Austerität Der Kurssturz an der Athener Börse signalisiert das Misstrauen gegenüber den neuen Sparauflagen, an denen auch Österreich in Gefolgschaft zu Deutschland einen Anteil hat
Alexis Tsipras begrüßt den österreichischen Kanzler Werner Faymann in Athen
Foto: Zuma Press/Imago
„EU zwingt Griechen in die Knie“, ist am 13. Juli nach dem Brüsseler Krisengipfel auf dem Cover einer hiesigen Zeitung zu lesen. Zweifelsohne handelt es sich um eine Kapitulation und Demütigung. Und dann wird diese Schmach auch noch genüsslich zelebriert und ausgeschlachtet. Die Jungs von der Straße, die da ohne Krawatten in den Palast eingedrungen sind, werden jetzt domestiziert oder rausgeworfen.
Ob man verschämt oder unverschämt vorgehen soll, darin scheiden sich die Geister. Natürlich oktroyierte man auch schon Spanien, Portugal und anderen Staaten ähnliche Bedingungen, doch deren Regierungen waren im Gegensatz zu Syriza a priori der neoliberalen Linie Deutschlands verpflichtet, da regierte willige Komplizenschaft, nicht widerwillige U
rwillige Unterwerfung wie jetzt in Athen. Die Pointe der griechischen Tragödie liegt darin, dass nunmehr eine linksradikale Regierung ein lupenreines Austeritätsprogramm im Parlament durchpeitscht, ohne hinter diesem stehen zu können.Zur Fraktion der Verschämten zählt auch der österreichische Bundeskanzler. Anders als sein Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), der ganz als Adlatus seines deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble auftritt, gehört Werner Faymann (SPÖ) zur Gruppe um den französischen Präsidenten François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi, die inzwischen meinen, der Schläge seien nun genug, man soll die Niedergestoßenen nicht auch noch treten. Dass solches inzwischen als Unterstützung ausgelegt wird, zeigt an, wie sehr die Maßstäbe bereits verrutscht sind.In Wien wird keinesfalls weniger heiß gekocht als in Berlin oder Brüssel. Was war da nicht alles zu lesen und zu hören? „Polit-Hasardeure“ fahren „ihr Land mit Vollgas an die Wand“, behauptet Wolfgang Fellner, der Herausgeber der Gratisgazette Österreich: „Mit dem Griechen-Theater muss jetzt Schluss sein.“ Die Rewe-Verkäuferin aus Stockerau dürfe nicht die griechischen Schulden zahlen, schreiben diese Retter unseres Steuergeldes.Die Differenz zwischen Qualitätsmedien und Boulevard ist minimal. Permanent der Vorwurf der „Realitätsverweigerung“: „Die Syriza-Fantasten meinen den Unfug, den sie im Wahlkampf verzapften, ernst“, heißt es. „Danke, Wolfgang Schäuble“, ließ Rainer Nowak, Chefredakteur der Wiener Presse im Kampf gegen die „Griechen-Versteher“ schon Ende Februar wissen – also Monate bevor der deutsche Finanzminister seine Nummer abgezogen hat. Es gehe darum, die „Finanz-Clowns aus Athen“ in die Schranken zu weisen, damit nicht auch noch Hollande und Renzi übermütig würden. Christian Rainer, Chef des Wochenmagazins profil, freut sich einmal mehr, dass der „sich aufblähende Antikapitalismus und die Dummheit niedergehalten wurden“. Insgesamt sei Tsipras ein „durch-die-Wand-Politiker“, assistiert der liberale Standard. Es ist ein Kanon. Dass da wirklich eine Euro-Wand zu durchstoßen wäre, will diesen Leuten nicht auch nur eine Sekunde kommen. Da schreibt die Wand von der Wand.Medial wurde das europäische Desaster in einer beispielhaften Kampagne inszeniert, flächendeckend, von den Zeitungen bis zu den Magazinen, von den Talkshows bis zu den Nachrichten. Was sich als kritischer Journalismus ausgibt, ist nichts als Hetze. Karl Kraus nannte solche Leute einst eine „Koppel von Presskötern“. Tatsächlich ist heute eine Meute von Jagdhunden unterwegs. Wie sie Fragen stellen, nach suggestiven Antworten heischen, missliebige Personen und Inhalte diskreditieren, sagt, wozu sie gut sind. Es geht darum, abweichendes Verhalten zu punzieren und dessen Exponenten zu denunzieren. Meinungsdirnen im Schlagwortwahn ertränken schuldige Schuldner im Kotmeer, um sich gleich noch einmal drei Kraus’sche Begriffe auszuborgen.Kotmeer der GefühleUnabhängige Medien entpuppen sich als marktradikale Einsatztruppen. Urteile sind gefasst und werden gesprochen. Die schärfsten Exemplare dieser Spezies gerieren sich wie magazinierte Scharfrichter. Fernsehkanäle kämpfen um den größten Pranger, Studios werden zur Richtstätte. In einem waren sich alle einig: Das Referendum ist Dreck. Dass sie falsch abgestimmt hatten, sollten die Griechen und ihre Linksregierung büßen.„Hausaufgaben! Hausaufgaben!“, schreit die Meute. Unisono. Die Kontrahenten werden als infantil, ja debil abgestempelt, eigentlich dürfen sie weder als Gegner noch als Partner ernst genommen werden. Sie sind a priori minderwertig. Dazu gehört etwa auch das tätschelnde, letztlich aber pseudoamikale Verhalten Jean-Claude Junckers gegenüber Tsipras oder die unentwegte Behauptung, Ex-Finanzminister Varoufakis sei unvorbereitet in die Sitzungen gekommen. Das Problem war eher, er hat geredet, obwohl er absolut nichts zu melden gehabt hätte.„Wir fragen uns schon seit Wochen, wann die Griechen endlich begreifen, wie es funktioniert“, doziert ein schwer genervter österreichischer Finanzminister. Beängstigend das kommunikative Fiasko, das hier nun abgegangen ist. Es ist ein GAU, ökonomisch wie politisch, aber auch medial, mental, sozial. Die Gemüter erhitzen sich stets aus falschen Gründen, während alles seinen bitteren Gang geht. Und man muss zugeben, dass es in Kerneuropa satte Mehrheiten sind, die so denken, und noch mehr es so spüren, ja am allerschlimmsten: wegen ihrer psychischen Zurichtung als drangsalierte Konkurrenzsubjekte es kaum anders können. Die Brisanz des kollektiven Unsinns, sie fällt nicht auf – der gesunde Menschenverstand blüht in seiner Ignoranz so richtig auf. Wenn die Volksseele brodelt, sinkt die Empathie auf den Gefrierpunkt.Flüssig und überflüssigIm Fokus der Kritik müsste vielmehr der Realismus einer Gesellschaft stehen, nach deren Rationalität wir noch am Nötigsten sparen sollen und ansonsten die Augen verschließen vor den großen Miseren bürgerlichen Daseins. Real ist das von Notenbanken gedruckte Geld, irreal sind die Bedürfnisse Not leidender Menschen. Wie die Griechen sollen wir kapieren: Wer nicht flüssig ist, ist überflüssig. Und wer flüssig ist, das bestimmen noch immer wir hier, in den Bank- und Politzentralen der Metropolen, wir hier, die willfährigen Exekutoren der Marktgesetze. Zu diskutieren wäre also der Charakter der Flüssigkeit. „Was sagen die Märkte?“, lautet die dümmste aller Fragen.Fällig wäre etwas ganz anderes, eine Debatte über Schuld und Kredit, über Geld und Zahlung überhaupt. Dass der menschliche Haushalt ohne sie nicht funktionieren könnte, ist ein abendländischer Mythos, an den wir alle glauben müssen, und es nach wie vor tun. Da kann es schon vorkommen, dass die Märkte in Griechenland voll mit Gütern sind, diese aber verderben, da sie als Waren nicht bezahlt werden. Was wiederum zur Folge hat, dass die Händler nicht mehr kaufen und die Bauern nicht mehr liefern. Marktwirtschaftlich geht das alles in Ordnung. Die Logik ist so, und ihre Logiker können nicht anders, die ticken so. Solange uns derlei als normal erscheint, werden wir zweifellos verrückt bleiben.Nicht Zahlungsfähigkeiten sind herzustellen, sondern Lebensmöglichkeiten. Wird das menschliche Miteinander aber weiterhin als Gegeneinander dem Fetisch Geld überantwortet und somit geopfert, dann sieht es wirklich zappenduster aus. Es wäre an der Zeit, über ein weltweites Schuldenmoratorium nachzudenken – ja, Schulden überhaupt zu streichen. Mit Griechenland und dem globalen Süden könnte man beginnen. „Bezahlt wird nicht“ (Dario Fo) sollte zum kollektiven Credo werden. Aber das sind Überlegungen, die heute nicht einmal den Linksradikalen in den Sinn kommen. Da waren die griechischen Denker und Dichter vor mehr als 2.000 Jahren schon weiter. Einer unserer größten Dramatiker, ein gewisser Sophokles, wusste, was er sagte, als er in Antigone sagen ließ:Kein ärgrer Brauch erwuchs den Menschen als / Das Geld! Es äschert ganze Städte ein. / Es treibt die Männer weg von Haus und Hof, / Ja, es verführt auch unverdorbne Herzen, / Sich schändlichen Geschäften hinzugeben, / Es weist den Sterblichen zur Schurkerei / Den Weg, zu jeder gottvergessnen Tat!Placeholder link-1Placeholder link-2
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