Welche Grenze zu welchem Preis

Ausstellung Konsum und Identität sind die Themen des britischen Medienkünstlers Phil Collins. In Köln hat er nun Ferngespräche von Obdachlosen vertont
Ausgabe 19/2013

Konsum und Identität – die Popwelt steht im Zentrum von Phil Collins’ Kunst. Umgekehrt ist auch der 1970 in England geborene Künstler Teil dieser Welt. Seine Werke findet man im Museum of Modern Art in New York, seine Videos wurden auf dem Kurzfilmfestival in Oberhausen gezeigt, in Berlin eröffnete er die Bar Das Gift und seit 2011 ist er Professor an der Kölner Kunsthochschule für Medien. In seiner aktuellen Ausstellung im Kölner Ludwig Museum In every dream home a heartache begrüßen uns zwei mickerige Wohnwagen auf sich drehenden Podesten. Aus ihrem Inneren tönt etwas. Wer den Weg hineinwagt, wird auf durchgepupstem Mobiliar Platz nehmen und den säuerlichen Geruch von Schimmel einatmen, während auf einem Flachbildschirm eine Mischung aus Dauerwerbesendung und Erotik-Trash des fiktiven Senders Tutbu TV läuft. Collins’ TV-Simulation wurde bereits von ZDFKultur ausgestrahlt, möglicherweise hat sie hier nun aber mehr Zuschauer, die amüsiert und beklommen zugleich aus dem rotierenden Wagen taumeln.

Zurück im Raum fixieren Models auf großen Digitalprints den Blick. Ihr pornografischer Gestus erinnert an die Plattencover von Roxy Music, von deren Song „In Every Dream Home a Heartache“ (1973) Collins sich den Titel der Ausstellung lieh. Für eine Filmarbeit über junge Skinheads in Malaysia wiederum bedient er sich kongenial bei Dick Hebdiges Buch The meaning of style. Hebidge untersuchte darin die britischen Subkulturen der Nachkriegszeit, die Collins am anderen Ende der Welt bis in Details reinszeniert fand.

Doch wie ist es mit den Leben jenseits der Pop-Hemisphären? Ein für die Kölner Ausstellung gestaltetes Projekt bezieht sich auf die Institution GULLIVER, welche unfern des Museums Obdachlosen eine Anlaufstelle mit Café, Duschmöglichkeit und Informationen bietet. Dort installierte Collins eine Telefonzelle, in der GULLIVER-Gäste umsonst telefonieren konnten, unter der Auflage, dass ihre Gespräche mitgeschnitten wurden. In kleinen Kabinen kann der Besucher nun einige dieser Gespräche auf Vinyl-Single hören.

Weitere Singles enthalten Verarbeitungen dieser Mitschnitte durch angesagte Musiker wie Planningtorock, Demdike Stare und Julia Hummer.Die meisten verfremden die zum Basismaterial geronnenen Einblicke in Lebensschicksale akustisch. Doch in den Songs der Älteren wie David Sylvian und Scritti Politti schafft die Musik, was der bildenden Kunst hier kaum gelingt: Sie lässt die Tragödien in diesen unerhörten Aufnahmen Gestalt annehmen, holt sie aus der Distanz des Befremdens und in die meist weit abgesicherteren Leben der Betrachter.

Tatsächlich fragen die Töne dabei nicht nur uns, sondern auch das Kunstprojekt selber, welche Grenze zu welchem Preis überschritten werden darf. Ob der Gegenwert eines kostenlosen Telefonats ausreicht? Vielleicht wäre eine Spendenbox für das Gulliver-Projekt eine zumindest pragmatische Geste, um den Moment der Bewegtheit zu nutzen. Denn auch bei aller Detailfreude und medialer Geschicklichkeit von Phil Collins’ Werken entlassen sie nach einiger Zeit des Nachhalls ihre Protagonisten wieder in die eigenen Realitäten – in jene der Museumsbesucher, jene der Stil-referenten Skinheads und in jene der Obdachlosen.

Phil Collins. In every dream home a heartache Museum Ludwig, Köln, bis 21. Juli 2013

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