In Mauretanien ist Sidi Ould Cheikh Abdellahi am 25. März Im zweiten Wahlgang mit 52,8 Prozent zum neuen Präsidenten gewählt worden. Er war mit dem Slogan Wandel innerhalb der Kontinuität angetreten und hatte damit in elf von dreizehn Provinzen überzeugt, während sein Konkurrent Ahmed Ould Daddah lediglich in der Hauptstadt Nouakchott und seiner Heimatregion zu Mehrheiten kam. "Sidi", wie Abdellahi von seinen Anhängern genannt wird, will sich energisch dafür einsetzen, dass die ethnische Versöhnung zwischen "schwarzen" und "weißen" Mauren vorankommt - dass vor allem die erst 1981 abgeschaffte Sklaverei keine Wiederauferstehung erlebt. Elisabeth Eckard hat während der vergangenen Wochen in Nouakchott wie in der südlichen Kleinstadt Sélibaby beobachtet, wie die Menschen mit einer Wahl umgingen, deren Ausgang erstmals seit der Unabhängigkeit 1960 wirklich offen war. Davon schienen zumindest die Medien überzeugt. Sie hat dabei auch erfahren, dass Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen vielfach verdrängt oder verschwiegen werden. Ein Gemeinschaftsgefühl wirkt vorgetäuscht. Es gibt zu viele Geschichten, die Angst einflößen.
"Ayoun ist viel schöner als Nouakchott. Ich würde lieber dort leben als hier in der Hauptstadt." Cheikhnah preist die Schönheit der Wüste in seiner Heimatregion, erzählt von Rindern und Kamelen, die seine Familie dort als Besitz durch die Savanne treibe. Er reise so oft wie möglich nach Ayoun el Atrous. Warum er dann in Nouakchott lebe, der Wüstenstadt am Meer? "Hier finde ich Arbeit, in Ayoun finde ich nichts." Die Hoffnung auf eine Beschäftigung lockt seit Jahrzehnten Hunderttausende von Mauretaniern nach Nouakchott und damit in die Fänge einer Stadt, die erst 1960, nach der Unabhängigkeit, von französischen Architekten auf dem Reißbrett entworfen wurde: Als Kapitale der Islamischen Republik Mauretanien sollte sie den maurischen wie den schwarzafrikanischen Bürgern gleichermaßen gehören. Deshalb die Neugründung in der Wüste. Die Idee von der ethnischen Balance, der Koexistenz zwischen den Bevölkerungsgruppen blieb Utopie. Ursprünglich sollte Nouakchott ein Domizil für höchstens 20.000 Bewohner sein - heute leben mehr als 600.000 in ungezählten Siedlungen, die immer weiter in die Sahara hinein wachsen. Ein gutes Auskommen finden unter diesen Umständen nur wenige.
Schlechter als in Nouakchott
Cheikhnah ist 43 Jahre alt, von kleiner Gestalt und rundlicher Statur, trägt den traditionellen weißen Boubou, das weite Gewand der mauretanischen Männer, und lebt vorzugsweise vom Kleinhandel mit Vieh. Daneben besitzt er einen alten Renault, der als Sammeltaxi gute Dienste tut, besonders für Fahrten nach Ayoun. Was finanziell durchaus lukrativ sein kann, wenn Cheikhnah für die über 800 Kilometer bis zum Ziel vier Fahrgäste auf der Rückbank und möglichst zwei neben dem Fahrersitz platzieren kann. Eine bequeme Tour, meint er, denn Ayoun sei durch die Route der Hoffnung mit der Hauptstadt verbunden, eine der wenigen asphaltierten Trassen des Landes. Mit seiner Frau und drei seiner vier Kinder lebt Cheikhnah im Viertel Arafat, einem Meer aus kleinen rechteckigen Baracken mit Wellblechdächern. Etwa zwölf Quadratmeter große Behausungen, für die es Strom, aber kein fließendes Wasser gibt. Das lässt sich nur bei Händlern kaufen, die mit ihren Eselskarren durch die Gegend ziehen. Um ihre Gäste zu bewirten, trägt Cheikhnahs Frau ein kleines Holzkohlebecken und das Teegeschirr in einem fensterlosen Raum, in dem neben einigen Kissen noch ein Fernsehgerät das Mobiliar komplettiert. Dreimal hintereinander wird der starke Grüntee mit frischer Pfefferminze und Zucker in kleinen Gläsern gereicht, dazu isst man frisches Weißbrot. Nachbarn schauen vorbei, weil Cheiknah von einer mehrtägigen Reise zurück ist, und reden mit ihm in Hassanya, dem arabischen Dialekt Mauretaniens. Es wird in diesen Tagen auch über die bevorstehende Präsidentenwahl gesprochen, über den Wahlausgang am 11. März spekuliert, über denkbare Allianzen danach, sollte es zu einem zweiten Wahlgang kommen. Schließlich aber erzählt Cheikhnah von seinen Kindern: Dem 18-jährigen Ali, der in Nouakchott das Gymnasium besucht, dem zwölfjährigen Mohammed Khali, der Wunderdinge mit dem Fußball anzustellen weiß und schon etwas Französisch versteht, und der vierjährigen Toutou, die gern verwöhnt wird. Cheikhnahs zweitältester Sohn Ahmed allerdings lebt in Ayoun bei der Großmutter. "Er lernt dort nicht so gut wie sein älterer Bruder", bedauert Cheikhnah. "Wenn die Rinder getränkt werden müssen, kann er nicht zur Schule. Die fällt sowieso oft aus. Es ist dort alles viel schlechter als in Nouakchott."
Cheiknah und seine Familie, mit dunkler Haut und krausem Haar, werden in Mauretanien als Haratin oder als "schwarze Mauren" bezeichnet. Ihre Vorfahren verdingten sich noch als Sklaven bei den so genannten "weißen Mauren", größtenteils Nomaden berberischer oder arabischer Herkunft. Erst 1981 wurde die Sklaverei offiziell verboten, wodurch sich kaum etwas daran geändert hat, dass bis heute eine sklavenähnliche Arbeitshierarchie fortlebt, bei der allein die Hautfarbe entscheidet, was einer leisten muss. Schwere körperliche Arbeit, aber auch was gemeinhin unter städtischen Dienstleistungen verstanden wird, lastet auf den Schwarzafrikanern und damit einem guten Viertel der Bevölkerung. Während in Nouakchott alle ethnischen Gruppen präsent sind, wird der Norden, zu weiten Teilen Sahara, überwiegend von Mauren besiedelt. Der Süden hingegen - er gehört schon zur Sahelzone - gilt als Lebensraum sowohl von Mauren wie von schwarzafrikanischen Fulbe, Soninké und Wolof, die dort teils als Nomaden Viehzucht betreiben, teils als Bauern sesshaft sind. Dreimal so groß wie Deutschland ist das Land mit geschätzten drei Millionen Einwohnern äußerst dünn besiedelt.
Erstmals seit der Unabhängigkeit vor 47 Jahren sollte nun - das jedenfalls versicherten die Zeitungen durchweg - der Ausgang einer Präsidentenwahl in Mauretanien offen sein. Cheikhnah war freilich von Anfang an davon überzeugt, dass von den 19 Bewerbern nur einer, nämlich Sidi Ould Cheikh Abdellahi, als Präsident in Frage komme und daher als Favorit zu betrachten sei. "Er ist ehrlich, er hat Erfahrung." Und Sidi ist ein "weißer Maure", wäre zu ergänzen, er saß schon im Kabinett des vorletzten Präsidenten Ould Taya und gilt als Galionsfigur der alten Eliten. Auf ein konkretes Wahlprogramm kann er verzichten, so dass er sich auch klarer Aussagen enthalten kann, wie denn künftig die Einnahmen aus der Ölförderung eingesetzt werden sollten, die im Frühjahr 2006 vor der mauretanischen Küste begonnen hat. Für Cheikhnah zählt allein, dass Sidi in der Lage sein könnte, ein Land zu beruhigen, das seit dem Putsch gegen den korrupten Präsidenten Oberst Taya im August 2005 von einem Militärrat geführt wird.
Bis heute ungesühnt
Anders als in Nouakchott war in manchen der schwer zugänglichen Provinzen von Wahlkampf absolut nichts zu bemerken. Schon gar nicht im Distrikt Guidimakha, einer der ärmsten Regionen im Südosten an der Grenze zu Senegal und Mali, die nur über eine 240 Kilometer lange Schotterpiste anzufahren ist. Während entlang der asphaltierten Straße der Hoffnung ein reger Verkehr die Rinder-, Kamel- und Ziegen-Herden beim Überqueren der Fahrbahn stört, begegnen einem auf dem Weg nach Sélibaby, der Bezirkshauptstadt von Guidimakha, kaum Fahrzeuge. Und wenn, dann sind es in dieser kargen Savannengegend zwischen Akazien und verdorrtem Strauchwerk bestenfalls überladene Pick-ups, deren Passagiere die Gesichter gegen den allgegenwärtigen Staub dicht verschleiert haben. Ansonsten verkehren auf dieser Trasse nur noch bedrohlich schwankende Lastkraftwagen, deren Fracht sich zwei bis drei Meter hoch über der Fahrerkabine türmt. Sonst geschieht nichts. Eine Gegend, bei der schon der Grashalm hinterm Mäuseohr ein Ereignis wäre, und die gut daran tut, in der Sonnenglut einsam und verlassen vor sich hin zu dämmern. Um so mehr ist Sélibaby eine vitale Kleinstadt, in der zu gleichen Teilen Mauren, Fulbe und Soninké leben - allerdings in voneinander getrennten Vierteln. Die Stadtverwaltung selbst weist die Quartiere zu. Im Augenblick gibt es Streit um ein begehrtes Baugelände, das für die Mauren vorgesehen ist, doch sollen auf einem der Grundstücke zahlreiche Menschen begraben sein. Niemand weiß, wie viele genau. Dass es sich um Opfer von Pogromen gegen "Senegalesen" handelt, daran jedoch erinnern sich noch viele. Ende der achtziger Jahre hatte es in Sélibaby Zusammenstöße zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern um Landrechte gegeben. Als "Senegalesen" wurden seinerzeit mauretanische Schwarzafrikaner verfolgt und gelyncht, so dass Zehntausende von ihnen um ihr Leben rennen und nach Mali oder Senegal fliehen mussten. Bis heute wagen sich die meisten nicht zurück.
Im Konflikt um das Baugelände verlangen nun Fulbe und Soninké in Sélibaby, das Gebiet solle dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein. Auch weil die Verbrechen bis heute ungesühnt blieben. Trotzdem spricht in der Stadt niemand offen über die Ausschreitungen von einst. Jeder beteuert vielmehr, alle Mauretanier lebten als Brüder in ihrem islamischen Glauben zusammen. Nur Nebensätze lassen manchmal erahnen, wie fragil diese Einigkeit ist. Allein die ausländischen Entwicklungshelfer sprechen unverhohlen über die Gewaltausbrüche des Jahres 1989. Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) bringt in Guidimakha ganz bewusst Vertreter der verschiedenen Bevölkerungsgruppen an einen Tisch, um auszuhandeln, wie Agrarflächen genutzt werden können. Viele der Bewohner sprechen so zum ersten Mal seit Jahren wieder miteinander.
In Guidimakha, so heißt es, konnten die Bewohner mit den beiden aussichtsreichsten Kandidaten der Präsidentenwahl, dem erwähnten Sidi Abdellahi und seinem Rivalen Ahmed Ould Daddah nicht viel anfangen - ihre Sympathien galten viel mehr Ibrahim Sarr, der sich seit Jahrzehnten für die schwarzafrikanische Bevölkerung in diesem Gebiet einsetzt. Auch Suleiman Kane, ein Sprachwissenschaftler, der nach seiner Emeritierung wieder in seinen Heimatort Ould Yengé im Osten Guidimakhas zurückgekehrt ist, engagierte sich für Ibrahim Sarr: "Wir hatten zwar fast keine Mittel für einen Wahlkampf und leider eine große Zahl von Analphabeten, aber ich denke, den meisten hier war die Bedeutung dieser Abstimmung durchaus bewusst." Es kursierten in Guidimakha Gerüchte über den Kauf von Wählerstimmen, das im Radio Gehörte wurde sofort weiter erzählt, viele waren empört. Als Ibrahim Sarr beim ersten Wahlgang am 11. März im Süden mehr Stimmen als die beiden Favoriten erhält, da fühlt sich plötzlich auch Nouakchott aufgerüttelt, die Kommentatoren räumen ein, die ungelöste Flüchtlingsfrage und eine "nationale Versöhnung" ließen sich nicht länger verdrängen. Da müsse etwas geschehen. Was als Appell vorzugsweise an die Sieger des 11. März gerichtet ist, denn Sidi und Ahmed Ould Daddah haben sich mit rund 25 beziehungsweise 21 Prozent der Stimmen für die Stichwahl am 25. März empfohlen. Wieder einmal bleiben die "weiße Mauren" unter sich.
In der Wahlnacht vom 25. zum 26. März hat Cheikhnah bis drei Uhr morgens Radio gehört, am Tag darauf feiert er den Sieg "seines" Präsidenten Sidi Mohamed Ould Cheikh Abdellahi. Für den Alltag im Quartier Arafat wird der vermutlich keine Wunder vollbringen. Doch hat der Wahlkampf dazu beigetragen, ein Land nicht völlig in den toten Winkel der Weltpolitik abdriften zu lassen, das an der Schnittstelle zwischen Nord- und Schwarzafrika liegt. Vielleicht waren diese Wochen ein Schritt hin zu einer etwas freieren Gesellschaft in der Islamischen Republik Mauretanien.
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