Den einst "nationalstaats-monopolistischen" Kapitalismus als nunmehr "transnationalistischen" beschrieben zu haben, ist das Verdienst dieses Buches mit dem bescheidenen Originaltitel Transnacionalización y Desnacionalización. Der Essener Verlag Neue Impulse hat daraus unbescheiden den Titel Imperialismus heute gemacht. Dem werden die 15 Aufsätze nicht ganz gerecht, weil die entscheidende Nord-Welt der Monopolmetropolen nur gestreift und so einer internationalen Unidad-Popular-Perspektive nicht geöffnet wird. Die kubanischen Autoren konzentrieren ihre Beobachtungen auf die Dritte und Vierte-Welt-Länder und lassen den Gegenstand ansonsten seine eigene Geschichte erzählen. Sie deuten es als eine der virulenten Verklärungen, die moderner Kommunikationstechnol
moderner Kommunikationstechnologie zu danken sei, wenn heute der Mythos vom "globalen Dorf" grassiere, und entgegnen, dass "fast zwei Drittel der Menschheit niemals einen Telefonhörer abgehoben und mehr als 98 Prozent niemals ein Bild im Internet gesehen haben". So werde der größte Teil der Bewohner des Erdballs zur störenden Belastung. Dabei wird zugleich daran erinnert, dass sich ökonomischer Wettbewerb heute vorzugsweise zwischen den Monopolen um die Kontrolle der Märkte wie die sogenannten "Steuerparadiese" und "Exportplattformen", die Territorien mit strategischen Naturressourcen und die großen Regionalmärkte abspiele. 1997 waren es "37.000 transnationale Unternehmen, deren kombinierte Verkäufe 5,8 Billionen Dollar erreichten, aber zu 80 Prozent außerhalb der USA nicht als Exporte, sondern Handel innerhalb des Unternehmens, seiner Filialen oder auf der Basis von Abkommen über Zollfreiheit" stattfanden. Der Wert dieser transnationalen Infrastrukturen sei mit 2.1 Billionen Dollar doppelt so hoch wie das Bruttosozialprodukt Lateinamerikas.Aus dieser globalen Monopolkonkurrenz ziehen die Kubaner eine für die deutsche Linke einigermaßen provokative Schlussfolgerung: "Der wichtigste Integrationsprozess in der Welt ist zweifellos die Europäische Union, die sich zur Integration des Geld-, produktiven, Handels- und fiktiven Kapitals verschiedener nationaler imperialistischer Kreisläufe als einem einzigen transnationalen Zyklus vorwärtsbewegt, deren Zweck darin besteht, der Macht des USA-Imperialismus Widerstand zu leisten." Für den Fall, dass Kuba demnächst explizit neben und implizit gegen den Dollar das Zahlungsmittel Euro einführen sollte, deuten die Autoren an, was unter "Schaffung der breitesten anti-neoliberalen Einheitsfront" auch erhofft wird: "Alternativen zum Neoliberalismus" - dies sei Grundanliegen eines breiten Spektrums von revolutionären Linken und Volksbewegungen bis zu wachsenden Sektoren der Bourgeoisie, deren Kapitale durch die transnationale Finanzoligarchie zerstört würden. "Das spekulative Kapital ist nicht nur ein Parasit am Körper der Arbeit, der die Arbeitslosigkeit und Marginalisierung auf ein Vielfaches anwachsen lässt, sondern schmarotzt auch direkt am fungierenden Kapital, dem Kapital, das durch direkte Ausbeutung der Arbeitskraft realisiert wird". Daher - so die Autoren - müsse "das Hauptangriffsziel der revolutionären Kräfte der Imperialismus und im besonderen der USA-Imperialismus sein, das Rückgrat des Transnationalisierungs- und Entnationalisierungsprozesses, der die beschleunigte Abwertung der nationalen Machtinstanzen bewirkt."Für die Verfasser rangieren nunmehr dort, wo den Leninisten einst das Bekenntnis zur Sowjetunion konstitutiv war, "der sozialistische kubanische Staat und die sozialistischen asiatischen Staaten", die als "Bastionen der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität, als kraftvolle Staatsmächte ..." hofiert werden. Die Handelskooperative Kuba-Nordkorea-Vietnam-China, die zwar keine frei konvertierbare Währung besitzt und weder Rohstoffpreise noch Konditionen für Schuldenrückzahlungen zu diktieren vermag, wird gleichwohl zum leuchtenden Pfad der Dritten und Vierten Welt. Die Optionen in der Ersten bleiben dagegen allenfalls abstrakt.Der Aspekt, den der "Leninismus" im Unterschied zu Lenin niedergehalten hatte, dass sich nämlich durch die Beschleunigung der Kapitalentwicklung weder das Proletariat noch die kleinbürgerliche Demokratie auf den Rahmen des Kapitalismus beschränken können, wird von den Autoren zwar erwähnt, aber nicht auf die Risse im Bürgerlager der Nord-Welt bezogen und nicht zu einer internationalen Bündnisoption verdichtet. Sie übersehen zudem, dass der bürgerliche Nationalstaat nicht im Ganzen auf dem Rückzug ist, sondern sich vielmehr zum geschäftsführenden Ausschuss der transnationalisierenden, spekulierenden Bourgeoisie strafft. Eine Institution, die mit ihrer Macht nur noch Deregulierung reguliert.Transnationalisierte Warenzirkulation löscht allerdings die nationalstaatlichen Grenzen der Sozial- und Lohnstandards. Sie wird zum Monster für regionale, identitätsstiftende Heimatbezüge im Alltagsverstand. Der droht unter diesen Umständen vielerorts ins Nationalistische umzuschlagen und beginnt, "nationale Rechtssicherheit" zu reklamieren. Dies gilt besonders dann, solange es die Linke nicht versteht, den Verstörtheiten mit sozialen Sicherungen und kulturell Beherrschbarem beizukommen. Die modelinke Abgrenzung gegen das Nationale verbietet sich auch vor dem Hintergrund dessen, was Hobsbawn bei Antonio Gramsci herausstrich, der niemals vergaß, dass Gesellschaften "einen bestimmten Zusammenhalt haben, auch wenn sie durch Klassenkämpfe gespalten sind".Dem monopolistischen Begriff von "Progress und Moderne", der auf weitere logistische Entgrenzung, Unterhöhlung regionaler und nationaler Kultur- und Sozial-Standards, auf Verhetzung von Leben, Arbeit und Konsum, auf "Zeitpiraterie" (Altvater) drängt, der Verstörtheiten der Abgehängten immer mehr ausweitet, ist von links nirgends beizupflichten. Auch wenn Entschleunigung, Demokratisierung und Ökologisierung von der transnationalistisch gestimmten Medien-Kaste als "lahm und altmodisch" verspottet werden. So wird denn auch im vorliegenden Band dafür plädiert, die "Unregierbarkeit" der Monopole auf Seiten der Linken nicht apathisch hinzunehmen. Immerhin zeige das gegen Kuba gerichtete "Helms-Burton-Gesetz", wie ein Nationalstaat Firmen und deren Partner "bis ins dritte Glied" bestrafen könne. Warum sollte ein solcher Strafenkatalog nicht auch "antiimperialistisch" gegen off-shores und Steuer-Oasen und deren Klientel anwendbar sein? Es lohnt sich den janusköpfigen, monopolkapitalistischen Wohlfahrtsstaat in Europa als Kampfarena anzunehmen.Cervantes Martinez, Gil Chamizo, Regalado Alvarez, Zardoya Loureda; Imperialismus heute, Neue Impulse Verlag, Essen 2000, 193 Seiten, 35 DM.
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