Freitag: Seit die "Bild"-Zeitung über den möglichen Mord von Rechtsradikalen an dem sechsjährigen Joseph Abdulla berichtete, ist Sebnitz von Journalisten aus aller Welt belagert. Wie reagieren die Bürger darauf?
Rainer Böhme: Nach einer kurzen Zeit der Bestürzung über den möglichen Mord an einem Kind überwiegen inzwischen irrationale Wut auf die Familie Kantelberg-Abdulla und Abwehrreaktionen gegenüber der Berichterstattung der Medien. Die Stadtöffentlichkeit meint, man habe sich nichts vorzuwerfen. Der evangelische Pfarrer, der anfangs vom Dienst suspendiert wurde, weil er Josephs Mutter im Zusammenhang mit dem Tod des Jungen eine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vorgeworfen hatte, ist wieder im Amt. Und die Lichterkette gegen Gewalt wurde von der Stadtverwaltung abgesagt. Die These unseres Justizministers, die rechtsradikalen Jugendlichen, die vor der Apotheke der Kantelbergs bei laufender Kamera krakeelt hatten, wären von einem Fernsehsender bezahlt worden, erscheint in dieser Situation plausibel. Es gab bereits Gewaltandrohungen gegenüber elektronischen Medien.
Die unsorgsame Berichterstattung gibt also der rechten Szene in Sebnitz Auftrieb?
Auf jeden Fall. Statt Fremdenfeindlichkeit in Sebnitz wird die voreingenommene Berichterstattung thematisiert. Vergangene Woche hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die sich gegen das Medienbild von Sebnitz als rechte Stadt wehrt. Dieser Bürgerinitiative gehören auch Sympathisanten und ein mutmaßliches Mitglied der NPD an. Meiner Meinung nach brauchen wir aber weniger eine Diskussion um das Image der Stadt, sondern eine öffentliche Thematisierung von ausländerfeindlichem Denken und eine linke Gegenkultur, die es in Kleinstädten und Dörfern unserer Region überhaupt nicht gibt.
Als Reiseveranstalter müsste Ihnen der Ruf der Region am Herzen liegen.
Daran liegt mir absolut. Denn niemand kommt in eine wunderschöne Berg- und Felsenwelt, wenn er Angst vor den Leuten hat. Aber die Imagepflege, die unser eigentliches Problem unter den Teppich kehrt, wie sie unsere Stadtväter jetzt wollen, ist langfristig absolut kontraproduktiv, weil sie der rechten Kultur nicht wirklich etwas entgegenstellt. Die Behauptung unseres Bürgermeister, unserer Stadt wäre ein nicht wiedergutzumachender materieller und immaterieller Schaden entstanden, halte ich für überzogen. Um diese Jahreszeit sind die Hotelbetten ohnehin leer. Und im Übrigen geben auch Journalisten in Sebnitz Geld aus.
Haben Ihnen Kunden eine Reise abgesagt?
Konkrete Absagen haben wir bisher nicht. Aber ein Bürger aus Bielefeld hat uns eine Mail geschickt: "Ich wollte schon immer mal in die Sächsische Schweiz, aber jetzt komme ich erst, wenn Ihr alle Nazis zum Mond gejagt habt." Ein anderer Bielefelder schrieb, wir Ossis hätten westlichen Wohlstand und Demokratie nicht verdient und sollten alle nach Sizilien auswandern. Für mich ist auch das ein Indiz für Fremdenangst bzw. Fremdenfeindlichkeit, wobei in diesem Fall Ostdeutsche die Fremden sind. Bezeichnenderweise will uns der Autor ausgerechnet den "Schliff preußischen Denkens und preußischer Gerechtigkeit" verordnen.
Wie sind Sie in Sebnitz mit Fremdenfeindlichkeit und gewaltbereiten Rechten konfrontiert?
Als Geschäftsmann arbeite ich zwölf Stunden am Tag. Ich besuche leider fast nie Kneipen und Fußballplätze oder andere Orte, wo sich Menschenmassen versammeln. Deshalb nehme ich das Problem nur durch die Medien oder aus Berichten von meinen Mitstreitern aus der Antifa wahr. Ich denke, so wie ich selbst haben die meisten Sebnitzer von der Existenz einer örtlichen NPD erst erfahren, als vor zwei Jahren ein ortsansässiger Arzt für diese Partei ins Stadtparlament zog. Als im vergangenen Sommer wenige Kilometer von Sebnitz entfernt die Polizei ein umfangreiches Waffenlager der "Skinheads Sächsische Schweiz" aushob, war selbst die Antifa völlig überrascht. Vor zwei Monaten gab es bei einem Stadtfest eine Randale von rechten Jugendlichen, die nur durch Polizeigewalt gestoppt werden konnte. Auch davon habe ich erst aus der Zeitung erfahren.
Ist nicht eine Situation, in der die Weltöffentlichkeit auf Skinheads in Ihrer Stadt sieht, auch eine Chance für die Antifa von Sebnitz, Rechtsradikalismus zum Thema zu machen?
Ja. Irgendwie müssen wir in die Offensive gehen, für Toleranz werben, eine linke Gegenkultur aufbauen. Ein Konzept haben wir nicht. Es ist in Sachsen auch schwerer, weil unsere Staatsregierung abwiegelt. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) hat im Sommer erklärt, wir hätten das Problem nicht. In Sachsen sei noch kein Mensch durch Rechtsradikale umgekommen und noch kein Haus verbrannt.
Das Gespräch führte Marina Mai
Rainer Böhme ist Inhaber des Reisebüros "Bergwelt", das Fahrten in die Sächsische Schweiz anbietet. Der 51-jährige, der in den siebziger und achtziger Jahren in Ost-Berlin lebte, gehört der Sebnitzer Antifa an.
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