Am 22. Juni 1945 fuhr ein britischer Militärkonvoi durch das vom Krieg weitgehend verschont gebliebene Harzstädtchen Blankenburg. Das Schloss, das hoch oben auf einem Berg über der Stadt thront, war das Ziel der Soldaten, die mit 30 Armeelastwagen vorrückten. Sie hatten es eilig, denn Stalins Truppen wollten an diesem Tag auch die letzte Verbindungstraße über den Harz in den Westen sperren. Der Tagesbefehl lautete: Das älteste Fürstengeschlecht Europas vor den Kommunisten in Sicherheit bringen. Oben auf dem Schloss residierten seit 1930 Ernst August, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, seine Frau Victoria Luise, einzige Tochter des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., und deren fünf Kinder.
Die Welfenfamilie hatte das wahre Gesicht des
sicht des Zweiten Weltkrieges nur selten zu Gesicht bekommen. In dem Harzstädtchen fielen nur einmal Bomben, und die ausgemergelten KZ-Häftlinge, die ab 1943 für die streng geheime U-Boot-Konstruktion der Nazis unterirdische Schächte in die Berge rund um Blankenburg trieben, blieben in der Regel abgeschirmt von den Blicken Einheimischer. Während das Deutsche Reich in Schutt und Asche versank, Millionen Menschen starben oder hungerten, plagte die Welfen vor allem eine Sorge: Was geschieht mit ihren Besitztümern, wenn die Russen kommen? Nach Kriegsende atmete das Adelsgeschlecht kurzzeitig auf. Die Amerikaner waren in der Stadt, und von diesen Besatzern drohte keine Gefahr. Denn die Amerikaner liebten die Briten, und die Briten liebten die Welfen. Victoria Luise, die mit ihrem Mann Ernst August auf Schloss Blankenburg lebte, war die Enkelin von Englands Queen Victoria. Die Welfen standen gewissermaßen unter dem Schutz der britischen Krone. Doch die Besatzungsmächte hatten sich darauf geeinigt, den Sowjets den Ostharz zu überlassen, und so entschlossen sich die Welfen im Sommer 1945 zur Flucht aus Blankenburg. Als der britische Militärkonvoi das Schloss erreicht hatte, sprangen die Soldaten - Scouts der englischen Besatzungsbehörde in Hannover - von ihren Lastern, rissen die grünen Planen herunter und luden auf: Ritterrüstungen, silberne Kerzenleuchter, kostbare Gemälde und vieles mehr. Nahezu das gesamte Inventar des Schlosses Blankenburg rollte noch am selben Tag unter dem Geleitschutz von drei Panzerwagen auf die Marienburg bei Hannover. Herzog Ernst August hatte mit Hilfe der Briten nicht nur sich und seine Familie, sondern auch einen Millionenschatz in Sicherheit gebracht. Allerdings blieb, bei Immobilien unvermeidlich, auch ein Millionenschatz zurück: das Schloss Blankenburg, das Kloster Michaelstein, das Dorf Hessen sowie Rittergüter mit 10.000 Hektar fruchtbarstem Ackerland und ausgedehnten Wäldern. Geschätzter heutiger Wert: 100 Millionen Euro. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Flucht drückt einem anderen Ernst August ganz fürchterlich die Blase. Er steht an einem Zaun auf dem Gelände der EXPO-Weltausstellung in Hannover und lässt seinem Drang freien Lauf. Deutschlands Boulevardpresse hat die Fotos dazu und bezeichnet den Mann später als "Pinkelprinz", der seines blauen Blutes nicht würdig sei, weil er sich immer so unanständig benehme. Mal soll er mit einem Regenschirm auf einen Kameramann eingedroschen, ein andermal sich die Finger wund gewählt haben, um zwei Redakteure der Bild-Zeitung unflätig zu beschimpfen, wobei "Schwein" noch der harmloseste Ausdruck gewesen sein soll. Das brachte dem Herrn mit der schwarzen Fliege, den gescheitelten Löckchen und der kugelrunden Brille den Spitznamen "Prügelprinz" oder auch "Haugust" ein. Außerhalb der Klatschspalten ist dieser Ernst August vor allem eines: schwerreich. Er ist verheiratet mit Prinzessin Caroline von Monaco und direkter Erbe jenes Ernst August, der 1945 aus Blankenburg floh. Prinz Eduard von Anhalt sagte einst in der ZEIT über ihn: "Er glaubt, er habe das Geld, er habe die Macht und - was andere von mir denken, kann mir scheißegal sein." Im Jahr 2000 dachten Richter des Bundesverwaltungsgerichtes in Berlin sehr intensiv über Ernst August, Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, königlicher Prinz von Großbritannien und Irland nach. Der Adlige hatte vor dem Verwaltungsgericht in Magdeburg einen Prozess verloren, bei dem es um jene Besitztümer ging, die der Großvater 1945 im Ostharz zurückgelassen hatte. Ernst August wollte sie wieder haben. Auch die Berliner Richter konnten keine rechtliche Grundlage für eine Rückübertragung des einstigen Familienbesitzes finden. Der Großvater war im Zuge der Bodenreform zwischen 1945 und 1949 enteignet wurden - laut Einigungsvertrag zwischen der DDR und der BRD rechtmäßig. Und so taten die Richter, was sie zu tun hatten: Sie wiesen die Klage der Welfen ab. Doch Ernst August war das - wie formulierte es Prinz Eduard von Anhalt doch gleich - "scheißegal". Er legte gegen die höchstrichterliche Entscheidung Verfassungsbeschwerde ein. Ernst August glaubt nämlich, dass sein Vater gar keinen deutschen Pass besaß, sondern nur einen britischen, und deshalb zu Unrecht enteignet wurde. Denn für Ausländer bestand ein Enteignungsverbot. Doch da glaubt der Prinz mehr als sein Großvater, der seine Staatsangehörigkeit während eines Entnazifizierungsverfahrens selbst als "deutsch" angegeben hatte. Der Gerichtsmarathon um das Welfenerbe läuft nun schon seit 14 Jahren. Er macht Rechtsanwälte reich und lässt Menschen wie Frank Schade, Stadtoberhaupt in Blankenburg, schier verzweifeln: "Ich wünsche mir, dass diese unendliche Geschichte endlich ein Ende hat. Denn viele Gebäude und Flächen rund um Blankenburg sind wegen des Rechtsstreits noch immer blockiert." Prinz Ernst August aber gibt nicht auf. Vor zwei Jahren legte er dem Amt für offene Vermögensfragen in Halle zwei Kopien aus dem russischen Staatsarchiv vor - angeblich der Beweis dafür, dass sein Großvater doch Ausländer war und man ihm seine Besitztümer zu Unrecht weggenommen hat. Das Landesamt erkundigte sich bei den zuständigen Stellen in Moskau, ob die Schreiben echt seien. Die Antwort aus Moskau fasst Uwe Haak, Sprecher des Verwaltungsgerichts in Magdeburg, zusammen: "Zumindest ein Schreiben entspricht nicht der Wahrheit und stellt eine Fälschung dar." Statt vor Scham im Boden zu versinken, ob des gefälschten Schreibens, reagierte Prinz August mit einer erneuten Klage vor dem Magdeburger Verwaltungsgericht. An diesem Freitag muss nun das Gericht entscheiden, ob das Verfahren neu aufgerollt wird. "Wir messen dem Fall keine große Bedeutung bei, weil die Beweislage eindeutig ist", sagt Uwe Haak. Als Beweise liegen die zwei Schreiben aus Moskau vor. Das eine - gefälscht. Über das andere schreibt Moskau, dass es "keinerlei Erwähnung der von einem deutschen Gericht verhandelten Verwaltungssache enthalte." Und so wird Prinz Ernst August seinem Millionenschatz im Ostharz wohl auch diesmal kein Stück näher kommen.
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