Weiße Salbe

Eindrucksvolle Parteitagsregie Die SPD hat nicht einmal mehr die Kraft zur Krise

Ein gelungener Parteitag hat langweilig, aber eindrucksvoll zu sein. Fetzen sich die Delegierten wie 1995 bei der SPD, als Lafontaine Scharping ablöste, oder 2002 bei der PDS, gilt dies als ein Zeichen der Krise, und diese wird zugleich als Schwäche gewertet. Ein Parteitag ist kein Ereignis mit entweder offenem oder doch alternativem oder variantenreichem Ausgang, sondern die Präsentation dessen, was die Regie sich vorher ausgedacht hat. Insofern nehmen die bundesdeutschen Konvente mittlerweile Züge an, die früher an den Zusammenkünfte regierender Parteien im realen Sozialismus und bei deren westlichen Ablegern befremdeten.

Für den jüngsten Parteitag der SPD genügt die Mitteilung, dass Kurt Beck mit 95 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Immerhin waren es nicht 99,4 wie vor fünf Monaten für Platzeck. Das könnte als Absage an die damalige Selbsthypnose verstanden werden, aber vielleicht ist das auch schon wieder ein Regieprodukt.

Die Botschaft ist bei beiden Vorsitzenden-Wahlen dieselbe - Geschlossenheit. Sie kann zur Schwäche werden, wenn sie alternativlos ist. Die Art und Weise, wie Lafontaine, Scharping und Schröder sich einst beharkten, mag in Einzelheiten abstoßend gewesen sein. Aber sie folgte immerhin der marktwirtschaftlichen Regel, dass vom Wettbewerb ein Innovationsschub ausgehen kann (unabhängig davon, wie das Neue, das dabei herauskam, beurteilt werden mag). Jetzt sieht es nach lautstarkem Stillstand aus.

Für den neuen Vorsitzenden spricht, dass er das wenig bemäntelte. Es redete der Juniorpartner einer großen Koalition, der dafür sorgen will, dass die eigene Partei nicht verwechselbar wird. Allerdings tat er sich auch schon wieder schwer damit. Um verbale Tricks kommt auch ein Kurt Beck nicht herum: Die sozialdemokratische Linke hatte gefordert, dass die Senkung der Unternehmenssteuer, die 2008 kommen soll, "aufkommensneutral" sein müsse. Der klamme Technokratenausdruck zeigte, dass man in diesem Fall lieber mal auf Populismus verzichten und auf keinen Fall Klartext reden wollte. Dann hätte man nämlich sagen müssen: der nominelle Satz kann ruhig gesenkt werden, aber der Staat darf dabei kein Geld verlieren. Tut er ja auch nicht, kann man antworten, denn 2007 kommt die Mehrwertsteuer. Die Linke aber meinte, dass den Unternehmen derselbe Betrag wieder aufgebürdet werden soll, den sie durch die Tarifsenkung gewinnen. Auf die Frage nach dem Wie würden wir gewiss auf die berühmten Steuerschlupflöcher verwiesen. Einerseits gibt es die wirklich, andererseits entwischen durch sie meist diejenigen, die den Pelz waschen, aber niemanden nass machen wollen. Die Forderung nach Aufkommensneutralität widerspricht außerdem der Logik der angestrebten Maßnahme: Die Angebotsbedingungen der Betriebe sollen durch Entlastung verbessert werden. Das ist eben neoliberale Politik. Weicht man dieser Konsequenz aus, kann man die Steuersenkung auch gleich ganz unterlassen. Das wäre dann eben altsozialdemokratischer Kurs, und davon ist jetzt nur noch eine Worthülse übrig geblieben. Sie heißt: "Weitgehend" aufkommensneutral müsse die Steuersenkung sein. Was das nun wieder sein soll, wird man sich am Kabinettstisch nicht nur von Angela Merkel, sondern auch von Peer Steinbrück erläutern lassen.

Die wissen auch sehr genau, was das ist: eine "Reichensteuer". Bei Schröders Amtsantritt betrug der Spitzensatz 53 Prozent. Rot-Grün senkte ihn auf 42. Jetzt sollen wieder drei Punkte draufgeschlagen werden, und zugleich wird das Schlupfloch mitgeliefert: für die wirklich ganz großen Einkommen soll das erst gleichzeitig mit der Senkung der Unternehmenssteuer 2008 gelten.

So viel zu den eigenständigen sozialdemokratischen Akzenten, die auf dem Parteitag gefeiert wurden. Das Problem der SPD besteht darin, dass sie nicht einmal mehr die Kraft zur Krise hat. Sie hat von 1998 bis 2005 sieben Regierungsjahre in den Sand gesetzt und durfte sich anschließend noch nicht einmal in der Opposition erneuern. Gegen diesen Schaden hilft keine weiße Salbe.


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