Wenn der Himmel zusammenbricht

Im Gespräch Der Ökonom Rudolf Hickel über geschmolzene Kerne, arrogante Großbanken und das private Bargeldsilo

FREITAG: Wer sind die Gewinner des Dauer-Crashs auf den Geldmärkten?
RUDOLF HICKEL: Die gibt es in der Tat, das sind Banken, die wie Phönix aus der Asche steigen. Ich mache es an einem Beispiel klar: Wenn in den USA mindestens drei Investmentbanken verschwinden - Lehman Brother, Meryll Lynch und Bear Stearns - und die Banker von Goldman Sachs übrig bleiben, auch wenn dieses Unternehmen jetzt zur normalen Geschäftsbank mutiert, sind sie Konkurrenten los. Gewinner ist ebenso die Bank of America, wenn sie durch den Staatsfonds von Finanzminister Paulson von faulen Krediten befreit wird. Davon abgesehen schiebt diese Finanzkrise eine enorme Konzentration vor sich her.

Gibt es auch Gewinner in Deutschland?
Wie wir alle wissen, sucht die Dresdner Bank, die bei maroden Finanzprodukten stark engagiert ist, unterm Dach der Commerzbank Schutz, so dass ein neues großes Bankhaus mit einem starken Einfluss der Allianz entsteht. Und die Zeche haben vor allem die Beschäftigten zu bezahlen.

Man hörte jetzt oft den Begriff Kernschmelze, zu der es am internationalen Finanzmarkt hätte kommen können. Was muss man sich darunter vorstellen?
Ich finde diesen Begriff nicht sehr glücklich. Es lohnt sich trotzdem, ihn zu thematisieren, denn man muss doch fragen: Wo ist eigentlich der Kern des ökonomischen Systems, mit dem wir es zu tun haben? Und da würde ich in alter marxistischer Tradition sagen, der Kern - das ist eigentlich die Produktionswirtschaft, das sind nicht die Finanzmärkte, die haben ökonomisch funktional gesehen eine dienende Funktion. Sie sollen Industrie, Dienstleistungen und so weiter - mehr oder weniger - finanzieren.

Das hat sich ernorm verschoben, weil die Finanzmärkte immer stärker die Produktionswirtschaft beherrschen, ja terrorisieren. Dort werden die Profiraten für die Unternehmen definiert. Helmut Schmidt nennt es Raubtierkapitalismus, Bundespräsident Köhler Monsterkapitalismus - die Ökonomen sprechen vornehm von finanzgetriebenem Kapitalismus. Geht man also davon aus, dass sich der Kern des ökonomischen Geschehens in das Finanzmarktsystem verlagert hat, ist der Begriff Kernschmelze absolut richtig.

Und was meint er nun?
Dass auf den Kapitalmärkten Hunderte von Milliarden Dollar verbrannt werden, und der Marktwert von Wertpapieren, die in den Büchern standen, ins Uferlose fällt.

Lässt sich die Kernschmelze mit einem 700-Milliarden-Dollar-Programm der US-Regierung abwenden?
Eine absolute Notmaßnahme, um sich Zeit zu kaufen, aber nicht die Krise im Kern zu beseitigen. Der Staat übernimmt für 700 Milliarden Dollar marode Kredite, um die Bilanzen der Banken wieder aufzupolieren. Am Ende steigt die Staatsverschuldung und die dafür zu zahlenden Zinsen trägt der Steuerzahler. Diese Sozialisierung ist ein Skandal, aber derzeit - leider - unvermeidbar.

Diese Finanzkrise grassiert seit Juli 2007. Weshalb ist es seither niemandem gelungen, die Lawine aufzuhalten?
Weil keiner auch nur eine annähernde Vorstellung vom Ausmaß der Krise hatte, keiner kannte so richtig dieses Finanzierungsinstrument, das uns diesen Absturz beschert hat.

Sie meinen die auf Basis von Immobilienhypotheken geschaffenen Wertpapiere, die verschachtelt und dann verkauft wurden.
Genau die, ich zitiere einen gescheiten Banker, der kürzlich dazu meinte: Banker dürfen nur die Geschäfte machen, die sie verstehen und verantworten können. Diese Kritik richtet sich gegen die Arroganz vieler Großbanken, die diese abgeleiteten Wertpapiere auch noch außerhalb der Bilanz und ohne Eigenkapitalabsicherung versteckt haben, was beispielsweise die SachsenLB an den Rand der Pleite getrieben hat. Jetzt liegt die Last des Risikos mit 2,5 Milliarden Euro beim Land Sachsen. Man wusste in den vergangenen Monaten doch nie, wer hat wie viel von diesen faulen Papieren in den Bilanzen.

Weiß man das heute?
Wir haben es da mit dem am besten gehüteten Geheimnis der Banken zu tun. Was man inzwischen sicher weiß: Es gibt drei Kategorien von Opfern. Zunächst einmal traf es in den USA Hypothekenfinanzierer wie Countrywide, später Fannie Mae und Freddie Mac. Dann waren die Banken dran, die diese Finanzderivate in ihre Portefeuilles nahmen. Ein dritte Opfergruppe schält sich erst jetzt heraus, wenn immer lauter gefragt wird: Wie ist die Versicherungswirtschaft von alldem betroffen?

Gelten für Versicherer nicht strengere Regeln als für Banker?
Sicher, die dürfen Nettoeinnahmen aus den Versicherungsgeschäften nur bis zu 35 Prozent in Wertpapieren oder Aktien anlegen. Da sind aber aktuell auch riskante Wertpapiere dabei. So steht die Allianz durch Engagements bei Lehman Brothers mit voraussichtlich 400 Millionen Euro in der Kreide. Wir wissen, dass der große US-Versicherungskonzern AIG, die zweitgrößte Versicherung der Welt, gleichfalls am Abgrund stand, bis die US-Notenbank durch die Übernahme von faulen Krediten mit über 80 Milliarden Dollar ausgeholfen hat.

Kann es demnach bei Versicherungen noch richtig gefährlich werden?
Zumindest gibt es in Deutschland berechtigte Ängste, weil die Leute durch schrumpfende Sozialsysteme förmlich in die private Kapitalvorsorge - Stichwort Lebensversicherung - getrieben wurden.

Gibt es bei Versicherungen eigentlich einen Einlagenversicherungsfonds, wie ihn die Banken in Deutschland einrichten mussten?
Der existiert dort nicht. Normalerweise werden die Geschäfte von Versicherungen von Anfang an strenger kontrolliert als die von Banken. Auch diese Regulierung kann natürlich platzen.

Generell zum Einlagensicherungsfonds - reicht denn der bei Banken überhaupt aus, wenn die Finanzkrise Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe erzwingt?
Zunächst einmal: Private, genossenschaftliche und öffentliche Banken - die drei Säulen der Bankenwirtschaft hierzulande - haben ihre eigenen Sicherungssysteme. Wenn sich mit diesen Garantien nichts mehr ausrichten lässt, muss nach dem Einlagensicherungs- und Entschädigungsgesetz der Staat eingreifen. Als Beispiel: Nehmen Sie eine Privatbank, die muss maximal 30 Prozent des Eigenkapitals in den Einlagensicherungsfonds der Privvatbanken zahlen. Das heißt, wenn dieses Institut mit einer Bilanzsumme von 100 Millionen Euro pleite geht, sind davon 30 Millionen gesichert. Garantien gelten für Sichteinlagen, Sparguthaben und Termingelder, während die Einlagen anderer Banken nicht gesichert sind.

Der private Bankkunde muss sich also keine Sorgen machen.
Das hätte ich gern so gesagt, kann es aber nicht. Weil - wie gesagt - keiner das Ausmaß der faulen Kredite kennt. Immerhin sind in den USA bereit zwölf Banken bankrott. Was nur die Privatbanken in Deutschland angeht, so wird geschätzt, dass 4,6 bis sieben Milliarden Euro in den eingangs beschriebenen Finanztiteln stecken. Sollte es zu einem Dominoeffekt kommen, kann sich das Volumen des Einlagensicherungsfonds mit momentan etwa 4,6 Milliarden Euro schnell als zu gering erweisen. Wenn noch die Massenflucht von Kunden aus ihren Guthaben dazu kommt und einige Häuser über Nacht zahlungsunfähig sind, dürfte der Einlagensicherungsfonds schnell erschöpft sein. Zudem sind im Konkursfall dem Privatkunden nur 20.000 Euro garantiert.

Der Rest geht verloren ...
... wenn der Himmel wirklich zusammenbricht. Der Einlagensicherfonds ist nicht für eine Megakrise geschaffen, sondern für den Zusammenbruch einiger weniger Institute. Gegen jedes Bagatellisieren sei klar gesagt: die Eigenabsicherung der Banken hat ihre Grenzen. Sind die erreicht, muss der Staat eingreifen - zu Lasten des Steuerzahlers.

Welche Folgen hat dies alles derzeit für die Kreditvergabe an die Wirtschaft?
Die Europäische Zentralbank behauptet immer noch, es gäbe keine Kreditklemme, aber der Trend hin zu einer restriktiveren Kreditpolitik lässt sich nicht übersehen. Es werden die Zinsen erhöht, weil ein Risikozuschlag für das verbrannte Geld dem Kreditkunden aufgebürdet wird. Die Bonitätsprüfung ist erheblich schärfer geworden, so dass kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland, die auf Kredite angewiesen sind, oft nicht mehr zum Zuge kommen. So dringt die Finanzmarktkrise immer weiter in die Produktionswirtschaft ein. Eine weitere Folge: Das schwindende Vertrauen in die Banken lässt den privaten Konsumenten noch vorsichtiger sein. Irrationale Formen der Geldhaltung nehmen zu, das private Bargeldsilo zu Hause hat Konjunktur.

Der Binnenmarkt dagegen nicht.
Der leidet nicht nur, sondern ist Hauptbetroffener der schlingernden Geldmärkte, die auch 2009 eine große Konjunkturbelastung bleiben werden.

Gibt es einen Königsweg, um künftig derartige Mega-Krisen zu vermeiden?
Der Kapitalismus ist wie eine Hydra, wenn man zwei Köpfe abschlägt, wachsen fünf nach. Aber wir sollten vor den Finanzmärkten nicht kapitulieren, zumal wir daraus nicht eine Veranstaltung nach dem Motto machen können: Wir schaffen den Kapitalismus ab. Was wir brauchen, ist ein der Realwirtschaft dienendes Finanzsystem.

Man sollte zudem begreifen lernen: Das gesamte Finanzsystem ist aus sich heraus krisenanfällig, deshalb brauchen wir eine strenge Regulierung. Wenn wir die haben, müssen wir zum Schluss auch nicht mehr darüber nachdenken, soll der Staat beim Absturz die Verantwortung übernehmen - ja oder nein? Für Finanzprodukte selbst sollte ab sofort gelten: Wer als Bank diese Hypotheken basierten Wertpapiere auflegt und weltweit verkauft, muss davon mindestens 20 Prozent selber halten. Da dürften viele sehr vorsichtig werden. Schließlich: Wir brauchen einen TÜV. Warum werden Nahrungsmittel kontrolliert, marode Finanztitel aber nicht?

Das Gespräch führte Lutz Herden

Rudolf Hickel ist Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft in Bremen.



Das Ende der Investmentbanken

Sie galten lange als die Könige der Wall Street: Investmentbanken. Nun steht ihr risikoreiches Geschäftsmodell, das sich auf Vermögensverwaltung, Wertpapierhandel und Börsengänge beschränkte, vor dem Aus.

Reine Investmentbanken waren eine Eigenart des angelsächsischen Bankensystems. In den USA schrieb der Glass-Steagall-Act aus dem Jahr 1933 eine strikte Trennung von Geschäftsbanken (Kontoführung) und Investmentbanken (Wertpapierhandel) vor. Ähnliche Regelungen gab es in Großbritannien. Ende der neunziger Jahre änderte sich in den USA die Gesetzeslage, Geschäftsbanken konnten fortan beim lukrativen Wertpapierhandel mitmischen. Die neuen Wettbewerber senkten die Gewinnmargen der nvestmentbanken, die darauf mit risikoreicheren Anlageformen reagierten.

In der Blütezeit kam Investmentbanken zugute, dass sie einer weitaus geringeren Aufsicht durch den Staat unterworfen waren. Das änderte sich, nachdem die Institute milliardenschwere Abschreibungen vornehmen mussten. Die Lage verschärfte sich dadurch, dass reine Investmentbanken kaum über Einlagen verfügten. Zudem belohnten die erfolgsunabhängigen Boni der Investmentbanker kurzfristige und risikoreiche Gewinnstrategien.

Die Finanzkrise hat seit dem Frühjahr 2008 die fünf größten unabhängigen Investmentbanken in den USA hinweggefegt. Bereits im März stand Bear Stearns vor dem Kollaps und wurde von der Bank JP Morgan aufgekauft. Im September konnte sich Merrill Lynch nach Riesenverlusten – allein 4,78 Milliarden Dollar im zweiten Quartal – nur noch unter das Dach der Bank of America retten. Kurz darauf ging Lehman Brothers pleite, die Traditionsbank hatte zuvor einen Quartalsverlust von 3,9 Milliarden Dollar gemeldet. Zu Wochenbeginn schließlich verzichteten Goldman Sachs und Morgan Stanley unter dem Eindruck der anhaltenden Krise auf ihren Sonderstatus. Ihre Umwandlung in normale Geschäftsbanken, hieß es in einem US-Zeitungskommentar, markiere das Ende der Wall Street in ihrer bisherigen Form, das Finanzsystem stehe vor einem tiefen Umbruch.

In der Bundesrepublik versuchten seit Ende der achtziger Jahre einige Kreditinstitute von den hohen Renditenaussichten der Investmenthäuser zu profitieren. Die Deutsche Bank übernahm 1989 Morgan Grenfell, die Dresdner Bank 1995 Kleinwort Benson, die WestLB 1996 Panmure Gordon, um nur einige Beispiele zu nennen. Inzwischen besinnen sich die Kreditinstitute hierzulande aber wieder auf alte Stärken: Die Deutsche Bank, die stark auf das Investmentbanking gesetzt hatte, verstärkte sich im Privatkundengeschäft mit Übernahmen von kleineren Häusern und der Postbank.

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