Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihren Pflanzen gesprochen? Lange her? Noch nie gemacht? Das könnte ein verhängnisvoller Fehler sein. Denn Pflanzen können weit mehr als nur schön aussehen – sie können sogar töten: Mitte der 1980er kam es in Südafrika zu mysteriösen Todesfällen bei Kudus. Das sind Antilopen, die bevorzugt Blätter von Akazien-Bäumen fressen – und das Fleisch der Kudus wird bevorzugt von Einheimischen verspeist. Um auf die steigenden Fleisch-Preise zu reagieren, züchteten viele Farmer die Tiere systematisch in Gehegen. Damit begann das große Kudu-Sterben – und das Rätselraten um die Ursache. Denn weder schießwütige Jäger noch hungrige Löwen oder gefährliche Krankh
nkheiten waren für den Tod der über dreitausend Tiere verantwortlich.Auch der Biologie Wouter van Hoven kam nach langer und zermürbender Forschungsarbeit auf keinen grünen Zweig. Wie so oft half der Zufall nach: Während van Hoven durch die Savanne wanderte, beobachtete er freilaufende Giraffen, die sich ebenfalls von Akazien ernähren, bei ihrem Fressverhalten: Die Giraffen aßen nie länger als zehn Minuten von einem Baum, und wenn sie den Baum wechselten, dann stets gegen die Windrichtung – ein Verhalten, das den Kudus in ihren engen Gehegen kaum möglich war.Akazien schlagen AlarmWarum aber starben die Kudus? Akazien-Bäume wehren sich mit Giftstoffen gegen ihre Fressfeinde. Wenn die Tiere zu viele Blätter abbeißen und somit die Existenz einer Akazie bedroht ist, dann erhöht sie massiv die Konzentration des giftigen Bitterstoffs Tannin in ihren Blättern. Zugleich setzt sie das farblose Gas Ethen frei, das über den Wind zu anderen Akazien-Bäumen gelangt. Die umliegenden Bäume riechen den Gas-Alarm und erhöhen sofort die Produktion ihrer Giftstoffe. So konnte van Hoven gleichermaßen das Verhalten der Giraffen und das Sterben der Kudus erklären.Das Beispiel zeigt, dass Pflanzen nicht nur in der Sonne herumstehen. Sie nehmen ihre Umwelt aktiv wahr und können über Gerüche sogar miteinander kommunizieren. Einige Forscher sprechen daher von einer „Pflanzenintelligenz“, womit sie sich prompt den Hohn ihrer skeptischen Fachkollegen einhandeln. David Robinson, Professor für Pflanzenwissenschaften an der Universität Heidelberg, nimmt kein Blatt vor den Mund: „absolute rubbish“, also völliger Schrott sei die Rede vom intelligenten Grünzeug. Viel zu groß seien die Unterschiede zwischen der Pflanzen- und der Tierwelt. Die Bezeichnung „Pflanzenintelligenz“ klingt zwar verdächtig nach Boulevard-Journalismus, doch dahinter steckt solide Wissenschaft, wie der Basler Biologe Jürg Stöcklin betont: „Ich bin kein Esoteriker, sondern argumentiere auf Grundlage von wissenschaftlichen Fakten. Viele Menschen unterschätzen die Pflanzen und sehen sie als passive Automaten an, die ihre Umwelt nicht wahrnehmen können. Das ist ganz offensichtlich falsch.“ Aber was ist „Intelligenz“? Der Pflanzenexperte Tony Trewavas aus Edinburgh erklärt hierzu kurz und bündig: „Die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Und das können Pflanzen definitiv.“Pflanzen handeln proaktivRangeleien um die besten Sonnenplätze gibt es nicht nur unter Menschen im Schwimmbad; auch Pflanzen müssen sich im Kampf um das überlebenswichtige Sonnenlicht behaupten. Wird eine Pflanze von den Blättern einer anderen beschattet, so kann sie gezielt ihren Stängel in Richtung Licht verlängern und ihre Sprossbildung beschleunigen. Für die Zukunft planen kann sie ebenso: „Die Lichtqualität kann Pflanzen Informationen über ihre Nachbarn vermitteln, selbst bevor eine Beschattung eintritt, weil die horizontale Strahlung bereits durch die Lichtreflexion von Blättern verändert wird. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass Pflanzen nicht erst reagieren, wenn Veränderungen eingetreten sind, sondern Informationen verarbeiten können, welche die zukünftige Verfügbarkeit wichtiger Ressourcen betreffen“, erklärt Stöcklin.Pflanzen sind keine mechanischen Automaten, sie zeigen eine deutliche Sensitivität für Reize. So sind viele Kletterpflanzen berührungsempfindlicher als die menschliche Haut. Stöcklin verdeutlicht es an einem Beispiel: „Die Ranke der Zaunrübe, eine Gattung der Kürbisse, reagiert noch auf das Streicheln mit einem nur 0,00025 Milligramm schweren Faden, der auf der menschlichen Haut keine Empfindung mehr auslöst.“ Menschen haben schon Probleme damit, ein einzelnes Sandkorn zu fühlen – und das ist mit seinen 0,2 Milligramm rund 800-mal schwerer als der Faden.Die grünen Hyper-Sensibelchen mögen sogar klassische Musik: Weintrauben, die Mozart oder Vivaldi hören, beginnen schneller zu reifen und haben süßere und größere Früchte, wie der Neurobiologe Stefano Mancuso von der Universität Florenz nachweisen konnte. Die Reben können die Musik zwar nicht wie wir genießen, aber die tiefen physikalischen Schwingungen regen das Wachstum der Zellen deutlich an. So verwundert es nicht, dass mittlerweile auf einigen italienischen und süddeutschen Weinbergen Streichorchester aus den Lautsprechern tönen.Wenn Sie also nicht mit einem grünen Daumen gesegnet sind: Legen Sie Mozart auf und sprechen Sie mit Ihren grünen Freunden – dann wird alles gut.