Weiter so ist keine Option

UN-Ernährungsorganisation Täglich sterben 25.000 Menschen, weil sie zu wenig zu essen haben. Die Staatengemeinschaft versagt bei der Bekämpfung des grassierenden Welthungers

Das Problem des Welthungers ist alles andere als neu. Doch die Dimension hat die internationale Gemeinschaft aufgeschreckt: Seit 2009 hungern erstmals über 1.000 Millionen Menschen, exakt 1,02 Milliarden laut Berechnungen der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO). So kam der Appell der FAO an die internationale Gemeinschaft vor dem Welternährungsgipfel in dieser Woche nicht von ungefähr, den Kampf gegen den Hunger zu ihrem Hauptanliegen zu machen.

Dabei ist die FAO selbst ein Teil des Problems, warum die Bekämpfung des Welthungers bisher stets misslingt. Fraglos tragen die Staaten im Süden und Norden die Hauptverantwortung, weil die einen seit den achtziger Jahren ihre Landwirtschaftsbudgets drastisch zusammengekürzt und die anderen den Anteil der Landwirtschaftsförderung in der Entwicklungszusammenarbeit massiv gedrückt haben: Waren es Mitte der achtziger Jahre noch fast 20 Prozent, so flossen 2007 nur noch kümmerliche 3,8 Prozent in die Förderung ländlicher Regionen. Die FAO hat dieser Entwicklung entschieden zu wenig Widerstand entgegengesetzt.

Auch was die Organisation jetzt offeriert, um die Welternährung künftig zu sichern, ist nur ein Mehr vom Altbekannten: Die landwirtschaftliche Produktion müsse bis 2050 um 70 Prozent gesteigert werden, um die mutmaßlich dann neun Milliarden Erdenbürger zu ernähren. Die Mittel: Verteilung von Hochleistungssaatgut und Kunstdünger, eine neue auf grüner Gentechnik basierende Revolution, GPS-gestützte Bewässerungssysteme, kurz: hochspezialisierte Technologiepakete, die an den Betroffenen und am Grundproblem komplett vorbeigehen.

Noch immer leben 75 bis 80 Prozent aller Hungernden in ländlichen Räumen und erzielen dort auch ihr Einkommen. Reicht das Einkommen nicht, entsteht Hunger. Die zwingende Schlussfolgerung: Hungerbekämpfung erfordert die Einkommensstabilisierung bei den Ärmsten der Armen. Dass Produktionssteigerungen nicht den Hunger bekämpfen, zeigt allein die Synchronität der aufeinanderfolgenden Rekordgetreideernten 2008 und 2009 mit dem Durchbruch der Milliardenschwelle bei der Zahl der Hungernden.

Bis zur FAO scheint sich das noch nicht herumgesprochen zu haben. Bezeichnenderweise hat sie zu ihrem Expertentreffen zur Welternährung in diesem Oktober den von der UNO eingesetzten unabhängigen Weltagrarrat nicht einmal eingeladen. Dabei haben die dort versammelten Wissenschaftler sich vier Jahre exakt mit dem Thema der Sicherung der Welternährung im Jahre 2050 beschäftigt. Nur, dass sie bei ihrem 2008 vorgelegten Bericht zu einer ganz anderen Lösung kamen: die Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden – mit herkömmlichen Produktionsweisen, angestammtem Saatgut und natürlichem Dünger. Alles Maßnahmen, die die Kleinbauern in die Lage versetzen, Einkommen zu erzielen und ihre Produktion nachhaltig zu steigern. „Weiter so wie bisher, ist keine Option“, lautet die Kernaussage des Weltagrarberichts. Die Welternährungspolitik muss bei den von Hunger betroffenen und bedrohten Menschen ansetzen.

Mit der FAO in ihrer jetzigen Form ist das nicht zu machen. Wer den Hunger bekämpfen will, kommt um eine grundlegende Reform der FAO nicht herum.

Dafür ist eine Stärkung des bei der FAO angesiedelten Komitees für Welternährungssicherheit (CFS) unabdingbar, das bereits 1996 geschaffen wurde. Das CFS muss nicht nur auf dem Papier sondern de facto als übergeordnetes Koordinationsgremium für Welternährungsfragen fungieren. Die Entwicklungsländer stehen einer solchen Reform aufgeschlossen gegenüber. Die Industrieländer, die wie die USA und die EU ihre Agrarüberschüsse im Süden zu Dumpingpreisen auf den Markt werfen oder Nothilfe leisten, logischerweise nicht. Auch mit dem Hunger kann man schließlich Geschäfte machen.

25.000 Hungertote an jedem Tag

Täglich sterben weltweit ca. 25.000 Menschen an Hunger, über die Hälfte davon sind Kinder. Insgesamt leiden mehr als eine Milliarde Menschen an Hunger, die höchste Zahl seit Beginn der Statistik 1970. Jedes Jahr werden 17 Millionen untergewichtige Kinder von unterernährten Müttern geboren.

Hunger ist das globale Gesundheitsrisiko Nummer Eins. Nach Definition der Welternährungsorganisation FAO ist unterernährt, wer zu wenig isst, um sein Körpergewicht zu erhalten. Die dafür benötigte Nahrungsmenge liegt bei täglich 1.800 bis 1.900 Kilokalorien.

In den UN-Millenniums-Zielen war 2000 vereinbart worden, den Hunger bis 2015 zu halbieren. Davon ist man weit entfernt. Die Konferenz der 192 FAO-Mitgliedsstaaten in Rom hat sich in dieser Woche lediglich auf einen Fünf-Punkte-Plan geeinigt. Hilfsorganisationen kritisierten diesen als zu unverbindlich.

In den USA hatten 2008 etwa 50 Millionen Menschen nicht immer genügend zu essen. 14,6 Prozent der Haushalte verfügten nach Regierungsangaben zeitweise nicht über ausreichend Geld, um alle Mitglieder angemessen zu versorgen. Noch 2007 waren es nur elf Prozent. Der Anstieg wurde mit der Wirtschaftskrise begründet.

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