Wenn ich deine Freundin wäre – Goodbye Prince

Nachruf In den Achtzigern war er die fleischgewordene Utopie der Pulverisierung von Grenzen. So ekstatisch seine Musik ist, so zurückhaltend war die öffentliche Figur Prince
Sexy MF.
Sexy MF.

Foto: Jed Jacobsohn/Getty Images

Nach seinem Tod werden bei Facebook Fotos, Videoclips und Liebeserklärungen gepostet, gerne im Modus: Mein schönstes Prince-Erlebnis. So weit, so normal, wenn ein musikalisches Genie abtritt. Bemerkenswert ist, wie viele Songtexte von Prince verschickt werden.

Du musst nicht schön sein, um mich anzuturnen,

du musst nicht reich sein, um mein Mädchen zu sein,

du musst nicht cool sein, um meine Welt zu regieren…

So einfach ist das manchmal. Auf Facebook kursiert das Foto eines Straßenschilds. You don´t have to be rich to be my girl Straße.

Weniger populär ist der Refrain aus „Baltimore“:

Hört uns jemand beten für Michael Brown oder Freddy Gray ?

Ohne Gerechtigkeit keinen Frieden!

Singt Prince im Retrosoul-Sound, es ist sein Kommentar zur Endlosserie von tödlicher Polizeigewalt gegen schwarze Amerikaner. Der Song ist schon ein paar Monate alt und niemand kann überrascht sein, dass „Baltimore“ nicht zum Soundtrack einer neuen Bewegung geworden ist. Und das nicht, weil es die antirassistische Bewegung nicht gäbe. Sondern weil Prince längst den Zugang zu den großen Kanälen verloren hat. Den haben Leute wie Beyoncé oder Kanye West und sie nutzen ihn für zeitgemäße digital politics mit all ihren inneren Widersprüchen. Zeitgemäß? Auf der Höhe der Zeit und ihr meistens voraus ist Prince in den Achtzigern, im produktiven Wettlauf mit Madonna und Michael Jackson, alle Jahrgang 58. Mit dem Doppelalbum „Sign o´ the Times“, kostet Prince 1987 seine damals noch vorhandenen künstlerischen Freiheiten auf triumphale Weise aus. Der Titelsong beginnt so:

In Frankreich starb ein dünner Mann an einer großen Krankheit mit einem kleinen Namen, seine Freundin benutzte seine Spritze und bald starb auch sie.

Zum ersten Mal wird AIDS in einem weltweiten Pophit erwähnt. Auf „Sign o´ the Times“ ist auch der Lieblings-Prince-Song von Justus Köhncke. Im Gespräch mit Deutschlandradio-Kultur sagt der Berliner Musiker, ehemals Whirlpool Productions: „Prince war transgressiver als Bowie, er stand für eine entgrenzte, freie Sexualität. Mit dem Lied `If I was your girlfriend´ hat er ja eine Identität geschaffen, mit Pitches, alles analog, wo er eine Mädchenstimme hat,.“

Wenn ich deine Freundin wäre, dürfte ich dich anziehen, dürfte ich deine Klamotten auswählen bevor wir ausgehen? Wenn ich deine Freundin wäre, dürfte ich dich nackt sehen?

“Heterosexualität ist nicht normal, sie ist bloß gewöhnlich.” Schrieb die amerikanische Schriftstellerin Dorothy Parker. Die Dorothy in Princes „Ballad of Dorothy Parker“ ist keine Schriftstellerin, sondern Kellnerin, groß, hübsch, spülwasserblond. Zu einem maximal zurückgelehnten Elektrofunk flirtet Prince mit Dorothy, die schaltet das Radio ein und:

Oh mein Lieblingslied! Joni singt Help me I´m falling.

Und Prince singt in bester Joni-Tonlage genau diesen Refrain. Darüber, dass Prince Joni Mitchell liebt, kann sich nur wundern, wer der Musikindustrie-Logik aus Formatierung und Segregation folgt, nach der ein 29-jähriger schwarzer Funk-Soul-Sänger 1987 so gar nichts an einer 44-jährigen weißen Singer-Songwriterin finden darf. Für ein paar Jahre ist Prince die fleischgewordene Utopie der Pulverisierung von Grenzen. Musikalische Grenzen, Hautfarbengrenzen, sexuelle Grenzen lösen sich umgehend auf, wenn das 1.58 Meter-Wesen den Mund aufmacht. Warum sollte ich mich auf einen Stil festlegen, wenn ich alle beherrsche? Warum sollte ich mich auf eine Sexualität festlegen, wenn ich alle beherrsche? Warum sollte ich mich auf eine Hautfarbe festlegen lassen, wenn ich…in einem weiteren viel geposteten Text, anwortet Prince auf die öffentliche Erregung um seine Künstlerpersona:

I just can't believe

All the things people say, controversy

Am I black or white?

Am I straight or gay? Controversy

Do I believe in God?

Do I believe in me?

Controversy…

Listen, people call me rude

I wish we all were nude

I wish there was no black and white

I wish there were no rules.

Integration statt Segregation: Prince ist Funk & Soul, Rock & Electropop, schwarz & weiß, Mädchen & Junge. So viel Uneindeutigkeit, so viel polymorphe Perversion ist bald nicht mehr gefragt.

It don´t matter if you´re black or white

sang Michael Jackson, um festzustellen, dass es eben doch eine Rolle spielt. Black Lives matter. Eine weitere von vielen gespenstischen Gemeinsamkeiten der ewigen Rivalen: Weder Jackson noch Prince gelingt es, HipHop in ihr System zu integrieren. Die populärste Spielart sogenannter schwarzer Musik bleibt ihnen ebenso fremd wie die dort propagierte Hypermaskulinität mit samt ihrer alternativlosen Heterosexualität. Prince umgibt sich Zeit seines musikalischen Lebens mit Frauen: Wendy & Lisa, Sheila E, Apollonia, Vanity Six bis hin zu seiner letzten Begleitband 3rd Eye Girl. Sämlich Musikerinnen in maßgeblicher Funktion, nicht nur als dekorativer Blickfang. Ein Blickfang ist auch Prince. Der „Mann in Pfauenkleidern“ (taz), der androgyne Prinz zieht Blicke auf sich, aber er läßt nicht jeden an sich ran. Auf die Frage, was ihn wirklich nervt antwortet Prince in einer Talkshow, flüsternd: „Wenn Fremde meine Haare berühren. Viele Leute werden aufdringlich.“ So expressiv und ekstatisch seine Musik, so zurückhaltend und bisweilen rätselhaft ist die öffentliche Figur Prince, auch das verbindet ihn mit Michael Jackson. Beide begeistern mit ihrer Musik diese Welt, beide sind aber auch nicht ganz von dieser Welt. Am Todestag von Prince erstrahlen die Niagara Fälle in Purpurrot. Zu Ehren von…nein, nicht zu Ehren von Prince. Der Niagara Purple Rain gilt Königin Elisabeth, zu ihrem neunzigsten Geburtstag. Die Queen lebt, der Prince ist tot.

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