit haben, nach Frauen zu suchen, die genauso funktionieren wie sie selbst. Die gibt es ja natürlich auch.

Calvani: Ich habe das so verstanden, dass Frauen auf dem Weg nach oben nicht so werden sollen wie Männer.

Duve: So war das nicht gemeint.

Calvani: Zugegeben, nachdem mir das am Anfang alles holzschnittartig vorkam, musste ich beim Frauenkapitel dann doch sehr lachen. Es gab das fiese, kleine, quäkende Stimmchen, das sagte: „Das stimmt! Das stimmt!“ Allerdings ist man dann bei einem „Darf man zwar nicht sagen, muss aber mal gesagt werden“. Bei dieser zweifelhaften Form, seine Ressentiments auszuleben. Ist Ihnen das beim Schreiben ähnlich ergangen oder waren Sie wirklich vollkommen überzeugt davon, dass Frauen die besseren Menschen sind?

Duve: Ich nehme mir die Freiheit, mir über jeden einzelnen Menschen eine individuelle Meinung zu bilden. Im Durchschnitt halte ich Frauen für empathischer. Dass sie im Durchschnitt deutlich weniger gewalttätig sind, und zwar von der Biologie her, ist der aktuelle wissenschaftliche Stand in der Neurologie. Wobei das natürlich auch bloß der aktuelle wissenschaftliche Irrtum sein könnte. Da hätte ich nichts dagegen. Warum die Sache schiefgeht ist sowieso nicht die Art von Buch, mit dem man unbedingt recht behalten möchte.

Unsere Serie

Read and Meet ist ein Projekt aus der Freitag-Community. Blogger, Leserinnen und Leser befragen einen Autor oder eine Autorin. Sehr frei nach einer bekannten Frage: „Wie haben Sie das gemacht, Herr Hitchcock, und was haben Sie sich dabei eigentlich gedacht?“ Bisherige Gesprächspartner waren, unter anderen, Ingo Schulze, Roger Willemsen und Sven Regener. Goedzak bloggt seit 2010 regelmäßig in der Community über Alltags- und Designthemen. Calvani ist seit 2011 Community-Mitglied und schrieb zuletzt für den Bücheradventskalender auf freitag.de

Calvani: Mir ist beim Lesen aufgegangen, dass ich einfach noch nie ernsthaft darüber nachgedacht habe, ob Frauen die besseren Menschen sind.

Duve: Es klingt ja auch unheimlich blöd, weil es wertend ist. Wer will schon wertend sein.

Goedzak: Es gibt ja eine Geschichte des biologistischen Denkens, die weniger gender- als mehr rassentheoretisch fundiert war. Keine Angst davor?

Duve: Nein, das wäre so, als dürfte man nicht auf den Autobahnen fahren, weil Hitler sie gebaut hat.

Goedzak: Das Grundproblem an dieser Denke ist doch, dass einzelne, besondere Menschen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beurteilt werden, die nach biologischen Eigenschaften definiert ist.

Duve: Ja, das ist total heikel, und da liegen große Gefahren. Aber soll man deswegen die Unterschiede ignorieren, die stimmen? Dunkelhäutige Menschen können zum Beispiel viel länger das Sonnenlicht ertragen. Das ist ja kein Quatsch. Übel wird es doch erst, wenn man daraus folgert, dass sie deswegen für harte Arbeit auf Plantagen wie geschaffen seien. Wenn man diese Erkenntnis dazu nutzt, hellhäutigen Menschen eine Sonnenmilch mit deutlich höherem Lichtschutzfaktor zu empfehlen, dann ist das bloß vernünftig. Außerdem ist es ja wohl ein Unterschied, ob man die Biologie zur Unterdrückung sowieso schon unterdrückter Gruppen benutzt oder um die Mächtigen und ihren Anspruch auf Macht in Frage zu stellen.

Goedzak: Haben Sie schon mal was von der sogenannten politischen Ponerologie gehört?

Duve: Nein, was ist das?

Goedzak: Der Begriff Ponerologie kommt aus der katholischen Theologie und bezeichnet dort die Lehre vom Bösen, vom Teuflischen. Ein polnischer Psychiater namens Andrzej Łobaczewski hat diese theologische Lehre auf eine vermeintlich wissenschaftliche Basis gestellt. Die Grundthese ist, dass die Welt, wie sie heute ist, von pathologisch bösen Menschen beherrscht wird und dies der Grund ist, dass, wie es der Titel Ihres Buchs ausdrückt, alles schiefgeht.

Duve: Ach, das hat der alles schon gesagt? Gut, dass ich den nicht vorher gelesen habe.

Goedzak: Nun kamen ja damals auf der Basis solcher Überlegungen die Aufrufe zu den Hexenjagden. Sehen Sie nicht auch die Gefahr, dass man mit Ihren Argumenten alles an den Personen festmacht und dann zur Hatz bläst?

Duve: Ja, diese Gefahr ist immer da. Aber wenn es stimmt, dass viele bedenkliche Charaktere und sogar Psychopathen an Machthebeln sitzen, dann ist das eine noch größere Gefahr und wir können nicht so tun, als wäre das anders, bloß weil wir es lieber anders hätten. Die Welt ist nun mal kein Wunschkonzert. Wenn wir das alles irgendwie noch auf die Reihe kriegen wollen, brauchen wir ein realistisches Bild davon, wie Gesellschaften funktionieren. Wir müssen uns über unsere Grenzen und Defizite im Klaren sein – über unsere zoologische Knechtschaft.

Goedzak: Diese Ponerologie erlebt gerade im Umkreis der Friedens- und Montagsdemonstranten einen Boom. Und dabei kommt heraus, dass man sagt, der eine ist der Gute, der andere ist der Böse. Putin versus Obama und so weiter. Und das ist dann die Lösung: Die Bösen müssen weg, dann wird es besser.

Duve: Bringt einen in dem Fall nicht weiter, gebe ich zu. Aber bevor ich nach Lösungen frage, muss ich doch erst einmal die Lage erkennen. Ein gutes Beispiel sind der Islamische Staat IS und die Salafisten. Oder auf der anderen Seite die Hooligans, die durch Köln gezogen sind, das sind extrem dominante, extrem rücksichtslose, extrem durchsetzungsfähige Männer mit einem Verlangen nach Geltung und Anerkennung. Die merken, dass sie innerhalb der gültigen Zivilisation das nicht mehr finden können, und jetzt wollen die sich ihre eigenen Bedingungen schaffen, in denen sie besser wegkommen.

Goedzak: Darin gleichen die sich, die könnten sich eigentlich verbünden.

Duve: Ja, die sind sich ähnlicher, als sie zugeben würden. Die sind eine Extremform von Männern. Wenn es dazu kommt, dass der Klimawandel mit seinen Folgen weithin Gesellschaften destabilisiert, dann wird es im Verein mit solchen Kräften wirklich gefährlich. So wie die Hitzewelle mit den Torfbränden in Russland zu einem Exportstopp für Getreide geführt hat, was in Ägypten Brotverknappung und Preissteigerungen zur Folge hatte und schließlich zu Hungerprotesten führte, was ein Impuls für den Arabischen Frühling war. Der leider keine so wunderbare Sache wurde, wie wir hofften. Die Destabilisierung von Staaten ist in vollem Gange.

Angele: Noch einmal, was ist die Ursache?

Duve: Die Ursache sind rücksichtslose, egoistische Führungskräfte, die den Klimawandel für ihre kurzfristigen Vorteile in Kauf nehmen, und es ist eine ähnliche Art von Männern – geltungssüchtig, gierig, extrem, bloß ohne Hochschulstudium –, die bereit sind, in die Lücken der zusammenbrechenden Gesellschaften zu stoßen und das auszunutzen.

Calvani: Die Gier also. Sie schreiben, dass der wichtigste Antrieb für das Streben nach Reichtum und Dominanz die Wirkung des Reichtums und der Dominanz auf andere ist.

Duve: Ja.

Calvani: Nun gibt es ja zwei Möglichkeiten: Man kann diejenigen kritisieren, die danach streben, oder diejenigen, auf die beides eine so große Wirkung hat.

Duve: Man könnte sich als dritte Möglichkeit auch einfach damit abfinden und sagen, das ist die menschliche Natur. Mir selber ist Reichtum nicht unsympathisch. Ich mag reiche Leute. Erstens weil sie reich sind und zweitens weil sie Geld haben. Aber können diese Leute nicht bitte in einem Bereich gierig und korrupt sein, der unserem schönen Planeten nicht so furchtbar schadet. Wenn man weiß, was fossile Brennstoffe anrichten, warum nicht im Handel mit Solaranlagen andere über den Tisch ziehen? Wenn Textilien in Bangladesch für Hungerlöhne und zu menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden, dann liegt das nicht am Konsumenten, der unbedingt so billig kaufen will. Wenn man dort die Löhne verdoppeln würde, dann würde hier ein Hemd vielleicht 50 Cent oder einen Euro mehr kosten. Das würde der Verbraucher gar nicht merken. Die Leute dort werden ausgebeutet, weil man es in Bangladesch so machen kann, ohne als Fabrikant gesellschaftlich geächtet zu werden. Und als es in Deutschland noch möglich war, Menschen so auszubeuten, haben die Fabrikanten ganz genauso gehandelt. Und wenn es wieder möglich wird, werden sie es auch wieder tun. Weil diese dominanten, ehrgeizigen Alphamänner oft eben nicht besonders sozial und verantwortungsvoll funktionieren.

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