Wenig Lust auf neue Blöcke

Kommentar OAS-Gipfel im mexikanischen Monterrey

Die USA und Mexiko seien mit siamesischen Zwillingen zu vergleichen: Werde der eine von Verfall betroffen, müsse der andere damit rechnen, dass ihm Gleiches widerfahre, schrieb einst der mexikanische Schriftsteller Lejous Martínez. Alle Präsidenten Mexikos seit López Portillo (1976 - 1982) - so schien es - waren sich der Tatsache bewusst, mit dem Norden Amerikas nicht unbedingt gesegnet zu sein, aber damit leben zu müssen. Also behaupteten sie ihre Souveränität, erreichten aber in der Regel weniger, als sie wollten. Die seit 1994 mit den USA und Kanada bestehende Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) zum Beispiel hat eher Abhängigkeiten bedient als Freiheiten befördert. So war es denn auch jetzt während des Gipfels der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) augenfällig, wie Präsident Vicente Fox seinen Gast George Bush mit einem überaus konzilianten Verständnis bedachte, als es um die marodierende Anti-Terror-Hysterie der USA, vor allem aber die von Washington mit der Geste des genervten Patriarchen verlangte Amerikanische Freihandelszone (FTAA) ging. Gewiss, das Projekt hat sich in Monterrey keine totale Absage eingehandelt, doch das Renommee des schon von Bill Clinton favorisierten Wirtschaftsblocks der ungleichen Partner hat mit diesem Gipfel kaum gewonnen. Die Erklärung für die Skepsis und Vorbehalte innerhalb der OAS ist einfach. Wenn inzwischen 54 Prozent der Bevölkerung Lateinamerikas jenseits der Armutsgrenze leben, geht es dem Subkontinent schlechter als in den auch nicht gerade sonnigen achtziger Jahren. Und niemand weiß, wie lange die soziale Lethargie noch vorhält. Bolivien und Ekuador sind längst reif für einen Wandel, der in eine Strömung münden kann, wie sie von Venezuela ausgeht. Das Brasilien des Präsidenten "Lula" da Silva wartet mit dem Selbstbewusstsein einer Regionalmacht auf, die den USA gern auf Augenhöhe gegenüber tritt, ohne sie über Gebühr herauszufordern. Das Argentinien des Linksperonisten Néstor Kirchner hat das Drama der finanziellen Auszehrung offenkundig satt, das die rigiden Auflagen des IWF heraufbeschworen haben. Kirchner bevorzugt statt Schuldentilgung nun Schuldenmoratorien, um seinem Land wenigstens einen Rest von ökonomischer Existenzfähigkeit zu erhalten. In Venezuela hat Hugo Chávez zwei Putschversuche und einen Streik der Erdölwirtschaft überstanden und kann nur um den Preis eines Bürgerkrieges gestürzt werden. Allein die rechtskonservativen Präsidenten Kolumbiens (Uribe) und Uruguays (Batlle Ibánez) relativieren mit ihrem strikt neoliberalen Kurs diesen Trend. Aber gerade Kolumbien liefert mit seinem Drogen- und Bürgerkrieg alles andere als ein begehrtes Modell für den Subkontinent. Zu offensichtlich hat die Bush-Regierung Lateinamerika nach dem 11. September 2001 im außenpolitischen Ranking nach unten durchgereicht. Eine Mehrheit zwischen Panama-Kanal und Feuerland will das nicht länger mit politischer Demut honorieren.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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