Weisse Tücher - weisse Fahnen?

Kommentar Vielstimmiger PDS-Chor begleitete Bush

Als die PDS-Parlamentarier Jelpke, Lippmann und Wolf im Bundestag ihr Banntuch gegen Bush entrollten und dafür den Bannfluch ihrer Fraktionsführung kassierten, fiel mir das lakonische Ende eines Gesprächs ein, das Günter Gaus im Januar (s. Freitag vom 18. 1. 2002), kurz vor der Bildung des rot-roten Senats in Berlin, mit dem designierten Vorsteher dieser Allianz, Klaus Wowereit, führte. Die letzte Frage lautete: "Meinen Sie, dass Gregor Gysi in der Außenpolitik noch lernfähig ist im Sinne Gerhard Schröders?" Und Wowereit presste sich ein: "Er muss lernfähig werden ..." ab. Gysi hat ihm diesen Gefallen bisher nicht getan. Vielleicht nur deshalb nicht, weil Wowereit entgegen ursprünglicher Absicht auf den Australien-Trip verzichtete und dem Wirtschaftssenator die Gelegenheit nahm, mit dem US-Präsidenten bei Tucher am Pariser Platz Apfelstrudel zu essen.
Wenn sich nun die PDS-Fraktionsspitze mit Claus und Pau - mehr als eine Spur zu eilfertig - für die Dissidenten aus den eigenen Reihen entschuldigt, lässt sich das dann als Indiz für jene Lernfähigkeit deuten? Die Frage, ob es vorher Absprachen gab, sich aller Aktionen zu enthalten, zielt dabei mehr auf fraktionsinterne Umgangsformen und mag berechtigt sein, politisch ist sie eher zweitrangig, wenn nicht völlig irrelevant. Es soll hier nicht mit alarmistischer Attitüde die friedenspolitische Glaubwürdigkeit der PDS bezweifelt werden. Aber sobald vor dem Bundestag so eindeutig von kommenden Kriegen gesprochen wird (auch wenn der Name Irak nicht fiel), sind Zeichen des Widerstandes nicht nur das Mindeste, was in einem solchen Augenblick erwartet werden kann, sondern im Grunde genommen Verfassungsauftrag. Welchen Sinn haben Stilfragen, wenn das Sittenwidrigste, was es gibt - die massenhafte Auslöschung menschlichen Lebens - angekündigt wird? Wer wollte bezweifeln, dass im Fall eines US-Schlages gegen den Irak, für dessen Kollaboration mit dem Terrorismus Bush bisher jeden Beweis schuldig blieb, die Zahl der zivilen Opfer ungleich höher sein wird als jüngst in Afghanistan - dort ging sie in die Tausende.
Draußen auf den Straßen dagegen protestieren? Und drinnen im Saal Teilen der Bush-Rede applaudieren? Das ist kein Balanceakt mehr. Da wird versucht, auf zwei Hochseilen gleichzeitig unterwegs zu sein. Es geht hier nicht um Themen wie Rentenreform oder Zuwanderungsrecht, bei denen der Spagat zwischen Opponieren und Mitregieren oft unvermeidlich scheint. Außerdem: Artiges Zuhören im Parlament wird den innenpolitischen Gegnern der PDS nicht die Artigkeit abtrotzen, mit der Anti-Amerikanismus-Keule künftig nur noch Streicheleinheiten zu verteilen. Diese Art Fairplay mit einer Bundesregierung, die das Land in so viele Kriege verstrickt hat wie keine zuvor seit 1949, könnte in Wahlzeiten zum selbstmörderischen Luxus werden. In "Zeiten des Krieges" - eine Formulierung von Bush - ist sie schlichtweg unangebracht.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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