Wenn Blasen platzen

Anti-Ökonomie Vor zwei Jahren ist André Gorz freiwillig aus dem Leben geschieden. Sein gerade erschiener Aufsatzband liest sich wie ein prophetischer Kommentar zu aktuellen Krise.

Wichtig für André Gorz war seit je die Frage nach dem Ich, denn: „Nicht ‚ich’ handele, sondern die automatisierte Logik der gesellschaftlichen Einrichtungen handelt durch mich als Anderer, lässt mich mitwirken an der Produktion und Reproduktion der sozialen Megamaschine. Sie ist das wahre Subjekt.“ Der Befund heißt nicht, dass dagegen nicht zu rebellieren sei, was der 2007 freiwillig, zusammen mit seiner Frau Dorine, aus dem Leben geschiedene Sozialphilosoph zeitlebens tat.

„Ohne Sartre hätte ich wahrscheinlich nicht die Instrumente gefunden, um das, was meine Familie und die Geschichte mir angetan hatten, zu bedenken und zu überwinden“, schreibt Gorz, der als Sohn eines jüdischen Holzhändlers in Wien geboren wurde. Aber Gorz war auch ohne Sartre, er stand nie im Bann oder gar unter der Fuchtel des Meisters, war kein Anhänger, kein Epigone.

Die Ökologie, zu der er schon sehr früh gekommen war, diente ihm als immanenter Bestandteil seiner Überlegungen, nicht bloß als Zusatz. Mit der Wachstumslogik sei zu brechen, Selbstbegrenzung ein Überlebensgebot. Ökologie sei dazu da, „die Kritik des Kapitalismus zu vertiefen und zu radikalisieren“. Exemplarisch dafür steht der bereits 1975 verfasste Aufsatz über das Auto, worin Gorz Ansätze einer Theorie des Staus entwickelt und zur Dialektik der Personenkraftwagen vermerkt: „Letztlich sorgt das Auto für mehr Zeitverluste als für Zeitersparnisse und schafft größere Entfernungen, als es überwindet.“

Gebrochen hat er auch mit der Verehrung der Arbeit und dem Glauben an die revolutionäre Potenz der Arbeiterklasse. Das hat nicht wenige Linke verärgert, die in ihm fortan einen Renegaten sehen wollten. Das 1980 erschienene Buch Abschied vom Proletariat sei in keiner Weise eine Kritik des Kommunismus gewesen, „im Gegenteil“, resümiert er. „Aber der Kommunismus bedeutet weder Vollbeschäftigung noch Lohn für alle, sondern Abschaffung der Arbeit in der gesellschaftlich spezifischen Form, die sie im Kapitalismus hat, das heißt der Arbeit als Beschäftigung, der Arbeit als Ware.“

„Der Kapitalismus arbeitet selbst, ohne es zu wollen, an seinem Untergang“, schreibt Gorz. Der Großteil der Gewinne stamme aus Finanzoperationen, ergäbe sich also entschieden nicht aus den Produktionsleistungen der Firmen. Die Schöpfung „substanzlosen Geldes“ bilde die Grundlage diverser Spekulationen. Recht gemeinverständlich wird der Begriff des fiktiven Kapitals herausgearbeitet: „Die Realwirtschaft wird zu einem Anhängsel der von der Finanzindustrie unterhaltenen Spekulationsblasen. Bis zu dem unausweichlichen Moment, in dem die Blasen platzen, die Banken reihenweise Bankrott gehen, dem Weltkreditsystem der Zusammenbruch und der Realwirtschaft eine ernste und anhaltende Depression droht.“ Wohlgemerkt, diese Zeilen wurden 2007 veröffentlicht, zu einer Zeit also, in der eine kräftige und gesunde Wirtschaft boomte. Angeblich.

Zuversicht und Optimismus prägten Gorzens Werk. Perspektive war ihm stets ein Gebot, auch wenn er dadurch manchmal zu vorschnellen Urteilen und Utopien neigte. Der Wunsch nach der großen Transformation, der hat sich in den Altersschriften noch verstärkt.

In seinen letzten Aufsätzen fordert er eine „Ökonomie der Unentgeltlichkeit“, eine Antiökonomie“. „Die gegenwärtige Gesellschaft ist nicht die einzig mögliche und ihre Funktionsweise hat nichts von einer objektiven Notwendigkeit an sich.“ „Denn alles wird sich verändert haben: die Welt, das Leben, die Leute.“ Sagt Gorz. Und Sartre sagt: „Ein Ausweg, der wird erfunden.“

Auswege aus dem Kapitalismus. Beiträge zur politischen Ökologie André Gorz, aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Zürich, Rotpunktverlag 2009, 128 S., 16

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