Wenn Eltern Cookies backen und Geld spenden

Das eine Prozent Haben US-Amerikaner kein Vertrauen in ihren Staat mehr, dann schmuggeln und patrouillieren sie – alles ihrer Kinder wegen
Ausgabe 05/2015

Kelley Williams-Bolar in Akron im US-Bundesstaat Ohio ist eine Kriminelle. Das Verbrechen der alleinerziehenden Mutter: Sie hatte ihre Töchter unter Angabe einer falschen Adresse bei einer Schule im Nachbardistrikt angemeldet: Die Copley-Fairlawn School hat einen besseren Ruf als alle Schulen in Williams-Bolars Wohnort.

Doch sie flog auf. Vielleicht bekam die Schulleitung einen Tipp; schließlich gibt es eine Prämie von 100 Dollar für Hinweise auf derartig eingeschmuggelte Schüler, gemeinhin „Sneak-ins“ genannt. Williams-Bolar wurde zu zehn Tagen Gefängnis und zwei Jahren Bewährung verurteilt. Sie ist kein Einzelfall. Yolanda Hill in Rochester im Bundesstaat New York nutzte die Adresse der Großmutter, um ihre vier Kinder auf eine begehrte Vorortschule zu bringen. Und in Brooklyn, dem New Yorker In-Viertel, hält sich hartnäckig ein Gerücht über die Star-Grundschule PS 321: Mitglieder des Elternvereins würden in der Nachbarschaft patroullieren und bei Familien klingeln, um Adress-Betrüger zu finden.

Warum achten Eltern und Schulleiter so eifersüchtig darauf, dass nur die „richtigen“ Kinder in ihre Schule gehen? Wegen des Geldes. Öffentliche Schulen sind meist chronisch unterfinanziert. In der Schule meines Sohnes bekommen wir zu Beginn des Schuljahres eine Einkaufsliste und besorgen etwa Klebstoff, Papier, Stifte, Putzmittel und Papiertücher. Je mehr die Eltern übernehmen, desto mehr Budget bleibt, um zusätzliche Lehrkräfte oder Instrumente für den Musikunterricht zu bezahlen. Dabei hilft ein aktiver, spendenfreudiger Elternverein. PS 321 sammelte im Schuljahr 2013/14 über eine halbe Million Dollar ein, mehr als jede andere Schule in Brooklyn.

Wer aber zwei Schichten täglich bei McDonald’s ackern muss, dem fehlen Zeit zum Cookies-Backen und Mittel für Geldspenden. So gilt die Faustregel: Je ärmer die Eltern, desto schlechter die Schule. Vermögende bringen ihre Kinder lieber gleich in eine private Institution wie die Berkeley-Carroll-Grundschule, nur ein paar Straßen von PS 321 entfernt. Kostenpunkt: 36.995 Dollar pro Jahr, nach Steuern. Immerhin ist ab der 3. Klasse das iPad inbegriffen.

Andere unterrichten ihre Kinder selbst zu Hause – und das sind längst nicht mehr nur religiöse Splittergruppen oder Farmer weit ab von der nächsten Stadt. Hausunterricht statt Schule ist heute für fast zwei Millionen Kinder in den USA Realität, rund 500.000 mehr als noch vor fünf Jahren. Eine ganze Industrie kümmert sich inzwischen um die Bedürfnisse der Schulverweigerer.

Dabei gehörte die öffentliche Schule wie Apple Pie und die Gründerväter zu den größten Errungenschaften Amerikas, sie war eine Voraussetzung für den American Dream. Doch das Vertrauen in den Staat ist stark gesunken, das zeigt die Privatisierung der Bildung ebenso wie die verbreitete Ablehnung der Gesundheitsreform Barack Obamas.

Um die US-Volkswirtschaft aber wieder auf den richtigen Weg zu bringen, braucht es nicht nur neue Jobs und Wirtschaftswachstum. Sondern eine Rückkehr des Vertrauens in die Institutionen. Danach sieht es nicht aus. Auch wir haben unserer Schule einen Scheck geschrieben.

Jens Korte lebt in New York und berichtet vor allem aus dem Epizentrum der Finanzwelt

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