Weltschicksal und flirtender Blick

Geschichtenerzähler Fridolin Schley hat in seinem Erzählband "Schwimmbadsommer" sechs Variationen zum Thema Vater geschrieben

Schwimmbadsommer, so richtige, mit anhaltender Hitze Tag für Tag über Wochen, sprießender Begehrlichkeit, Eis am Stil und Würstchen von der Bude, lüsternen Blicken und lästigen Bademeistern - es mag ihrer im Laufe der Jahre und Jahrzehnte einige gegeben haben. Und erzählt worden sind sie hin und wieder auch. Wieder einmal erinnert uns ein Erzähler, der 1976 geborene Fridolin Schley, der für seinen Romanerstling Verloren, mein Vater (2000) gleich mehrere Preise und Stipendien abgeräumt hat, an einen heißen Sommer irgendwann in den späten achtziger, frühen neunziger Jahren.

Damals stand die kindlich-jugendliche Welt und Wirklichkeit noch im Zeichen Steffis, vor allem aber Boris´, und ganze Elternschaften zwischen Gauting und Neumünster durften von Tennisprofikarrieren ihrer Sprösslinge träumen. Selig diese Zeiten und glücklich die Welt im engen Winkel zwischen Stockdorf und - eben - Gauting, von der unser Erzähler so unangestrengt wie unaufgeregt zu berichten weiß. Wären da nicht noch jene kleinen und großen Alltagsdramen, die Liebe und der Tod, der hier einen Mitabiturienten unmittelbar vor der groß geplanten, definitiven Abrechnung mit der Schule in der Abiturientenrede trifft. Ein kurzes Innehalten, ein Bruch in der jugendlichen Lebenswelt, jedoch kein Abbruch. Der Tonfall und die Erzähllage werden beibehalten.

Die Zeiten sind halt so, wie sie sind, und die Väter - anders als die aus früheren Generationen, die sich ständig an ihren Vorvätern zu reiben wußten - viel besser, verständnisvoller und einfach toleranter, wie Schley in einer hübschen, sechs Teile umfassenden Prosafolge darlegt. Darin darf die Vaterfigur nacheinander in die Rollen von Tecumseh, Albert Camus, Ivan Lendl, James Dean, Frank Mill und JFK schlüpfen. Eine wahre Vaterapologie, die kritisch zu bemäkeln einzig Geschäft jener älteren, im Weihwasser kritischer Theorie gebadeten 60er und Post-68er-Generation ist, wenn da am Ende gar vom Stolz auf diesen Vater die Rede ist.

Auf der anderen Seite jedoch verkennt diese gute, ideologiekritische Lesart, daß hier jemand ein geradezu hemmungsloses, aber zugleich auch wieder durchaus zeitadäquates Vaterporträt gezeichnet hat. Verdichtet findet es sich am Ende in der Reflexion über eine Fotografie, die die beiden Kennedy-Brüder zeigt, "die aufgeregt mit Marilyn Monroe auf einem Gang vor einer geheimnisvollen Tür stehen, während John noch versucht, den passenden Schlüssel zu finden. Kein anderes Bild spricht so unverkrampft von dem Band zwischen Schwere und Leichtigkeit, Weltschicksal und flirtendem Blick, und irgendwie komme ich wieder auf meinen Vater zurück."

In der längsten von Schleys Geschichten, Bis Hicki kommt, unternimmt der Erzähler den anspruchsvollen Versuch, anläßlich der Begegnung dreier überaus unterschiedlicher Menschen in einem Berliner Polizeipräsidium, die auf ihre Vernehmung warten, verschiedene Lebensläufe in verschiedenen Zeiten und Systemen anzudeuten. Wobei dann die Rede ebenso auf den antifaschistischen Widerstand und entsprechende Zellen rund um eine Berliner Buchhandlung kommt wie - obwohl nur en passant, dafür aber überzeugend und sinnlich-plastisch - die Lebensgeschichte eines opponierenden DDR-Bürgers und Übersiedlers, einstigen Mao-Verehrers und nunmehrigen Schönhuber-Bewunderers sich abzeichnet.

Some extra credit points für Schley: hier erzählt jemand einfach bloß Geschichten, mal lakonisch, mal komisch, nie aber mit erhobenem Zeigefinger oder - schlimmer noch - deutend und interpretierend. Ja, und was das alles soll, könnte mit Robert Musil leicht beantwortet werden: wenn ich´s wüßte, so der Geschichtenerzähler, dann würde ich´s nicht erzählen!

Fridolin Schley: Schwimmbadsommer. Beck, München 2003, 239 S., 17,90 EUR


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